ESC des Leitungswassers?
Soviel lässt sich sagen: Malmö ist so übersichtlich, so sehr das Gegenteil von Baku oder Istanbul oder Athen, dass es einen wundert. Ach, man kann in einer Kleinstadt auch so’n Ding veranstalten? Ja, offenbar. 21 Jahre nach dem ersten Grand Prix Eurovision ist das Raumschiff Eurovision wieder in Skane aufgeschlagen – und eine Stadt mit 300.000 Einwohnern nimmt sich natürlich kleiner, ja, kleinstädtischer aus als in dem lauten Moloch namens Baku. Aber das war ja auch Absicht: Stockholm hatte sich nicht ebenso engagieren wollen wie die Stadt am Südzipfel Schwedens. Die Stadt ist insofern eine perfekte Spielfäche für ein Festival, das Dank der Fans zu mehr als einem TV-Ereignis europäischen Kalibers wird.
So trifft man sich überall. Alle, die man Jahre kennt oder erst seit Düsseldorf oder Oslo oder eben Baku. Alles werde kleiner, sagten die Organisatoren vom schwedischen Fernsehen SVT. Und so ist es tatsächlich, so mein Eindruck nach einem Tag. Das Pressezentrum – eben erst eröffnet. Der Euroclub im Schlachthof am alten Hafen – auch nicht gerade ein Haus, in dem es vor Leuten nur so wimmelt. San Marinos Party mit Ralph Siegel und Valentina Monetta – ein Ereignis begrenzter Reichweite. Immerhin: Man hörte die Sängerin mit einer jazzigen Version ihres ESC-Liedes – sehr hübsch dargeboten.
Man sieht auch keine Verkehrsstaus – aus der Perspektive von türkischen Fans (nur vereinzelt hier in Südschweden, ihr Land nimmt ja nicht teil) oder eben aus Aserbaidschan ist Malmö eine ruhige, beinahe dörfliche Angelegenheit. Schmetterlinge, immerhin, symbolisieren den ESC, man sieht sie im Innenstadtbild beinahe überall. Das Euro-Village ist kurz vor der Fertigstellung. Auf deren Bühne wird von sofort an Kultur der ESC-Woche geboten – u.a. mit der Veteranin Siw Malmkvist und der einstigen Siegerin Charlotte Perrelli (1999 noch unter dem Familiennamen Nilsson).
Im Pressezentrum gibt es Kaffee und Tee, sogar, die Ökozeiten sind jetzt auch beim ESC angekommen, laktosefreie Milch. Man könnte sagen: Die erste Milch dieser Art in der ESC-Geschichte. Die Computer, die frei benutzbar sind, waren noch nicht aufgestellt – dafür waren überreichlich grüne Halbliterflaschen vorhanden. Das sind Gadgets für die Akkreditierten, denn freies Edelmineralwasser gibt es nicht, dafür “Tap Water”, Leitungswasser. Das sei gleich gut mit der käuflichen Ware aus dem Supermarkt – eigentlich sei das Malmöer Wasser aus der Leitung besser als alles, was man für Geld erwerben könne.
Alles hat eine gewisse schwedische Kühle – aber es ist perfekt organisiert. Die Züge zwischen Halle und Innenstadt fahren irgendwie im Minutentakt: Die Linie von Kopenhagen ins schwedische Hinterland ist von modernstem Betondesign, sehr neu, sehr unbeschmutzt, sehr steril.
Ließe sich die These aufstellen: Malmö ist der ESC, bei dem Ökoregeln wie Fairness groß geschrieben (fairer Kaffee und so) werden. Und doch beschleicht mich das Gefühl, dass man es professionell und gut organisieren möchte, denn niemand soll sich beschweren – und trotzdem fühlt es sich wie Sparsamkeit an, die sich wie Anti-Opulenz anfühlt, nach Baku, als im Pressezentrum Obst, Küchlein, Joghurt, Nüsse und Rosinen bereit gehalten wurden. Damit will ich nicht sagen, dass man das in Malmö ernsthaft vermisst. Aber es sieht eben karg aus, leider.
Die Proben der Künstler? Routiniert, gut – und wie immer: Es lässt sich nichts Genaues sagen. Proben sind keine Ernstfälle. Malmö ist offenbar der erste ESC, der realisiert, was sich die European Broadcasting Union wünscht: Schluss mit dem “immer größer, immer mehr, immer fetter”. Ist okay. Denn verglichen mit dem ESC vor 21 Jahren am gleichen Ort ist dieser immer noch riesengroß angelegt. Eine Stadt der Multikulturalität mit 175 verschiedenen ethnischen Gruppen in allen Vierteln – das ist beeindruckend. Die Welt kommt nicht nach Malmö, sie war und ist längst da.
Cascada wird Samstagnachmittag erwartet, Sonntag ist die erste Probe. Unter Fans wird Natalie Horler als heißeste Außenseiterin auf einen Top-3-Platz gehandelt. Es werden gute Tage, das ist gewiss!