Plagiat oder nicht - Wer beantwortet das?
Kaum stehen die 40 Beiträge für den 60. Eurovision Song Contest in Wien fest, werden auch schon die ersten Plagiatsvorwürfe laut. Das ist keineswegs ein neues Phänomen, wie Jan Feddersen in seinem Blog dargelegt hat. Doch noch nie hat sich ein solcher Vorwurf als derart begründet erwiesen, dass es im Nachhinein zu einer Disqualifikation gereicht hätte. Allerdings wurden die irischen ESC-Gastgeber 1995 durch ihren eigenen Beitrag schon einmal ziemlich in Verlegenheit gebracht: Der Titel "Dreamin" von Eddie Friel wurde im Vorfeld des ESC heftig als Plagiat des Songs "Moonlight" der US-amerikanischen Folk-Sängerin Julie Felix kritisiert. In der Folge einigte man sich dahingehend, dass Irland im Falle eines Sieges der erste Platz aberkannt würde - wobei die Wahrscheinlichkeit für ein solches Ereignis bei etwa 1:330.000 lag. Kein großes Risiko also für die EBU, aber ein heftiger Imageschaden für das irische Fernsehen RTE.
Nach bestem Wissen und Gewissen
Eine ähnlich unerfreuliche Erfahrung musste auch das österreichische Fernsehen 2002 mit dem Beitrag "Say A Word" von Manuel Ortega machen. Hier wurde wochenlang darüber diskutiert, ob der Titel nicht doch einen Tick zu viel Ähnlichkeit mit dem Rocksong "All Right Now" von Free aufweisen würde. Prof. Harald Huber von der Universität für Musik und Darstellende Kunst in Wien konnte damals Entwarnung geben - und wurde in der Folge vom ORF darum gebeten, die nationalen Einreichungen regelmäßig auf eine eventuelle juristische Angreifbarkeit zu prüfen. "Es hat da immer wieder Ergebnisse gegeben, die dazu geführt haben, dass einzelne Songs herausgefallen sind oder umgearbeitet werden mussten - auch in diesem Jahr", verrät der Musikwissenschaftler und räumt gleichzeitig ein: "So etwas kann man natürlich nur nach bestem Wissen und Gewissen machen, weil es niemanden gibt, der alle Musikstücke der Welt kennt."
Transkribieren - analysieren - disqualifizieren
Doch wie funktioniert eine solche Plagiatsprüfung überhaupt? "Ich habe alle Musikstücke minutiös transkribiert (als Notentext aufgeschrieben, Anm. d. Red.) und mit Material aus meinem Fundus bzw. dem Fundus des Instituts für Popularmusik verglichen", erklärt Huber. Dabei verwendete der Popularmusikforscher auch elektronische Hilfsmittel wie SoundHound und andere vergleichbare Apps. Im Rahmen der Prüfung untersuchte er neben der Melodie auch die Akkordstruktur und den formalen Aufbau des Liedes - also welche Funktion die fragliche Passage in dem Song hat. "Wenn dann herauskommt, dass der Chorus (der Refrain, Anm. d. Red.) identisch ist mit dem Chorus eines Musikstücks, das es schon längst gibt, ist Alarmstufe Rot gegeben", erzählt der Plagiatsprüfer. Stilkopien, also Titel, die den Sound eines bestimmten Künstlers nachahmen, fallen dagegen nicht unter den Plagiatsbegriff.
Richterliche Entscheidung
Das Problematische bei Plagiaten ist, dass selbst bei gutachterlich nachgewiesenen Ähnlichkeiten mit bestehenden Musikstücken der Verstoß gegen das Urheberrecht durch ein Gericht festgestellt werden muss. "Es gibt keine Regel die besagt, dass zum Beispiel bei der Übereinstimmung von zwei Takten ein Plagiat vorliegt. Da steht dann oft Gutachten gegen Gutachten. Letztlich ist das eine richterliche Entscheidung", weiß Huber. Und die kann sich über mehrere Jahre hinziehen, wie das wohl berühmteste Plagiatsverfahren der Musikgeschichte um den Song "My Sweet Lord" von George Harrison, das ganze 27 Jahre dauerte! Dazu kommen Veränderungen der Rechtslage. So wurde erst kürzlich von einem US-amerikanischen Gericht befunden, dass schon die Anlehnung an einen bestimmten Rhythmus bzw. Beat einen Verstoß gegen das Urheberrecht begründen kann. Kein Wunder also, dass das EBU-Reglement alleine die Vorveröffentlichung eines Beitrags als Disqualifikationsgrund vorsieht - und die Prüfung eventueller Plagiate den nationalen Fernsehanstalten überlässt.