Stand: 03.05.2014 13:04 Uhr

"Ich bin nicht schüchtern"

Carl Espen im Interview. © eurovision.de Foto: Martin Unger
Im Interview zeigt sich Carl Espen als ein nachdenklicher und freundlicher Mensch.

Carl Espen tritt mit der Ballade "Silent Storm" für Norwegen an - er hat die Vorentscheidung in seinem Land als völlig unbekannter Außenseiter gewonnen. Während des ESC wohnt er in einem Designhotel hinter dem Hauptbahnhof in Kopenhagen. Für das Interview gibt es nur ein kleines Zeitfenster. Vorher war der Sänger beim Friseur, danach muss er zu einer Sportmassage. Der Barde scheint sich auf ganzer Linie vorzubereiten ...

Herr Espen, ist das Ihr erster Besuch in Kopenhagen?

Carl Espen: Nein, ich war das letzte Mal für eine Fortbildung in Kopenhagen, also aus beruflichen Gründen. Davor hatte ich in Dänemark Ferien gemacht, da waren wir auch in Kopenhagen.

Wo lebten Sie, als Sie den Vorentscheid in Oslo gewannen?

Espen: In Bergen - aber geboren und aufgewachsen bin auf einer kleinen Insel eine Stunde von der Stadt Bergen entfernt. Die höhere Schule habe ich in Molde besucht, danach ging es nach Bergen und dann zur Armee. Aber ich bin meist nah an meinem Zuhause geblieben. Voriges Jahr habe ich acht Monate als Türsteher in einem Musikklub gearbeitet. Das war eine gute Zeit. Ich habe dabei Freunde gewonnen.

VIDEO: Songcheck: Norwegen/Carl Espen - "Silent Storm" (8 Min)

Wie gefallen Ihnen Städte wie Bergen, Oslo oder Kopenhagen?

Espen: Oh, das ist schwer zu sagen. Sicher ist, dass ich ziemlich froh bin, in der Abgeschiedenheit groß geworden zu sein. Ich mag die Stille, diese gewisse Langsamkeit, diese Ruhe. Das hat mich, wenn ich heute als Mann von 31 Jahren zurückblicke, sehr zum Guten geprägt. Ich habe dort immer noch eine Hütte, in die mich gern zurückziehe, um mich zu entspannen und mal ganz und gar abzuschalten. Fischen, wandern und auf der Veranda sitzen - das tut mir gut.

Sie sind schon einige Tagen in Kopenhagen, um auf der Bühne zu proben, Fragen der Presse zu beantworten. Gönnt man Ihnen wenigstens ein bisschen Zeit, um mal auszuspannen?

Espen: Ja, das gibt es natürlich. Ohne wäre es schrecklich. Aber es bleibt Zeit, um mal auszuschlafen und nichts zu tun. Kein Missverständnis: Es bringt auch Spaß, das ist eine schöne Zeit und ich hätte vor einem Jahr niemals gedacht, dass es einmal so kommen würde.

Sie wirken eher ein wenig schüchtern …

Espen: Nein, schüchtern bin ich nicht. Aber ich bin auch keine Person, die sich gern in den Mittelpunkt stellt oder besonders aus sich herausgeht. Ich suche nicht die Aufmerksamkeit.

Nun stehen Sie allerdings im Zentrum der norwegischen Erwartungen. Sie sollen so gut wie möglich abschneiden. Stresst Sie das?

Espen: Ein wenig. Ich kann den Druck der norwegischen Leute schon spüren. Aber ich sage mir, dass ich alles geben werden, so gut ich kann. Das hat mich schon in Oslo beim Vorentscheid Melodi Grand Prix vor Nervosität bewahrt, und das wird es hier auch. Mehr als mein Bestes kann ich nicht geben, aber das werde ich eben auch tun. Für mich ist es eine große Ehre, Norwegen beim Eurovision Song Contest zu repräsentieren.

