Stand: 22.02.2017 13:29 Uhr

Hundetötungen in Kiew: Kein offizieller Auftrag

Tierärztin Dörte Röhl © PETA Deutschland e.V.
Die Tierärztin Dörte Röhl ist Fachreferentin bei PETA und steht in Kontakt mit Tierschützern in der Ukraine.

Tierschützer von Animal Rights Switzerland/France und viele Tierfreunde werfen der Stadtverwaltung der ukrainischen Hauptstadt Kiew - Austragungsort des Eurovision Song Contest 2017 (ESC) - vor, das Töten von Hunden in Auftrag gegeben zu haben. Über die Situation der Straßenhunde allgemein haben wir mit der Tierärztin Dörte Röhl gesprochen. Sie ist Fachreferentin für Tierische Mitbewohner der Tierschutzorganisation PETA Deutschland e. V. Die Organisation arbeitet unter anderem auch mit Tierschutzvereinen in der Ukraine zusammen und kennt die Problematik der Hundetötungen.

Frau Röhl, nicht nur in der Ukraine gibt es Probleme mit Straßenhunden. In vielen europäischen Ländern gehören sie zum Bild der Städte. Wo liegt der Ursprung dieses Problems?

Zwei Hunde liegen auf einem Gehweg vor einem Geschäft in der Ukraine. © PETA Deutschland e.V.
Straßenhunde sind ein Problem in vielen Ländern - auch in der Ukraine.

Dörte Röhl: Die eigentliche Ursache für Straßenhundpopulationen ist ganz klar der Mensch, da er seine Tiere nicht kastriert und somit die Fortpflanzung unterbindet. Heimatlose Hunde sind Nachkommen unserer "Haushunde", daher tragen wir eine besondere Verantwortung für ihr Wohlbefinden. Privathaushalte sorgen für permanenten Nachwuchs - dieser wird oftmals einfach herzlos ausgesetzt und pflanzt sich selbst weiter fort. Durch das Wegfangen von Hunden verbessern sich die Überlebenschancen der verbliebenen Tiere. Sie vermehren sich unkontrolliert. Für Hunderttausende Hunde und Katzen ist dieses Leben ein täglicher Überlebenskampf.

Wie schätzen Sie die Situation der Straßenhunde in der Ukraine allgemein und in Kiew im Besonderen ein? Liegen PETA konkrete Hinweise vor, die darauf schließen lassen, dass die Stadtverwaltung von Kiew die aktuellen Tötungen aufgrund des ESC in Auftrag gegeben hat?

Röhl: Von einem befreundeten Tierschutzverein, deren Mitarbeiter sich selbst vor Ort ein Bild von der Lage verschaffen konnten, haben wir erfahren, dass aktuell tatsächlich Hunde in Kiew getötet werden. Es ist richtig, dass vor allem im Bereich des Veranstaltungsortes für den ESC vermehrt "Streuner" getötet wurden. Diese Hundetötungen sind allerdings keine von der Stadt angeordneten Tötungen, sondern durch sogenannte illegale Doghunter ausgeführt worden. Die Stadt Kiew hält an ihren bereits seit Jahren bestehenden Verträgen mit Tierschützern fest - sie spricht sich ganz klar gegen das Töten von sogenannten Straßenhunden aus. Einen offiziellen Tötungsauftrag von der Stadt hat es nach unserer Information im Rahmen des ESC zu keiner Zeit gegeben. Massentötungen wie im Jahr 2012 (Anm. d. Red.: zur Fußball-EM) sind weder geschehen noch geplant. Die Stadt hat in Kooperation mit den Tierkliniken in Kiew seit 2012 die Kastrationsprojekte ausgebaut. Das Töten von "Streunern" ist verboten.

Wie laufen die Kastrationsprogramme vor Ort ab und wie engagiert sich PETA in der Region?

Zwei Hunde stehen zwischen Bahngleisen in der Ukraine. © PETA Deutschland e.V.
Tierschutzorganisationen fördern Kastrationsprogramme, nach denen streunende Hunde eingefangen, kastriert und wieder freigelassen werden.

