Stand: 09.10.2017 08:40 Uhr

France Gall - Die Mitreißende

 

Porträt
France Gall gewinnt 1965 den Grand Prix für Luxemburg. © dpa-Bildfunk

France Gall: Mit Zweideutigkeiten zum ESC-Sieg

Unschuldig und verdorben zugleich - France Gall bediente sich 1965 beim ESC dieses alten Erfolgsrezeptes. Mit vielen Zweideutigkeiten gewann sie für Luxemburg in Neapel. mehr

Dass meine liebste Single in der Musikbox in der Nachbarschaft ein ESC-Siegeslied war, wusste ich damals nicht. "Das war eine schöne Party" hieß die Scheibe - und meiner Erinnerung nach hörte ich diesen Titel 1965 im Radio. Niemand außer mir nahm Notiz von diesem Lied, mich fixte es an: Es hatte Tempo, es hatte diese gewisse Teenagerkieksigkeit in der Stimme der Sängerin - dabei wusste ich weder, was eine Party war noch was der Titel insgesamt bedeutete. France Gall hieß die Interpretin, so las ich auf der Musikbox. Noch besser allerdings gefiel mir das französische Original "Poupée de cire, poupée de son", mit dem sie beim ESC in Neapel das Publikum betörte. Auf Französisch klang dieses Chanson noch besser, noch eine Spur aufgeregter, ja hysterischer, trotzdem nicht deutsch-bierbankschunkelig enthemmt.

 

Elektrisierend und mitreißend

France Gall - das war eine, die auf meinem inneren Altar Platz nehmen musste. Erst viele Jahre später, im Youtube-Zeitalter, konnte ich ihren Auftritt in Neapel in voller Schönheit bewundern: Sie gewann als sehr junge Frau und war die allen überlegene Performerin des Abends. Eine absolut elektrisierende und mitreißende Vorstellung. Kurzum: Sie klang anders als die anderen, sie hatte nicht diese zähe Wehmut in den Tönen, sie hatte Frische und Charme. Eine meiner ersten selbst gekauften Singles war schließlich "Zwei Apfelsinen im Haar" - eine Coverversion eines südamerikanischen Originals, eine Art sambaartig gehaltener Marsch. Und wieder: France Gall machte aus diesem Ohrwurm eine Perle, sie hatte dieses Timbre, mit dem aus einem Allerweltsschlager eine Besonderheit wurde. Ihre deutschen Titel wie "Ein bisschen Goethe, ein bisschen Bonaparte" oder "Der Computer Nr. 3" gefielen nicht so gut. Bei den deutschen Schlagerfestspielen, die sie nie gewann, aber oft mit guten Plätzen abschloss, hatte sie dieses gewisse französische Flair irgendwie stark eingebüßt. Da klang sie sehr deutsch zurechtgetrimmt.

Große Schwester im Geiste

France Gall singt am 22.11.1988 auf der Verleihung der Goldenen Europa in Saarbrücken.  Foto: Jörg Schnitt
In den 80er-Jahren feierte France Gall mit "Ella est l’a" ein großes Comeback.

Mitte der 80er-Jahre hatte sie einige Jahre wieder mit französischen Produktionen verbracht, Trennungen unschöner Art von Lebensgefährten erleiden müssen, schließlich den Mann ihres Lebens getroffen. Durch Michel Berger kam sie wie eine funkelnde, coole Erscheinung zurück in die Charts. "Ella est l’a" war 1987 ihr Lied, war ihre Intonation, war ihr Comeback: Eine tanzbare Nummer stärksten Kalibers, ein Dancefloorfeger mit cooler Atmosphäre in diesem ästhetisch exaltierten Jahrzehnt. France Gall - da war sie wieder, der älter gewordene Teenager, die phantasierte große Schwester, die Vertraute aus Kindheitstagen.
Ich höre ihre Lieder immer noch gern, auch wenn sie kaum noch auf Bühnen auftritt, und wenn, dann nicht mit ihrem ESC-Triumphlied von Neapel. France Gall wird nun 70 Jahre jung. Wünsche man ihr, dass sie die Courage findet, wie etwa Charles Aznavour und Sylvie Vartan zu konzertieren. Herzlichen Glückwunsch also - weil sie nie eine Puppe war, schon gar nicht die von ihrem Mentor Serge Gainsbourg.

Dieses Thema im Programm:

NDR Blue | ESC Update | 21.10.2017 | 19:05 Uhr

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