Stand: 16.09.2016 17:33 Uhr

Keine Raab-Show - wozu auch?

Publikum vor einer Bühne. © fotolia Foto: Melinda Nagy
Am 9. Feburar wird die Entscheidung in Köln gefällt: Wer fährt nach Kiew und vertritt Deutschland beim ESC 2017?

Dass der deutsche Vorentscheid "Eurovision Song Contest - Unser Song 2017" am 9. Februar 2017 in Köln veranstaltet wird - und damit in den Räumen, in denen Stefan Raab vor wenigen Jahren erst Lena Meyer-Landrut und später Roman Lob zu ESC-Erfolgen führte - stieß in den ESC-Foren auf viel Anerkennung. Und in den diversen Online-Medien erzielt der ESC eine starke Resonanz wie schon lange nicht mehr.

Ist der Sender der Prügelknabe?

Der bekannte Blogger und "FAZ"-Autor Frank Lübberding reagierte auf dem Medien-Watchblog "Altpapier" wie folgt auf die Bekanntgabe des Prozederes für den Vorentscheid sowie meinen auf eurovision.de erschienenen Kommentar dazu:

"Es gibt ein hervorragendes Beispiel, wo die Meinungsbildung beim Publikum nicht funktioniert. Es geht um die deutschen Beiträge zum europäischen Gesangswettstreit namens ESC. Sie wurden immer vom Publikum ausgewählt, das aber nach dem Ende des Wettstreites nie für die doch recht kläglichen Ergebnisse zur Rechenschaft gezogen worden ist. Diese Rolle des Prügelknaben übernahm anschließend der NDR, weil er bekanntlich die deutsche Vorentscheidung organisiert."

Dem stimme ich zu, Prügelknabe ist am Ende immer der Sender, wenn er seinem Publikum keine herausragende Platzierung bieten kann. Nichtsdestotrotz will das Publikum selbst entscheiden, wer Deutschland beim Eurovision Song Contest vertritt. Das belegen die Diskussionen der Vergangenheit ebenso wie das vielfache Lob zum aktuell vorgelegten Konzept.

Ein Abo auf eine gute Platzierung könnte auch Raab nicht liefern

Lübberding weiter zum Vorentscheid: "Allerdings hat sich das Publikum in den vergangenen Jahren zielgenau für die falschen Stücke entschieden. Warum soll das jetzt anders sein? [...] Aber sinnvoller wäre es wahrscheinlich gewesen, wenn Stefan Raab alleine den deutschen Beitrag aussuchen könnte. Wenigstens wenn es bei dieser Veranstaltung nur noch um die Erfolgsaussichten eines deutschen Beitrages gehen sollte. So hätte man auch jemanden, den man anschließend für das klägliche Abschneiden des deutschen Liedgutes verantwortlich machen könnte. Das Publikum fühlt sich leider nie verantwortlich."

Unser Song 2017
Mikrofon und Bühnenaufbau (Collage)

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Hierzu sei angemerkt, dass Raab weder 2004 (Max Mutzke) noch 2010 (Lena Meyer-Landrut) noch 2012 (Roman Lob) die Entscheidung über die deutsche ESC-Fahrkarte allein getroffen hat. Auch wenn es seine persönlichen Favoriten gewesen sein mögen, die am Ende am ESC teilgenommen haben: Mutzke musste sich gegen Scooter durchsetzen, Lena war ohnehin der Darling der Saison und brauchte Raab nicht - und Roman Lobs Sieg im Vorentscheid war ziemlich knapp. Lübberding wiederholt hier nur ein klassisches Vorurteil, das in anderen Ländern des ESC auch gern gepflegt wird: Ein supertoller Beitrag, der demokratisch per Televoting legitimiert in die internationale Konkurrenz geht, muss doch bitte gut abschneiden. Tut er aber nicht zwangsläufig. Bei gut zwei Dutzend Finalplätzen gibt es kein Abonnement für einen vorderen Platz. Da kann der Beitrag eines Landes noch so triumphal aus einer Vorentscheidung hervorgegangen sein. Raab aber, um darauf zurückzukommen, wollte den ESC unbedingt ein Mal gewinnen. Und dann mit Lena im folgenden Jahr abermals antreten, weil er sie gut fand (und findet, soweit man hört).

