Stand: 07.01.2010 16:24 Uhr

Sanremo-Festival: Mutter aller Schlagerwettbewerbe

Segelboote und Yachten in Hafen von San Remo, Italien © picture-alliance / dpa Foto: Barone
San Remo ist Austragungsort des berühmten Festival della Canzone Italiana.

Als Anfang der 1950er-Jahre Blumenhändler Amilcare Rambaldi und Casinobesitzer Pier Busseti die Idee hatten, das beschauliche Städtchen Sanremo an der italienischen Riviera durch ein Musikfestival bekannter zu machen, hätten sie sich wohl nicht träumen lassen, dass daraus einmal das wichtigste Fernsehereignis des Landes werden würde. Mehr als 60 Jahre später lockt das mehrtägige Sanremo-Festival noch immer zwischen 11 und 13 Millionen Zuschauer vor die Bildschirme und erreicht Marktanteile von weit über 50 Prozent. Kein Wunder, geben sich doch beim Jubiläum italienische und internationale Stars die Klinke in die Hand. Doch was ist das Geheimnis von Sanremo?

Schaffung einer nationalen Musiksprache

In einem Land wie Italien, in dem 1950 nicht einmal ein Fünftel der Bevölkerung die offizielle Landessprache beherrschte und ausschließlich Dialekt sprach, besaßen Hörfunk und Fernsehen eine wichtige Integrationsfunktion. Das Sanremo-Festival (oder Festival della Canzone Italiana, wie es offiziell heißt) legte den Grundstein für eine gesamtitalienische Unterhaltungskultur, die erst in Entstehung begriffen war, und ist auf diese Weise ebenso untrennbar mit der Geschichte des italienischen Fernsehens wie mit der Geschichte der italienischen Unterhaltungsmusik verbunden. Viele Sanremo-Beiträge der frühen Jahre besitzen in Italien daher den Bekanntheitsgrad von Volksliedern.

Stars und neue Talente

Milva bei einem Auftitt 1996 © dpa Foto: Holger Kasnitz
Milva eroberte 1996 in die Herzen ihrer Fans.

Wie auch der Eurovision Song Contest war das Festival della Canzone Italiana zunächst ein reiner Komponistenwettbewerb. Die wachsende Beliebtheit der Veranstaltung rief bald die Plattenfirmen auf den Plan, doch die ausrichtende Fernsehanstalt RAI wollte lieber auf bekannte Künstler verzichten und den Nachwuchs fördern. Man fand eine Einigung, und bis heute treten beim Sanremo-Festival die etablierten Künstler, die "Big", und die Newcomer, die "Giovani", in gesonderten Kategorien an. Nach und nach wurden weitere Preise für den besten Text und die beste Komposition sowie ein Kritikerpreis eingeführt, um dem kommerziellen Aspekt der Veranstaltung eine qualitative Komponente entgegenzusetzen. 

Kommerz und Zensur

Der Interessenkonflikt zwischen Fernsehanstalt und Musikindustrie schwelte jedoch weiter. Zwar durften die Plattenfirmen nun direkt bestimmen, welche Interpreten sie ins Rennen schickten, doch im Auftrag der RAI wachte die 'commissione d’ascolto' (Ausschuss zur Kontrolle von Medieninhalten) darüber, dass Titel mit anstößigen, gotteslästerlichen oder politischen Texten umgeschrieben oder von der Finalteilnahme ausgeschlossen wurden. Den kommerziellen Erfolg der Veranstaltung beeinträchtigte dies allerdings nicht. Zeitweise setzte sich die nationale Jahreshitparade zu 20 Prozent aus Festivalbeiträgen zusammen. Bis heute vergeht kaum ein Jahr, in dem nicht mindestens ein Sanremo-Titel die Top 20 der Jahrescharts erreicht.

Internationales Ansehen

Mit Domenico Modugno und seinem Titel "Nel blu dipinto di blu" ("Volare") gelang dem Festival der erste von zahllosen internationalen Erfolgen. Diese zogen mehr und mehr ausländische Stars nach Sanremo (von Stevie Wonder bis Louis Armstrong), was der Veranstaltung zusätzliches Prestige verlieh und sie bis in die USA bekannt machte.

Viele Titel wurden im Ausland nicht nur zu Hits, sondern auch von Stars wie Pat Boone ("Quando, Quando, Quando") oder Tom Jones ("Gli occhi miei/Help yourself") gecovert. Adriano Celentano, Milva, Eros Ramazotti, Laura Pausini und Andrea Bocelli - sie alle wurden durch das Sanremo-Festival entdeckt und zu internationalen Stars. Das erfolgreiche Konzept wurde vielfach kopiert, unter anderem in Kroatien (Festival Opatija) und Albanien (Festivali i Këngës).

Sanremo heute

Nach einer Durststrecke in den 1970er-Jahren erlebte die Show in den 1980er-Jahren ein strahlendes Comeback und gilt bis heute als wichtigste Talentschmiede Italiens. Der enorme Aufwand, der rund um das Ereignis betrieben wird, rechtfertigt sich mittlerweile alleine schon durch die lukrativen Werbeinseln, die in etwa alle 20 Minuten die Übertragung unterbrechen. Trotz privater Konkurrenz bleibt Sanremo-Festival auch im 21. Jahrhundert die bedeutendste Sendung im italienischen Fernsehen, denn, so der Slogan der Veranstalter, "Sanremo ist… Sanremo!"

 

Dieses Thema im Programm:

NDR Blue | ESC Update | 05.03.2022 | 19:05 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

Italien