Stand: 23.01.2017 14:02 Uhr

Kommentar: 60 Jahre ESC in Großbritannien

Lys Assia, Siegerin des 1. Grand Prix Eurovision im Jahr 1956, vor einem Gemälde.
Als Lys Assia 1956 den ersten Grand Prix in Lugano gewonnen hat, waren die Briten nicht dabei: Man hatte die Anmeldefrist verpasst.

Beim allerersten ESC 1956 in Lugano wäre die BBC fast auch mit dabei gewesen, aber man verpasste die Anmeldefrist und hatte ohnehin nicht im Blick, dass dieses Musikfestival im Fernsehen einmal eine Legende werden würde: Womöglich hätte man die Unterlagen für eine pünktliche Anmeldung nicht unter Papierstapeln vergessen. So war das Vereinigte Königreich, Großbritannien und Nordirland, erst von 1957 in Frankfurt an dabei - beim Eurovision Song Contest, wie der Wettbewerb auf der Insel immer genannt wurde.

Populäre Musik für das Fernsehen

Aber 1957 hatte man in London alles parat: Das "Festival Of British Popular Songs" nannte sich die erste Vorentscheidung, und die allererste Vorrunde fand am 22. Februar jenen Jahres statt. Der Name der Vorentscheidung deutet übrigens an, dass es zwischen Dover und Derry noch keineswegs um das gehobene Chanson ging, um die Wertschätzung schöner Texte und feiner Melodien, sondern um populäre Musik für das junge Medium Fernsehen.

Ein Song, mehrere Kandidaten

Die spätere Teilnehmerin der BBC für den ESC in Frankfurt am Main, Patricia Bredin, sang ihren Titel "All" erst im Vorentscheidungsfinale am 12. Februar 1957. Im Semifinale war es das Malcolm Lockyer Quartet - ein Verfahren, das anzeigte: Hier geht es um das Lied, nicht um die Interpretin oder den Interpreten. Das Lied selbst war eines, als ginge es um einen Operettenwettbewerb. Der Sound des Pops, der Großbritannien so viele Erfolge bescherte, war noch nicht Mainstream im britischen Entertainment. Am Ende wurde Patricia Bredin beim zweiten ESC Siebte - die BBC, deren TV-Verantwortliche maßgeblich dazu beigetragen hatten, den ESC als Projekt zu begründen, war unangenehm überrascht.

Ein Lied für Europa

"A Song For Europe" nannte der Sender von 1961 bis 1995 seine Auswahlshow. 1964 wurde erstmals das Format gewählt, das die allermeisten Jahre gelten sollte: Ein Künstler oder eine Künstlerin wurden intern ausgesucht, die öffentliche Show drehte sich nur noch um ein zu suchendes Lied. Matt Monro war 1964 der erste, der sich als Künstler nicht gegen andere öffentlich durchsetzen musste.

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Ergebnis Großbritannien (UK) © NDR

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Der ESC war längst populär geworden: Drei zweite Plätze von 1959 in Cannes bis 1961 (ebenfalls in Cannes) wurden errungen, immer landeten Lieder des Vereinigten Königreichs vorne - der neunte Platz 1966 in Luxemburg für den Schottenrock-Mann Kenneth McKellar war schon eine Enttäuschung. Berühmtheiten wurden in jenen Jahren Europa vorgestellt oder zu solchen gemacht: Cliff Richard, Lulu, Mary Hopkin, Clodagh Rodgers, The New Seekers, Olivia Newton-John oder Lynsey de Paul & Mike Moran - das waren Künstler, die man auf dem Kontinent schon aus den Hitparaden kannte.

Erste Siegerin hielt Song für albern und mickrig

Die erste Siegerin war Sandie Shaw mit "Puppet On A String" 1967 in Wien. Zu überliefern ist, dass sie, die zu den Top Stars nicht nur in ihrem Lande zählte, später erzählte, von allen Liedern, die sie bei der Vorentscheidung singen musste, kam ihr ausgerechnet der spätere Siegersong als der absurdeste von allen vor: alberner Text, mickrige Musik - aber das britische Publikum wählte sie mit starker Mehrheit, und zwar zurecht, ebenso die europäischen Juroren, als sie in der Wiener Hofburg um die eurovisionäre Krone antrat.

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Sandie Shaw, natürlich barfuß, vertritt Großbritannien 1967 beim Grand Prix und belegt den 1. Platz.  Foto: Votava

ESC-Rückblick: Die Zeit der britischen Macht

So kam der Pop zum ESC: Weil das United Kingdom sehr viele Jahre Stars zum Contest schickte und ihn so dominierte. Abba war 1974 nicht die Ausnahme, sondern die Bestätigung dieses Trends. ESC-Rückblick Teil zwei. mehr

Fünf Mal siegte Großbritannien beim ESC, zuletzt 1997 in Dublin durch Katrina & The Waves mit "Love Shine A Light", zuvor 1969 in Madrid (zusammen mit drei anderen Sängerinnen, Frida Boccara, Lenny Kuhr und Salomé) durch Lulu und ihr "Boom Bang A Bang", 1976 in Den Haag Brotherhood of Man mit "Save Your Kisses For Me" und 1981 in Dublin mit Buck’s Fizz und ihr "Making Your Mind Up". Bis 1978 landeten die BBC-Kandidaten stets unter den Top 10: Als Sieger wurden die Acts aus dem Royaume-Uni (wie es auf Französisch so schön frankophon näselnd heißt) immer gehandelt. Dieses Land war für den ESC bis Ende der 90er-Jahre bei der Eurovision das, was im deutschen Fußball Bayern München ist: immer mindestens mitfavorisiert.

Nicht erst in jüngerer Zeit hat die BBC keine Erfolge mehr, andere Länder wissen längst, wie Pop geht. Für viele der coolen Künstler und Künstlerinnen ist es nicht rufförderlich, beim ESC sich zu engagieren. Ohne die BBC wäre der ESC auch in Deutschland nicht so populär geworden: Herzlichen Glückwunsch 60 Jahre ESC in Großbritannien!

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 13.05.2017 | 21:00 Uhr

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