Stand: 30.09.2016 15:13 Uhr

Kommentar: Protest gegen Ort der ESC-Eröffnungsfeier

Der Sofiyskaya Square in der ukrainischen Hauptstadt Kiew © dpa Foto: Nikolay Lazarenko
Die Sophienkathedrale in Kiew: Vor dieser Kulisse soll die Opening Ceremony stattfinden.

Eine Meldung der deutschen Ausgabe der Musikillustrierten "Rolling Stone" teilt uns Staunenswertes über den nächsten ESC in Kiew mit: Die Eröffnungsfeier - also die offizielle "Opening Ceremony" - soll in beziehungsweise vor der Sophienkathedrale stattfinden. Aber genau dieser Ort ist nun strittig - aus religiösen Gründen.

Zur Erinnerung: Eröffnungsfeiern des ESC sind für Delegationen zugeschnitten, nicht allerdings für die akkreditierten Fans. Sie fanden nach diesem offiziellen Modus, also in fetterem Umfang, erst in den vergangenen Jahren statt (obwohl es "Welcome Partys" auch schon früher gab). In Oslo war 2010 das Rathaus Ort der großen Eröffnungszeremonie, 2011 in Düsseldorf die sehr schöne Tonhalle am Rhein. 2013 fand man zum Gang über den Roten Teppich vor der Malmöer Oper zusammen. Kopenhagens Rathaus war 2014 der Schauplatz, ebenso wie im Jahr darauf in Wien.

Eröffnungsdefilées - immer prunkvoller

Kiew musste sich also etwas ausdenken, um nicht als provinziell wahrgenommen zu werden, da bot sich eben diese Sophienkathedrale an. Im elften Jahrhundert unserer Zeitrechnung war deren Baubeginn, im späteren Mittelalter stand sie erstmals in voller Blüte. Mehrfach wurde sie zerstört, wieder aufgebaut und abermals kaputtgemacht. 1934 wurde diese ostkirchliche Einrichtung zu sowjetischen Zeiten geschlossen. Sie war kein Gotteshaus mehr, das kommunistische Regime hatte kaum Erbarmen mit religiösen Bauten. 1990, als die UNESCO das sehr große Gebäude zum Weltkulturerbe erklärte, sollte es mit der religiösen Nutzung weitergehen. Aber der russische Zweig der orthodoxen Kirche fühlte sich zuständig, was wiederum die Kiewer Führer dieses Christenzweigs erboste. Am Ende, nach vielem Zwist und Hader, zog die ukrainische Regierung das Verfahren wieder an sich und erklärte den schönen Bau zwar weiterhin für geschützt, zog sich aber von Plänen der Resakralisierung zurück.

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Das war und ist der Stand der Dinge. Die Zeitschrift "Rolling Stone" schreibt nun: "Das Bauwerk […] wird derzeit nicht als Kirche benutzt. Deshalb hielten es die ESC-Organisatoren für problemlos, ihr Event dort zu veranstalten. Ukrainische und russische Kirchenvertreter sehen das anders. So sagte Vasily Anisimov, Sprecher der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats: 'So etwas sollte nicht geschehen […] das wäre Blasphemie. Auf diesem Grundstück befindet sich ein großes Gräberfeld.'" Und weiter: "Auch ein Diakon der Russisch-Orthodoxen Kirche meldete sich zu Wort: 'Von allen Standpunkten aus betrachtet ist das eine schlechte Entscheidung. Jetzt wird auf dem Grab [von Kiews erstem Patriarchen Mstislav] getanzt', so Andrei Kurayev.“

Orthodoxe Kirche fühlt sich brüskiert

Man möchte diesen Gottesfürchtigen beruhigen: Bei den Eröffnungszeremonien des ESC, die mir erinnerlich sind, wurde noch nie getanzt. Vielmehr: flaniert und geguckt. Die Künstlerinnen und Künstler stellten sich in Pose für die Fotografen, andere gaben Interviews. Es wurde gegessen und (mäßig) getrunken. Eine Feier auf einem Friedhof - um es mal klar auszudrücken - gab es beim ESC bislang nie und wird es auch in Kiew nicht geben.

Auf ehemaligen Gräbern tanzen?

Auf der Welt sind viele Grabfelder überbaut worden. Oft war es den Kirchen (gleich welcher Konfession) gleichgültig, was mit ihnen geschieht, weil es historische Totenstätten waren. Die Weihen, die auf diesen Grabstätten lagen, sind in theologisch umfänglichen Verfahren oftmals rückgängig gemacht worden. Unter der Oberfläche war sozusagen nur noch Erde zu finden, keine Reste von Begrabenen. Die Gräberfelder der Sophienkathedrale waren, nach unseren Informationen, seit Jahrzehnten nicht mehr in der pflegenden Obhut irgendeines Teils der Orthodoxen Kirche. Aber, falls diese Bemerkung erlaubt ist: Auf Gräbern zu tanzen, auf ehemaligen Gräbern einen roten Teppich auszubreiten, ist keine Gotteslästerung ("Blasphemie"), sondern könnte auch als Zeichen des fröhlichen Lebens über den Tod, über das Gestorbene gedeutet werden.

2002, wenn ich mich richtig erinnere, fand in einem als Kirche genutzten Haus in Dublin ein Aids-Charity-Konzert mit ESC-Stars statt. Dabei waren beispielsweise Niamh Kavanagh,Linda Martin und Paul Harrington & Charlie McGettigan. Kein Kirchenfunktionär hat sich beschwert - das Gotteshaus war Jahre zuvor mangels Kundschaft - also Gottesdienstbesucher - aufgegeben worden.

Kiewer ESC-Organisatoren unbeeindruckt von der Kritik

In Kiew kommentierte ein Sprecher des ESC-Vorbereitungskomitees nur lapidar: "Der Komplex der Sophienkathedrale wurde als Veranstaltungsort für die Eröffnungszeremonie gewählt, weil er alle Anforderungen für so ein Event im Hinblick auf Lage, Kapazität und Logistik erfüllt." Kühler kann man nicht formulieren, dass es der vielleicht bislang spektakulärste Ort einer ESC-Opening-Ceremony sein wird. Sehr vermutlich werden auch alle orthodoxen Christen, die Mitglieder von ESC-Delegationen sind, nichts unversucht lassen, dort dabei zu sein.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 13.05.2017 | 21:00 Uhr

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