Stand: 17.06.2015 09:32 Uhr

Party For Everybody!

von Michael Sonneck

"Du bist da und das ist wunderbar!"- so sang die ESC-Siegerin Anne-Marie David die deutsche Version ihres Siegertitels 1973 "Tu te reconnaîtras" im ausverkauften Euro Fan Café in Wien. Der ganze Saal stimmte mit ein. Voller Rührung gab sie das Statement ab: "Ich war auf dem fünfzigsten Geburtstag des ESC, jetzt bin ich auf dem sechzigsten. Stellt euch mal vor, wie ich auf dem siebzigsten sein werde. Und wenn wir nicht mehr sind, werden wir durch Euch, die Fans, weiterleben."

Als Präsident des Vereins Eurovision Club Germany - eines der größten Fanclubs des internationalen Netzwerks der Organisation Générale des Amateurs de l'Eurovision (OGAE) - und ESC-Fan seit 1968, kann ich dem nur zustimmen: "Was wäre der ESC ohne seine Fans?

Drei deutsche Fanclubs in den Neunzigern

Der erste Fanclub wurde 1984 in Finnland gegründet. In den frühen Neunzigerjahren, als der ESC vor allem in Deutschland einen Tiefpunkt des öffentlichen Interesses erreicht hatte, gab es immerhin drei Fanclubs in Deutschland. Sie hielten die Begeisterung für den ESC trotz eines gewissen "Verpöntseins" aufrecht, obwohl man als ESC-Fan oftmals milde belächelt wurde oder sogar unter Rechtfertigungsdruck geriet. Das hat sich zum Glück, nicht zuletzt durch Stefan Raabs Engagement und Lenas Sieg in Oslo, deutlich gewandelt.

Nicht nur in Deutschland haben wir einen deutlichen Zuwachs an Fanclubmitgliedern zu verzeichnen. Inzwischen gibt es über 40 nationale OGAE-Fanclubs mit mehr als 10.000 Mitgliedern weltweit. Entsprechend reisen immer mehr Fans zum ESC an. Da ist es eine besondere Herausforderung für den nationalen Club im Gastgeberland, für diese Fans ein entsprechendes Rahmenprogramm zu organisieren.

Einführung des Euroclubs verändert den ESC

Mit der Einführung des offiziellen EuroClubs im Jahr 2005, der den Delegationen als Location für ihre Partys beziehungsweise die offiziellen After-Show-Partys dient, wurde es notwendig, auch für nicht akkreditierte Fans eine Möglichkeit zum Feiern anzubieten. Letzteren bleibt nämlich in der Regel der Zutritt zum Euroclub verwehrt. So gab es im Jahr 2006 in Athen eine zentrale Anlaufstelle, das sogenannte Euro Fan Café, damals wirklich nur als Café angelegt, wo sich die Fans treffen konnten. 2008 organisierte die OGAE Serbia erstmals ein Euro Fan Café, in dem auch abends Künstler des aktuellen Wettbewerbs auftraten und DJs der OGAE für die Fans auflegten.

Feste Institution: Das Euro Fan Café

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Die Künstler bei der offiziellen Opening Night des ESC 2015 im Euroclub in Wien. © NDR Foto: Rolf Klatt

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Das Euro Fan Café ist inzwischen zu einer festen Institution jedes ESC geworden. Von Jahr zu Jahr wachsen mit steigenden Besucherzahlen auch die Anforderungen an die Organisatoren. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es äußerst schwer ist, eine geeignete Location zu finden. Deren Betreiber zögern, das Lokal den ESC-Fans für ein oder zwei Wochen zur Verfügung zu stellen, da sie um ihr Stammpublikum fürchten. Das mussten wir auch 2011 in Düsseldorf feststellen. Insofern waren wir froh und dankbar, dass der NDR uns die Möglichkeit gab, den offiziellen Euroclub tagsüber als Euro Fan Café zu betreiben. Dort gab es einen Info-Stand für alle anreisenden Fans, und wir boten Autogrammstunden mit Künstlern an. Das Düsseldorfer Euro Fan Café wurde ein voller Erfolg, es entwickelte sich zum "Hot Spot" während der ESC-Woche.

Eine neue Dimension wurde 2013 in Malmö erreicht, wo sich das Fan Café mit einem reichhaltigen Tages- und Abendprogramm zu einer wirklichen Alternative zum Euroclub entwickelte. Das schien auch unbedingt nötig, denn die Kriterien der EBU für eine Akkreditierung werden von Jahr zu Jahr strenger. Die Möglichkeit, ohne Akkreditierung in den Euroclub zu gelangen, wird - nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen - mehr und mehr eingeschränkt.

Conchita dankt ihren Fans

ESC Star Conchita Wurst aus Österreich bei der Opening Ceremony vor dem Wiener Rathaus  Foto: Rolf Klatt
Conchita Wurst beim ESC in Wien an vielen Orten - wie hier bei der offiziellen Eröffnung. Und auch beim Euro Fan Café bei ihren Fans.

In diesem Jahr stellte der Gastgeber OGAE Austria mit seinem Euro Fan Café einen neuen Rekord auf - sowohl was die Ausmaße der Location als auch das Aufgebot an nationalen und internationalen Künstlern betrifft. Es traten sogar vier ESC-Siegerinnen auf! Selbst Vorjahressiegerin Conchita Wurst ließ es sich trotz vollen Proben- und Terminkalenders zum 20-jährigen Bestehen des österreichischen Fanclubs nicht nehmen, dort aufzutreten. So drückte sie ihre Dankbarkeit dafür aus, dass die ESC-Fans sie auch in schweren Zeiten ihrer Karriere unterstützt haben.

Jeden Abend feierten hier bis zu 1.000 ESC-Fans, bejubelten ihre ESC-Ikonen, sangen deren Lieder lautstark mit und tanzten, tanzten, tanzten. Die Messlatte für den nächsten gastgebenden Fanclub liegt dementsprechend sehr hoch.

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Erfreulicherweise gibt es immer mehr junge Fans, die sich für den ESC begeistern und Teil der großen ESC-Fan-Familie sein möchten. Nachwuchssorgen haben die organisierten Fanclubs also kaum. Und wie faszinierend ist es, mitzuerleben, dass selbst sehr junge Fans zu ESC-Titeln singen und tanzen, die aus Jahren stammen, in denen sie überhaupt noch nicht geboren waren! Es mag für Außenstehende eine merkwürdige Erfahrung sein, wenn Hunderte von Fans zum Beispiel zu einem finnischen Beitrag aus dem Jahr 1985 mit dem Titel "Eläköö elämää" tanzen und den finnischen Text mitsingen können, obwohl sie dieser Sprache nicht mächtig sind.

Für die wahren ESC-Fans aber ist diese Partywoche neben dem Contest selbst das Jahres-Highlight. Und auch dadurch wird das Motto des diesjährigen ESC bestätigt und gelebt: "Building Bridges" - Brücken bauen zwischen Alt und Jung und zwischen Fans aus aller Welt: Wir sind beim ESC eine große Familie, oder - um es mit den wohl ältesten Teilnehmern beim ESC, den russischen "Omas" 2012 zu sagen: "Party for everybody!"

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 23.05.2015 | 21:00 Uhr

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