Stand: 29.09.2017 14:39 Uhr

Erinnerungen an Soul-Gigantin Joy Fleming

Sängerin Joy Fleming lächelt bei einer Aufnahme aus dem Jahr 2006 in Bad Münstereifel (Nordrhein-Westfalen). © dpa-Bildfunk Foto: Horst Ossinger/dpa
Joy Fleming ist im Alter von 72 Jahren gestorben.

Aus der Sicht eines Teenagers, der ich damals war, lagen die Dinge so: Mit Joy Fleming, mit "Ein Lied kann eine Brücke sein" kann, ja, muss Deutschland den ESC 1975 in Stockholm gewinnen. Die Vorentscheidung, okay, die hatte sie zuvor im Februar 1975 nur knapp gewonnen, Peggy March lag nur sehr knapp hinter ihr. Aber am Ende hatte Joy Fleming - die beste deutsche Pop-, Rock- und Soulstimme - die Nase vorn. Hinter ihr lag damals, neben der March, die versammelte deutsche Schlagerprominenz: Séverine, Jürgen Marcus, auch Katja Ebstein und Mary Roos.

"Ein Lied kann eine Brücke sein"

Der Titel "Ein Lied kann eine Brücke sein" wurde vom genialen Toningenieur Rainer Pietsch in monatelanger Feinstarbeit am Mischpult zusammengebosselt. Eine dreiminütige Kaskade an nervös arrangierten Tönen, 180 Sekunden Spannung, Schwung und Geschwindigkeit - genug Platz zwischen den Melodielinien des Liedes, um der Fleming Raum zu geben, um beispielweise zum Schlussrefrain noch mal so richtig die Röhre auszupacken. Mit diesem Lied musste sich Deutschland nicht schämen im internationalen Konzert, hier war keine Seichtheit, keine schwarz-rot-goldene Niedlichkeit am Start. Das war entschlossen, packend und fröhlich intonierte Power.

Auftritte in Bars für US-Soldaten

Joy Fleming war schon immer ihren eigenen Weg gegangen, fiel früh auf, tanzte aus der Reihe. Sie wurde 1944 als Erna Raad in der Pfalz geboren und wuchs in Mannheim auf. Bis 1975 ersang sie sich einen guten Ruf, performte als "Joy & The Hit-Kids" und zeigte mit dem kleinen Hit "Neckarbrückenblues", dass deutsche Unterhaltungsmusik nicht bräsig oder schunkelig klingen muss. Da war eine, die sich stimmlich an US-amerikanischen Vorbildern orientierte, und entsprechend erste Livemeriten in Soldaten-Bars in Mannheim sammelte.

1975 für Deutschland zum Grand Prix

Joy Fleming beim deutschen Vorentscheid 1975 © dpa Foto: Heinz Wieseler
Joy Fleming gewinnt den deutschen Vorentscheid 1975 mit "Ein Lied kann eine Brücke sein".

Joy Fleming, das war in Sachen Grand Prix 1975 eine Sensation. Kann eine so füllige Person Deutschland beim Grand Prix Eurovision de la Chanson vertreten? Wäre es überhaupt denkbar? Der Hessische Rundfunk wagte mit ihr in gewisser Weise ein Experiment. Bis zu diesem Jahr kamen überwiegend Schlagerfiguren zum ESC-Kandidateneinsatz. Die sogenannte neue Musik, ob Rock oder Liedermacherei, hatte es schwer. Zumal die meisten der Interpreten der "neuen Musik" nicht das Risiko eingehen wollten, nicht zu gewinnen, gegen einen Schlager ins Hintertreffen zu geraten. Udo Lindenberg oder Inga Rumpf etwa scheuten diese Show.

Joy Fleming dagegen nicht: Sie galt als eine, die die amerikanischen Disziplinen der Show aus dem Effeff beherrschte. Sie sang, weil es ihr Spaß machte, weil sie zu imponieren wusste mit ihrer über vier Oktaven reichenden Stimme.

Enttäuschende Niederlage

In Stockholm schließlich sang sie ihr "Ein Lied kann eine Brücke sein" mit der letzten Strophe auf Englisch - und es reichte trotzdem nur zum 17. und drittletzten Platz. Die Fleming war bitter enttäuscht. Noch auf dem Heimflug beschwerte sie sich, hätten ihr die Verantwortlichen vom Hessischen Rundfunk nicht das dunkelgrüne Kleid aufgezwungen und stattdessen "a schicke Hose'anzug" erlaubt, wäre die Chose besser ausgegangen. Die Fleming nahm ihre Niederlage nie mit rechter Würde.