Röhl: Die einzige zukunftsfähige und tierwürdige Lösung zur nachhaltigen Populationskontrolle sind flächendeckende Kastrationsprogramme. Die Methode "Neuter & Release" (Anm. d. Red.: Kastrieren & Freilassen) sieht vor, heimatlose Tiere behutsam einzufangen, zu kastrieren, tierärztlich zu versorgen, zu impfen und anschließend in das vertraute Revier zurückzusetzen; dort müssen sie dann weiterhin versorgt werden. Langzeitstudien belegen die Wirksamkeit von "Neuter & Release". Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt diese Methode in ihren "Guidelines for Dog Population Management". Zusätzlich sind flankierende Maßnahmen - zum Beispiel eine Kastrations- und Registrierungspflicht für tierische Mitbewohner in Privathaltung und eine Einschränkung der Zucht zum Schutz der Tiere - unabdingbar. Ebenso muss das Aussetzen von Tieren verboten werden. Derartige Programme laufen in Kiew seit 2012 gemeinsam mit den Tierkliniken der Stadt. Zudem soll es laut lokaler Tierschützer regelmäßige Treffen von Bürgermeister Klitschko beziehungsweise seinen Assistenten mit den Tierschützern vor Ort geben, um die Problematik langfristig noch besser beherrschen zu können.
Wir von PETA fordern zukunftsfähige Kastrationsprogramme bereits seit Jahren und klären die Bevölkerung über die Straßenhundproblematik auf. Parallel dazu stärken wir den Tierschutz vor Ort dadurch, dass wir das Leiden und die Not nach außen tragen. Wir betrachten die Situation vor Ort genau und lassen nicht locker, bis sich die Situation für die Tiere konkret verbessert hat. Und ob das der Fall ist, da vertrauen wir den Aussagen der Bevölkerung, nicht den Behörden.

Welche Rolle spielen die Doghunter? In welchem Auftrag handeln sie oder sind sie rein privat organisiert um möglicherweise an den Fellen Geld zu verdienen?

Röhl: Die Doghunter agieren im Verborgenen und führen illegale Hundetötungen, die nicht von der Stadt Kiew in Auftrag gegeben wurden, durch. Vermutlich verdienen sie damit gutes und leicht verdientes Geld. Die Auftraggeber sind unbekannt. Im Schutz der Dunkelheit können Doghunter unbehelligt Hunde erschießen und auch jede Privatperson kann Gift auslegen, ohne dass dies kontrollierbar ist. Erinnern möchten wir auch an die vielen Giftköderattacken in Deutschland, die nicht staatlich verhindert werden können.

Was raten Sie Tierfreunden, wie können sie den Hunden helfen?

Gefangene Hunde in einem Käfig in der Ukraine. © PETA Deutschland e.V.
Das Mitnehmen von ausländischen Straßenhunden nach Deutschland hilft zwar einzelnen Tieren, ändert aber nichts am Grundproblem heimatloser Hunde in den Herkunftsländern.

Röhl: Die Streunerproblematik muss langfristig angegangen werden, die Veränderung muss in den Köpfen der Menschen geschehen. Jeder kann durch Aufklärung dazu beitragen, dass "Haushunde" kastriert werden. Eine Mitnahme der Hunde nach Deutschland empfehlen wir nicht. Die Mitnahme eines tierischen Mitbewohners aus dem Ausland hilft zwar dem einzelnen geretteten Tier und verändert seine ganze Welt, löst jedoch nicht das Grundproblem im Land selbst. Wir von PETA fordern grundlegende und nachhaltige Vor-Ort-Maßnahmen wie Kastrationsprojekte, um die strukturelle Problematik dauerhaft zu verändern. Wer selbst nicht die Möglichkeit hat, sich einzusetzen, kann die Tierheime und Tierschutzvereine auch finanziell durch Spenden unterstützen.

 

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 13.05.2017 | 21:00 Uhr

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