Stand: 13.03.2017 17:30 Uhr

Welchen Sinn haben internationale Jurys?

Robin Stjernberg und Tänzer auf der Bühne beim ESC 2013. © NDR Foto: Rolf Klatt
Robin Stjernberg vertrat Schweden beim ESC 2013. Der Favorit des schwedischen Publikums war jedoch ein anderer.

Es war spannend, als am Samstagabend die beiden Moderatoren Clara Henry und David Lindgren die Ergebnisse des Zuschauervotings beim schwedischen Melodifestival verkündeten: Die internationale Jury hatte "I Can't Go On" von Robin Bengtsson mit 96 Punkten auf den ersten Rang gesetzt, doch in der Publikumsgunst lag er nur auf dem dritten Platz. Bis zum Schluss zitterten die Zuschauer im Saal und vor den Bildschirmen, ob nicht doch der Sänger Nano die Nase vorn haben würde - vergebens. Die Punkte aus dem Televoting reichten am Ende nicht, um Robin Bengtsson den Sieg streitig zu machen. So weit, so gut, so unspektakulär: Eine ähnliche Situation durften wir schon im vergangenen Jahr beim ESC-Finale erleben, als dem russischen Sänger Sergey Lazarev die entscheidenden Punkte fehlten, um die Ukrainerin Jamala zu überholen.

"Weg mit der Jury"

Es ist nicht das erste Mal, dass die Jury dem schwedischen Publikum einen Strich durch die Rechnung macht: 2013 hätten die Zuschauer statt Robin Stjernberg lieber den exzentrischen Yohio in Malmö gesehen, und viele spekulieren bis heute, ob Publikumsfavoritin Sanna Nielsen 2008 mit der Ballade "Empty Room" nicht vielleicht sogar den ESC in Belgrad gewonnen hätte. Die Jury jedoch präferierte Charlotte Perellis "Hero", das im internationalen Wettbewerb gnadenlos abstürzte. In diesem Jahr allerdings scheinen die Schweden sich mit der Situation nicht so einfach abfinden zu wollen: So titelt die Tageszeitung "Expressen" in ihrem Online-Auftritt "Der Zorn der Zuschauer über die Jury - das falsche Lied hat gewonnen". Und die Tageszeitung "Aftonbladet" verkündet: "Das schwedische Volk fordert: Weg mit der Jury".

Neue Qualität des Unmuts

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Der Unmut richtet sich dabei weniger gegen die Jury an sich als gegen die Tatsache, dass es keine Schweden sind, die über den schwedischen Beitrag entschieden haben. So schreibt ein wütender Zuschauer: "Welchen Sinn hat es, für unsere Finalisten abzustimmen, wenn andere Länder sich da einmischen? Das Ganze ist eine große Farce und alle, die an dieser Entscheidung beteiligt waren, sollten sich von dem Wettbewerb und allgemein von der Musikindustrie fernhalten." Und ein anderer schreibt: "Das ist völliger Unsinn, dass eine internationale Jury beim schwedischen Melodifestival mit abstimmt! Ist das denn nicht unsere SCHWEDISCHE Party?" Festivalproduzent Christer Björkman, der die internationalen Juroren 2009 erstmals einführte, zeigte Verständnis für den Unmut, meinte aber, dass es doch eine gute Sache sei, wenn man schon vorher wüsste, wie der schwedische Beitrag international ankommt.

Sind die internationalen Juroren wirklich international?

Der Erfolg der schwedischen Beiträge in der Vergangenheit gibt Christer Björkman Recht. Oder vielleicht doch nicht? Schließlich wären Loreen, Måns Zelmerlöw oder Frans auch ohne die Jurys zum internationalen Wettbewerb geschickt worden. Und eine weitere Frage drängt sich auf: Wer sind eigentlich diese internationalen Juroren? Und was befähigt sie, den Geschmack ihrer Landsleute vorherzusagen? Wer das internationale Vorentscheidungsgeschehen aufmerksam verfolgt, dem fielen in diesem Jahr in den diversen internationalen Jurys zahlreiche bekannte Gesichter auf: Zum Beispiel der mehrfache israelische Head of Press Alon Amir, der in Estland, Finnland und Norwegen im Namen seiner Landsleute wertete. Oder der französische Delegationsleiter Edoardo Grassi, der in Finnland und Schweden für die "Grande Nation" abstimmte. Oder der Betreiber der ESC-Fanseite wiwibloggs, William Lee Adams, der in Finnland und Norwegen stellvertretend für das Vereinigte Königreich die Wertungen durchgab.

Wertung aus der "Eurovisions Bubble"

Die Liste ließe sich weiterführen, denn in den sogenannten internationalen Jurys sitzen häufig Personen, die sich aus der "Eurovision Bubble" - also dem Proben- und Partygeschehen beim ESC vor Ort - kennen und mögen gelernt haben. Das ist grundsätzlich nichts Verwerfliches, aber es relativiert die Aussagekraft einer solchen "internationalen" Juryentscheidung, die tendenziell näher am Geschmack der Eurovisions-Kernfangemeinde ist als an den "normalen" Zuschauern. Das aber kann nicht im Sinne der Veranstalter sein, die - so hart diese Erkenntnis für viele auch sein mag - ihr Programm für alle Zuschauer gestalten müssen. Vor allem hat es ein Geschmäckle, wenn die offiziellen Delegationsleiter eines anderen Landes über den Beitrag eines anderen Landes bestimmen, denn man könnte ihnen auch ganz eigene Interessen unterstellen.

"Unser Song" - ein Modell für andere Länder?

Das heißt allerdings nicht, dass eine internationale Jury grundsätzlich fehl am Platz ist, denn es kann natürlich nicht schaden, ein Gespür für die geschmacklichen Präferenzen anderer Nationen zu entwickeln. Wie sich eine solche Jury sinnvoll einsetzen lässt, hat "Unser Song" gezeigt: Hier diente das internationale Stimmungsbarometer nur als Orientierungshilfe für die deutschen Zuschauer. So konnten sie gegebenenfalls abweichende Sänger- und Songpräferenzen der internationalen (Fan-)Community zur Kenntnis nehmen, behielten am Ende aber doch die volle Entscheidungsgewalt über den eigenen Beitrag. Womöglich ist das ja ein Modell, das auch in anderen Ländern Schule macht. In Schweden vielleicht?

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 13.05.2017 | 21:00 Uhr

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2017