Porträt
Joy Fleming singt bei der Vorentscheids-Gala © NDR Foto: Uwe Ernst

Joy Fleming: Die große Stimme

Sängerin Joy Fleming besaß eine große musikalische Bandbreite. Ihr Song "Ein Lied kann eine Brücke sein" wurde zum ESC-Kulthit. Nun ist ihre Stimme für immer verstummt. mehr

Dass sie sich damals nicht weiter vorne wiederfand, war ihr viele Jahre ein Dorn im Auge. Sie lästerte bei jeder sich bietenden Gelegenheit über die "Mäuschen und Stimmchen", die beim ESC zum Einsatz kamen, national wie international. Das wurde mit dem Älterwerden - beruflich ebenso ehrgeizig wie einst - auch nicht anders. Ich kann nicht verhehlen, dass mir diese rohe Unverblümtheit gefiel. 2001, nachdem Joy Fleming mit den Mitsängerinnen Lesley Bogaert und Brigitte Oelke ("Power of Trust") beim Vorentscheid in Hannover knapp nur Zweite wurde, ließ es sich die Gepriesene nicht nehmen, Michelles ESC-Titel "Wer Liebe lebt" in "Wer Lieder quält" umzudichten. Und, ehrlich gesagt, verblüffend piepsig-schön zu intonieren.

Eine Frau der klaren Worte

Ja, das war sie auch, die Joy. Journalisten wie mir gegenüber nahm sie bei Interviews in den letzten 20 Jahren kein Blatt vor den Mund, wenn es darum ging, stimmliche Unbeholfenheiten von Kollegen und Kolleginnen zu benennen. Das machte ihr wahrlich nicht viele Freundinnen und Freunde - aber sie lag ja nie so ganz falsch. Gut sprach sie stets nur von jenen, die ihr gerade dienten oder ihr nahe waren: die eigene Familie, natürlich, ansonsten Kollegen und Kolleginnen, wenn sie mit ihnen ein Projekt zu bestreiten hatte. Wer aber mit einer solchen Stimme gesegnet ist, kann sich viel erlauben und muss dem musikbranchenüblichen Schönreden nicht folgen.

Schub für Karriere

Andererseits: Dass sie so unerwartet schlecht in Stockholm abschnitt, machte ihrer Karriere richtig Beine. Ein 17. Platz beim verhassten ESC - aus der Perspektive der "Nichtschlagerleute" - das war ein Lob auf die Sängerin. Joy Fleming lebte viele Jahre vom Image, unter Wert geschlagen worden zu sein. In die Säle und Clubs, die Veranstaltungsorte, wo sie Station machte, zog es das Publikum in Massen.

Joy Fleming und Jambalaya singen am 22.2.2002 in der Kieler Ostseehalle bei der Generalprobe zur deutschen Vorentscheidung für den Grand Prix Eurovision 2002. Mit "Joy To The World" kam sie auf 32,5 Prozent der Zuschauerstimmen und somit auf Platz 2. © Picture Alliance Foto: Wulf Pfeiffer
Deutscher Vorentscheid 2002: Joy Fleming und Jambalaya landen mit "Joy To The World" auf dem zweiten Platz.

Die ESC-Geschichte notiert die Fleming noch für das Jahr 1986, als sie mit einem Sänger namens Berry im Duett bei der deutschen Vorentscheidung antrat und den vierten Platz belegte. 2002 wiederholte sie, nach 2001, einen zweiten Vorentscheidungsplatz mit "Joy To The World" - mit anschließender Albumveröffentlichung.

Eines steht fest: Joy Fleming war zeitlebens eine Große, ein Meilenstein, ein Gigant der deutschen Popmusik der Nachkriegszeit. Und, ehrlich gesagt, ich finde immer noch, dass der Titel "Ein Lied kann eine Brücke sein", es verdient gehabt hätte, den ESC 1975 zu gewinnen. Es war eine bittere Enttäuschung für mich als Teenager, dass die Jurys dieses Juwel nicht mit Punkten belohnten.

Joy Fleming ist am 27. September in ihrem Haus in Hilsbach bei Sinsheim im Alter von 72 Jahren gestorben - wie es seitens ihrer Angehörigen heißt, friedlich. Sie saß auf dem Sofa und wurde von ihrem Lebensgefährten Bruno leblos vorgefunden. Käme sie jetzt in den Himmel - sie möge dort oben allen mit ihrer Stimme tüchtig einen vorröhren. Warum? Weil sie es immer konnte. Sie ruhe in Frieden!

 

Dieses Thema im Programm:

NDR Blue | ESC Update | 21.10.2017 | 19:05 Uhr

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