Stand: 19.01.2015 10:31 Uhr

Äußerlichkeiten beim ESC: Wichtiger als Stimme?

Andreas Kümmert © Olaf Heine / Universal Musik Foto: Olaf Heine
An Andreas Kümmert zeigt sich, dass nicht nur die Musik der Vorentscheids-Kandidaten bewertet wird.

Die ESC-Community, nicht nur die deutsche, hat die sieben zur Vorentscheidung von Hannover festgelegten Acts mit gewohnten kritischen Stimmen, aber auch einigem Wohlwollen zur Kenntnis genommen. Unter hiesigen ESC-Fans werden besonders Faun (die Mittelaltermusikanten) und Mrs. Greenbird (Modern Folk) als stark bewertet. Ein Kandidat aber ist im Feld, der sogar krasse Antipathien zu wecken weiß. Beziehungsweise: Nicht er persönlich - aber durch das, was er ausstrahlt, wie er aussieht - und was er ästhetisch darstellt. Die Rede ist, klar, von Andreas Kümmert.

Er ist 28 Jahre alt, eher von kräftiger denn verhungert aussehender Gestalt und trägt einen roten Bart. Seine Stimme, sein stärkstes Plus, erinnert in besten Momenten an Joe Cocker: Er hat den Blues darauf und den Soul der frühen siebziger Jahre auch. Im Dezember 2013 gewann er die dritte Staffel von "The Voice of Germany" - und das mit begeisternden Applausarien der Juroren.

Kritik an Äußerlichkeit

Allein: Als Reaktion auf meine Einschätzung des Sieben-Act-Tableaus für Hannover, posteten etliche Menschen, der Kümmert sei zwar so okay wie jeder oder jede andere, von dem oder der man das Lied noch kennt. Aber es kamen auch unfreundliche, mindestens um sein Outfit besorgte Kommentatoren zu Wort.

Der Haupteinwand gegen Kümmert dabei: Wenn er schon teilnehme, möge er sich "schick" beziehungsweise "schicker" anziehen, sich drapieren, sich darstellen. Meine Gegenfrage lautete immer: Was heißt denn schick? Nur einer traute sich offen zu schreiben: Einen Mann, der einen fusseligen Bart und mehr Freizeitklamotten trage als Textilien für Festivitäten, wolle man nicht sehen. Besser: Sei dem ESC nicht zumutbar.

Ich hingegen finde: Diese Kritik an Äußerlichkeiten ist fies. Mich erinnert sie an Sprüche von Erwachsenen in den frühen Siebzigerjahren, die ihre Kinder nicht mit langen Haaren sehen wollten. Konnten sie aber meist nicht verhindern - Militärschnitte waren einfach für die Betroffenen tabu. Wer wollte schon aussehen wie niemand sonst aus der eigenen Generation? Die Folge war, dass die Erwachsenen damals sagten: "Nichts gegen lange Haare, aber gepflegt müssen sie sein."

Ein gepflegter Schopf: Das war damals ein Geht-gar-nicht der Extraklasse. So ähnlich kommt mir der Einwand gegen Andreas Kümmert vor. Wahrscheinlich wollen jene diesen Sänger im Style von jungen Disco-Interpreten im typisch gelierten Schmierlook sehen. Oder sie wollen ihn dünn - als ob Roy Black nicht schon lange nicht mehr unter den Lebenden wäre. Die Zeiten der steifen Troubadoura ist vorbei, vorbei, vorbei!

Guildo Horn: Totengräber der gepflegten Fönfrisur

Guildo Horn ist am9.November 2007 zu Gast in der Sendung "Die Tietjen und Dibaba" © NDR/Christian Wyrwa Foto: Christian Wyrwa
Guildo Horn - Musiktherapeut und Totengräber der Föhnfrisur.

Auf die Stimme, auf die Atmosphäre, die sie vermitteln könnte, kommt es an - und in dieser Hinsicht weiß Andreas Kümmert, dass mit ihm zu rechnen ist. Guildo Horn, nur nebenbei, war für die klassische deutsche Schlagerszene der pure Schock: So ein Zottel! Und dann gefällt er er auch noch der halben Republik, die ihn im Frühsommer 1998 begeistert feiert. Die Zeiten, als alle Schlagertypen aussehen wie Haarspraywerbung der sechziger Jahre, die war doch damals schön und schmerzvoll begraben worden: Kritik an Kümmert will diese alten Zeiten zurück. Ich möchte anfügen: Das wäre grässlich.

Das einzige Problem, das mir schwant, ist, dass Kümmert nur auf Gründen der Vertragstreue bei "The Voice of Germany" blieb. In Interviews gab er später zu, lieber dem Rummel ausgewichen zu sein statt ihn weiter auszuhalten. Und im Hinblick auf seinen Wunsch, die für ihn siegreiche Show aus seiner Künstlerbiografie zu streichen noch im vorigen Oktober, scheint er mir doch nervenschwach.

Alles Nervensache

Wenn es so wäre: Was macht er denn bei einem ESC-Vorentscheid? Okay, wäre der Rummel nur für einen Abend - aber weiß er, was für ein Lärm in sein Leben käme, würde er in Hannover siegen?

An den Haaren, an seinem Schwitzen während des Vortrags, an seiner Rundlichkeit soll es nicht scheitern, im Gegenteil. Lieber so als irgendeine Barbie oder ein Ken: Aber weiß er, dass er einen langen Weg vor sich hat, der alles verspricht, nur eines nicht: Ruhe?

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 05.03.2015 | 20:15 Uhr

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