Stand: 04.05.2009 13:15 Uhr

"Super-Gipsy" fliegt im Auftrag der Hoffnung

Sie zählen nicht zu den Top-Kandidaten des Eurovision Song Contest und doch haben sich die Tschechen von Gipsy.cz Höheres auf ihre Fahnen geschrieben. Frontmann Radoslav Banga will als "Super-Gipsy" auf die Lage der Sinti und Roma aufmerksam machen.

eurovision.de: Die Teilnahme am ESC bereitet Ihnen sichtlich Freude...

Radoslav Banga: Eigentlich ist es ein Wechselbad der Gefühle. Einerseits weiß ich, es ist harte Arbeit, andererseits will ich auch meinen Spaß haben und kann nicht verstehen, dass so viele Leute hier die Sache so fürchterlich ernst nehmen.

eurovision.de: Sie nehmen den ESC also nicht ernst?

Radoslav Banga: Wenn man an einem so großen Ereignis wie dem ESC teilnimmt, darf man die Dinge nicht zu ernst nehmen, denn es geht ja schließlich um Show, und wie will man eine gute Show machen, wenn man durch und durch ernst ist. Wir wohnen in schönen Hotels, man kümmert sich um uns, es gibt leckeres Essen, das Wetter ist toll – es gibt also keinen Grund, so verbissen zu sein. Man kann doch auch ein ernstes Anliegen haben und trotzem mit Spaß dabei sein.

eurovision.de: "Aven romale" erinnert streckenweise an die „Bohemian Rhapsody“ von Queen. Ist das Absicht?

Radoslav Banga: Ja, ich werde für die Show auch wie Freddie Mercury zurechtgemacht. Ich will ihn nicht nachahmen, sondern es ist meine persönliche Hommage an diesen wunderbaren Künstler und seine Musik. Er war ein Geschenk Gottes.

eurovision.de: Empfinden Sie Ihren extravaganten Auftritt als Risiko?

Radoslav Banga: Und wie! Die Bühne ist spiegelglatt und meine Superhelden-Stiefel haben kein Profil. Ich könnte mir dort vor 100 Millionen Zuschauern den Hals brechen. Aber im Ernst: Ich kenne die Beiträge der anderen Länder, und wir sind schon ziemlich anders. Darum ist es auch so wichtig, Spaß zu haben. Denn nur wenn der Spaß, den wir haben, auf die Zuschauer überspringt, haben wir eine Chance.

eurovision.de: Ist der Humor ihres Beitrags tschechischer Humor oder Roma-Humor?

Radoslav Banga: Es ist mein Humor. Aber natürlich verstehe ich mich als Repräsentant der Roma, denn ich weiß, mit welchen Problemen sie zu kämpfen haben. Es gibt viele gebildete, ambitionierte Sinti und Roma, die etwas aus ihrem Leben machen möchten. Leider sehen die Menschen vor allem in Osteuropa es nicht gern, wenn wir Erfolg haben.  Für sie gibt es nur die "bösen Zigeuner". Darum wünsche ich mir, den Wettbewerb zu gewinnen, nicht nur für Tschechien, sondern für die Sinti und Roma. Ein Roma, der den ESC für Tschechien gewinnt – das klingt so unglaublich, dass ich mich kaum traue, es auszusprechen.

eurovision.de: Glauben Sie, das tschechische Fernsehen CT hat sie gezielt ausgewählt, weil es auf die Punkte der Roma-Minderheiten in vielen europäischen Ländern spekuliert?

Radoslav Banga: Nein, ich denke, sie suchten einfach nach konkurrenzfähigen Teilnehmern. Das Problem ist, dass Tschechien ein Rock-Land ist. Die Menschen hören dort gerne Musik wie die von Kabát, die aber beim ESC keinen Erfolg hat. Es gibt kaum gute Popsänger im Mainstream-Bereich, die mit dieser Show kompatibel wären. Aber wenn Sinti und Roma eines können, dann ist es Show, und darum passen Gipsy.cz sehr gut zum ESC.

eurovision.de: In jüngster Zeit gab es in Tschechien vermehrt Übergriffe auf Roma. Wie sind die Reaktionen in der Öffentlichkeit, dass ein "Zigeuner" das Land in Moskau vertritt?

Radoslav Banga: Die Mehrheit der Tschechen ist extrem fremdenfeindlich, nicht nur gegen Sinti und Roma, sondern gegen alles, das irgendwie anders ist. Dass das tschechische Fernsehen uns unterstützt, ist also eigentlich paradox. Aber dieses Signal kommt gerade zum rechten Zeitpunkt: Jedes Wochenende ziehen bei uns Neonazis durch die Straßen, Roma werden angegriffen, erst vor wenigen Tagen musste nach einem Brandanschlag ein zweijähriges Mädchen mit schwersten Verbrennungen ins Krankenhaus eingeliefert werden. Auch deshalb sind wir hier.

eurovision.de: Sie treten als Superheld auf. Was kann "Super-Gipsy" denn für seine Landsleute tun?

Radoslav Banga: Er kann ihnen Hoffnung geben. Wenn zum Beispiel die Roma-Kinder auf den Bildschirm zeigen und rufen: "Schau mal, da steht ein Super-Gipsy auf der Bühne, der hat es geschafft. Und wenn er es geschafft hat, dann kann ich es auch schaffen." Und auch den Tschechen soll er Hoffnung geben. Sie sollen wissen, dass auch ich stolz darauf bin, Tscheche zu sein, dass ich mein Land liebe, meine Heimat, meine Sprache. Dass wir nicht nur Probleme bereiten. Und vielleicht können wir dann eines Tages ohne diese Probleme zusammen leben.

Vielen Dank für das Gespräch!

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 16.05.2009 | 21:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

2009

Tschechien