Stand: 04.05.2014 14:34 Uhr

"Ich singe für 46 Millionen Ukrainer"

Maria Yaremchuk im Interview. © eurovision.de Foto: Martin Unger
Die 21-Jährige Maria Yaremchuk ist zum ersten Mal in Kopenhagen. Die Ukrainerin findet die Stadt märchenhaft.

Maria Yaremchuk ist eine der größten Siegeskandidaten in Kopenhagen. Die Ukrainerin gewann Ende Dezember, noch zu Zeiten des später geflüchteten Präsidenten Janukowitsch, mit dessen Partei sie einst auch sympathisierte, die Vorentscheidung für Kopenhagen. Jetzt sitzt sie in der dänischen Hauptstadt in einem Hotel nahe der Bierschwemmenmeile Nyhavn und gibt Interviews. Ihr hören bei diesem Gespräch Delegierte des ukrainischen ESC-Teams zu. Es scheint, als sollte jedes Wort, das gleich kommen würde, gewogen werden.

Frau Yaremchuk, können Sie überhaupt noch zählen, das wievielte Interview Sie hier in Kopenhagen geben?

Maria Yaremchuk: So viele, wie es Sterne am Himmel gibt.

Dürfen wir vermuten: Sie erleben die Zeit Ihres Lebens?

Yaremchuk: Ja, das ist es. Trotzdem: Ich muss sagen, diese Interviews sind Arbeit. Das sind keine Träumereien, oh nein, sie kommen nicht einmal dem nahe, was man sich als wahr gewordenen Traum vorstellt. Aber ich will mich nicht beschweren: Man ist schon sehr euphorisch, denn man trifft hier in Kopenhagen so viele interessante, schöne, freundliche Menschen.

VIDEO: Songcheck: Ukraine/Maria Yaremchuk - "Tick-Tock" (8 Min)

Worin liegt für Sie dieser Reiz speziell?

Yaremchuk: Darin, dass diese Menschen aus so vielen verschiedenen Kulturen kommen, dass sie so unterschiedliche Sprachen sprechen - und weil sie sich alle hier treffen, um miteinander an einem Wettbewerb teilzunehmen. Für mich als eine junge Frau ist hier eine Welt aufgeschlossen worden - das beflügelt mich sehr.

Haben Sie denn wenigstens manchmal Zeit für sich selbst?

Yaremchuk: Ich habe so ein schönes Team. Sie helfen mir, meine Energie zu bewahren und mich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Ich bin ihnen allen sehr dankbar. Aber es bleibt eben auch Arbeit: Proben auf der Bühne, Kontrolle der Proben, Interviews und so weiter. Leute, die den Song Contest einfach nur sehen, empfinden wahrscheinlich, dass alles leicht und schön aussieht. Aber es ist, damit es so wirkt, viel Arbeit.

Porträt
Maria Yaremchuk vertritt die Ukraine beim ESC 2014 © Sergey Illin / eurovision.tv Foto: Sergey Illin

Ukraine: Maria Yaremchuk

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Welche Vorstellungen hatten Sie von der Stadt Kopenhagen?

Yaremchuk: Ich hatte ein Buch, das mich sehr gut vorbereitet hat. Es waren die Märchen von Hans Christian Andersen. Fotos gab es in diesem Buch auch - und als ich jetzt mit dem Boot durch Kopenhagen hindurchfuhr, erkannte ich so vieles wieder und verliebte mich in diese Stadt. Sie hat einen lakonischen Stil mit wunderschöner Architektur. Alles wirkt so warm. Hier ist die Kapitale des Landes - doch wirkt sie nicht so bevölkert, so hektisch oder so nervös, wie man das denken könnte von einer Hauptstadt. Es gibt kaum hohe Gebäude, keine kalten Hochhäuser - und man kann sich gut fühlen wie zu Zeiten Hans Christian Andersens.

Welche Märchen liebten Sie besonders - die "Prinzessin auf der Erbse"?

Yaremchuk: Nein, "Das hässliche Entlein". Als ich vier Jahre alt war gab es bei uns eine Videokassette mit dieser Geschichte. Ich hörte sie Tag für Tag mehrmals und konnte den Text auswendig.

Alle in Europa kennen diese Märchen - was bedeutet Europa für Sie?

