Stand: 10.01.2014 17:42 Uhr

Weißrussland: Rätselhaftes Belarus

Alena Lanskaja und Tänzer auf der Bühne beim ESC 2013. © NDR Foto: Rolf Klatt
Alena Lanskaja holt beim ESC 2013 in Mamö Platz 16 nach Weißrussland.

Kaum ein anderes osteuropäisches Land ist den Menschen in Westeuropa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs so seltsam fremd geblieben wie Belarus. Schon der Name ist ein Rätsel: Heißt es nicht eigentlich Weißrussland? Und warum überhaupt weiß? Die Verwirrung hat historische Hintergründe, die bis heute die Entstehung einer belarussischen Identität erschweren. Ein Großteil des heutigen Belarus war Teil des ostslawischen Siedlungsgebiets, das historisch als "Rus" bezeichnet wird. Das Wort "bely" (weiß) bezeichnet historisch auch die Himmelsrichtung "Westen", sodass Belarus so viel wie "westliche Rus" bedeutet. Schon seit dem Spätmittelalter war der Landstrich Zankapfel zwischen dem polnisch-litauischen Königreich im Westen und dem Großfürstentum Moskau im Osten, die sich immer wieder kriegerische Auseinandersetzungen lieferten.

Mehr als nur ein "weißes Russland"

Nachdem das Königreich Polen-Litauen durch zahlreiche Invasionen fremder Armeen im 17. Jahrhundert stark geschwächt worden war, fielen die litauischen Gebiete an das zum Kaiserreich Russland aufgestiegene Moskau. Mit repressiven Maßnahmen wie dem Verbot der lateinischen Schrift und des belarussischen Dialekts, der sich unter dem Einfluss des Polnischen zu einer eigenständigen Sprache entwickelt hatte, versuchten die neuen Machthaber, das annektierte Land gefügig zu machen. Dies wirkte sich allerdings nur wenig auf die reiche belarussische Volkskultur aus, die zwar Parallelen zur russischen und ukrainischen Folklore besitzt, aber viele Traditionen aus polnisch-litauischer Zeit bewahren konnte. Besonders prägend für die belarussische Kultur war der Einfluss der jüdischen Bevölkerung, die vor dem Zweiten Weltkrieg fast 20 Prozent der Einwohner ausmachte.

Ringen um national-kulturelle Identität

Željko Joksimovic im Jahr 2012 © RTS
Die Karriere von Željko Joksimovic nahm ihren Anfang in Weißrussland.

Gleich mehrmals in seiner Geschichte wurde Belarus durch Feldzüge fremder Machthaber dem Erdboden gleichgemacht, sei es durch Napoleon oder im Zweiten Weltkrieg, als das Land über ein Viertel seiner Bevölkerung verlor, darunter fast die gesamte kulturelle Elite. Nach dem Wiederaufbau wurde die belarussische Volksmusik konsequent als Teil der russischen Kultur umgedeutet und erfreute sich in der Interpretation durch zahlreiche Folkrock-Bands großer Beliebtheit innerhalb der Sowjetunion. Obwohl sie seit 1991 unabhängig sind, ringen die Belarussen bis heute um ihre national-kulturelle Identität, denn der autoritäre Präsident Lukaschenko unterlässt bewusst die Förderung einer eigenständigen belarussischen Kultur, um den großen Nachbarn Russland nicht zu verärgern, an dessen Tropf die heimische Wirtschaft hängt.

Quoten, Zensur und Festivals

Durch Quotenregelungen und Zensur versucht die Regierung das kulturelle Leben des Landes zu kontrollieren. 75 Prozent aller im Radio gespielten Titel müssen aus belarussischer Produktion stammen. Doch für professionelle Schallplattenaufnahmen sind die Künstler auf Studios im Ausland - und entsprechende Reisemöglichkeiten - angewiesen. Ohne staatlichen Segen geht also so gut wie nichts. Viele Bands stehen auf einer schwarzen Liste und haben Auftrittsverbot, die Musiker der deutschen Gruppe Rammstein wurden sogar zu Staatsfeinden erklärt. Im Gegenzug werden Festivals wie der "Slavianski Bazaar" in Witebsk gefördert, mit dem die kulturelle Vielfalt der slawischen Völker präsentiert werden soll. Viele ESC-Stars haben dort ihre Karriere begonnen, unter anderem Ruslana, Željko Joksimović, Toše Proeski oder die belarussischen Teilnehmer Polina Smolova, Petr Elfimov und Alena Lanskaya.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 13.05.2017 | 21:00 Uhr

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