Porträt
Carl Espen aus Norwegen bei Eurovision in Concert in Amsterdam © NDR Foto: Patricia Batlle

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Sie haben Spaß, sagten Sie. Ist dieses ewige Spaß haben nicht auch manchmal eintönig?

Espen: Es kann sehr abtörnend sein, dieses Spaß-haben-müssen, das stimmt. Doch ich sage mir, hier mache ich gute Erfahrungen, die freuen mich auch. Ich weiß einfach, dass es eine gute und schöne Zeit in meinem Leben ist. Andererseits muss man sich immer klarmachen: So vieles muss hier beim ESC auch ernst genommen werden, die Proben und so weiter.

Sie sind nun ein Shootingstar am norwegischen Pop-Himmel. Stehen Sie manchmal neben sich und fragen: Wie konnte das alles mit mir passieren?

Espen: In der Tat. Weil es so schnell ging. Drei Monate davor war nichts von dem da, was heute mein Leben bestimmt. Ich war ein Nobody. Das ist schon ein bisschen surreal. Das muss ich mir manchmal klar machen, dass ich jetzt in meinem Land eine Berühmtheit bin und ein bisschen auch in Europa.

Was ist für Sie Europa?

Espen: Europa hat so viele verschiedene Kulturen. In meinem Land liegt im Norden Schnee, in Spanien gibt es viel Sonne und warmes Wasser. Ich bin glücklich, in Europa zu leben. Aber die Musik verbindet alle Länder Europas. Man hört sich zu und versteht einander besser.

Haben Sie für die Zeit nach Kopenhagen einen vollen oder einen eher leeren Terminplan?

Espen: Nein, da ist noch nichts gebucht. Ich glaube, ich brauche ein oder zwei Tage für mich. Mich einfach mal in meine Hütte zurückziehen, das wäre gut. Wenn man sich nicht mal auf sich besinnt, bricht man womöglich zusammen. Das gilt bestimmt für alle Teilnehmer. Aber es hängt wohl alles davon ab, wie ich abschneiden werde.

Sind Sie ein Wettkampftyp? Möchten Sie gewinnen?

Espen: Natürlich! Aber die anderen, die beim Eurovision Song Contest antreten, sind auf keinen Fall meine Feinde oder meine Gegner. Nein, das nun wirklich nicht. Alle versuchen nur das Beste - und ich auch.

Ihr Lied ist sacht, und Sie singen "Silent Storm" sehr ruhig. Was bedeutet es für Sie?

Der norwegische ESC-Teilnehmer Carl Espen und Komponistin Josefin Winther © Tom Øverlie/NRK Foto: Tom Øverlie/NRK
Den Song Silent Storm hat Carl Espens Cousine Josefin Winther für ihn geschrieben.

Espen: Es ist ein Lied, das mir viel bedeutet. Es beschreibt, dass bei uns allen unter der sichtbaren ruhigen Oberfläche immer stürmische Kämpfe existieren, um das, was einen im tiefsten Inneren berührt. Das ist ein Lied, das man sich gut anhören kann, wenn man älter ist, aber auch als junger Mensch. Man fragt sich ja oft, welche inneren Gefühle einen beschäftigen und ob man das Leben so lebt, wie man es gerne möchte. Das gelingt einem manchmal eben nicht. Das Leben ist ein Fluss innerer Stürme, der aber still bleibt, weil man diese von außen ja meist nicht sieht - das ist die Botschaft des Liedes, das meine Cousine für mich geschrieben hat.

Der ESC hat in vielen Ländern das Image einer Show von Schwulen. Wie denken Sie darüber?

Espen: Ich habe mir darüber noch keine Gedanken gemacht. Ich sehe beim Eurovision Song Contest keine besonderen Farben, ob es nun um Sexualität oder um andere Sachen geht. Das ist für mich alles natürlich.

Das Interview führte Jan Feddersen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 10.05.2014 | 21:00 Uhr