Yaremchuk: Alles hat seine Zeit. Ich erzähle Ihnen eine exklusive Geschichte. Als ich 2012 zu meinem ersten Wettbewerb nach Jurmala in Lettland reiste, war am Flughafen eine Frau, der 200 Hriwnas für den Flug nach Kopenhagen fehlten. Sie fragte uns - und wir gaben ihr das Geld gerne, einfach so. Kopenhagen war seitdem ein magisches Wort für mich. Und als letztes Jahr Dänemark gewann dachte ich, ich versuche, dorthin für die Ukraine zu reisen. Es scheint eine Bestimmung gewesen zu sein, dass ich es tatsächlich schaffte.

Wie denken Sie über die legendäre ukrainische ESC-Siegerin von 2004, Ruslana?

Yaremchuk: Oooh, ich muss meine besten Worte für diese Antwort suchen. Die ganze Ukraine verehrt Ruslana. Seit sie die Eurovision gewonnen hat, bin ich verrückt nach diesem Abend aller Abende. Das ist wie ein zweiter Geburtstag für mich im Mai. Ich kannte sie schon, als sie noch nicht gewonnen hatte. Es gibt ein Foto von uns beiden, Ruslana und mir, das habe ich hier in Kopenhagen mit dabei.

Es gibt etliche ukrainische Eurovisionshelden - auch Verka Serduchka oder Ani Lorak. Möchten Sie mir zu dieser ruhmreichen Tradition Ihres Landes erzählen?

Maria Yaremchuk vertritt die Ukraine beim ESC 2014 © Sergey Illin / eurovision.tv Foto: Sergey Illin
Die Ukrainer konnte Maria Yaremchuk beim Vorentscheid überzeugen. Wie wird sie in Kopenhagen ankommen?

Yaremchuk: Ich würde sagen, es ist nicht richtig, die Zukunft vorweg zu nehmen. Was passiert, werden wir erst sehen. Sicher ist nur, dass ich nicht allein auf der Bühne stehen werde. Hinter mir stehen 46 Millionen Ukrainer. Das ist die Hauptsache. Und ich möchte, dass sie nach meinem Auftritt stolz auf mich sind.

Traurig aber wahr: Während Sie in Kopenhagen sind, kämpfen in Ihrer Heimat Menschen um Freiheit. Sind Ihre Gedanken nicht auch oft bei dem, was in der Ukraine politisch geschieht?

Yaremchuk: Natürlich. Unser ganzes Team ist beunruhigt. Es geht um so viele Menschenleben. Und dass es in der Ukraine wieder friedlich wird, ist mir das Wichtigste. Es ist ein großer Schmerz zu hören, dass unsere Geschwister leiden, ja, manche von ihnen auch sterben.

Was hoffen Sie?

Yaremchuk: Ich denke, Ukrainer sind stark - und es wird ein gutes Ende nehmen und eine neue Zeit beginnen. Ukrainer sind hart arbeitende Leute, und sie ersehnen eine bessere, hellere Zukunft. Ich kämpfe nicht nur für mich in Kopenhagen, nicht nur für meine Karriere, ich singe auch für 46 Millionen Menschen in meinem Land. Ich bin 21, die Ukraine 22 Jahre jung. Ich wünsche mir, dass der Wind des Schicksals aus der Ukraine ein Land der guten Zukunft macht.

Glauben Sie, dass die Ukraine ein Teil Europas werden sollte, ein freier Teil - so wie Portugal, Polen, Tschechien oder Dänemark?

Yaremchuk: Na klar. Vor allem junge Leute ersehnen sich, Europa anzugehören, Teil dieses starken Kontinents zu sein. Ich denke, jedes Land muss kämpfen, um sich vom Alten zu befreien. Es durchlebt Krisen und geht durch Täler. Die Ukraine ist gerade dabei, für den Wechsel zu kämpfen. Aber es wird aufwärts gehen.

In vielen Ländern kennt man das Wort "Maidan" inzwischen. Es steht für "Freiheit".

Yaremchuk: Danke! Es ist gut, so etwas zu hören. Wenn man zu einer Familie gezählt wird, wenn Europa einen unterstützt, hat man Vertrauen ins Morgen.

Das Interview führte Jan Feddersen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 10.05.2014 | 21:00 Uhr