Das deutsche "Problem" beim ESC, auf das Lübberding anspielt, ist in der Tat nicht erst seit einigen Jahren vorhanden: Deutsche Beiträge kommen sehr, sehr oft im europäischen Kontext nicht besonders gut an. Deutsche ESC-Acts, so ein britischer Journalistenkollege in den achtziger Jahren, kämen mit perfekt arrangierten Liedern - aber sie gingen nur selten ans Herz, sie berührten nicht, sie verbreiteten keine verführerische Stimmung, die zum Wiederhören einlädt. Dies ist aber in der Popmusik das entscheidende Kriterium.

Lübberdings Rat: Sich mal über sich selbst lustig machen

Dann rät Lübberding in seinem Beitrag: "Wobei man sich beim NDR vor allem die Frage stellen sollte, warum man eigentlich diese Veranstaltung nur noch aus dieser Perspektive wahrnimmt: Ob 'die Deutschen' mit ihrer Auswahl den europäischen Musikgeschmack treffen. Mittlerweile wird der ESC bei uns mit einer teutonisch zu nennenden Ernsthaftigkeit betrachtet. Stefan Raab hatte sich übrigens in früheren Zeiten über diesen Unfug lustig gemacht. Das begründete seinen Erfolg. Und nicht seine heutige Rolle als Retter der deutschen musikalischen Wettbewerbsfähigkeit in Europa."

Nie hat sich Stefan Raab wirklich über den ESC lustig gemacht, niemals. Heißt: keine Sekunde. Er ist einer der wenigen unter den deutschen Topleuten im Showbusiness, der den ESC als Sport verstand. Und damit lag er richtig. Es geht ums Gewinnen und Nichtgewinnen. Die "teutonische Ernsthaftigkeit" ist nicht deutsch, sondern eurovisionär-international: Wenn es um die pure Show geht - etwa ein sinfonisches Konzert oder ein Charity-Event, zählt diese Ernsthaftigkeit eher nicht. Beim ESC aber besieht sich ein Land das Ergebnis für einen Titel, den es per Televoting wollte. Und stellt fest: Oh, so denkt Europa über uns! Dieser Rückschluss ist zwar nicht richtig, aber die spontanen Gefühle drücken sich so aus. Man erkennt nicht mehr an, dass ein bestimmtes Lied die eurovisionären Publikumsgefühle nicht traf, sondern identifiziert sich mit einer schlechten Platzierung und glaubt, dass das ein Urteil über das eigene Land ist.

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Die Landesflagge von Norwegen © fotolia.com

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Raab kommt nicht zurück - und das ist gut so

Norwegen, Belgien und Finnland kennen sich in dieser Übung sehr gut aus: Sie belegten so oft den letzten Platz wie keine anderen. Deutschland liegt knapp dahinter. Auch Österreich oder die Schweiz trugen schon häufiger die rote Laterne. Immer denkt das Publikum in jenen Ländern, es sei mit der ästhetischen Strafe auch insgesamt missbilligt worden. Oder es belustigt sich: eine Methode, den Frust über die schlechte Platzierung zu verdauen.

Raab, das weiß ich aus Gesprächen mit ihm, wollte immer gewinnen. Aber eines wollte er noch stärker: bloß nicht Letzter werden oder Vorletzter, auf gar keinen Fall hinten landen. Daher rührt sein Ehrgeiz, das war sein Antrieb, sich dem ESC auszusetzen.

Dass Deutschland mit Elaiza oder Jamie-Lee nicht gut abschnitt, sagt etwas über die Wertschätzung für deutsche Popmusik in Europa. Vor anderthalb Jahren aber hätte Deutschland Andreas Kümmert gewollt - und weil der aus nervlichen Gründen nicht wollte, kam Ann Sophie zum Zuge.

Insofern: Jahr für Jahr ist der ESC in den Vorentscheidungen ein Ringen um die Frage, welches Lied geeignet ist, nicht ganz weit hinten zu landen. Nicht mehr, nicht weniger.

N-tv hat die eigene Meldung dementiert, Stefan Raab könnte für die deutsche Vorentscheidung im Februar eine größere Rolle spielen. Das wird er nicht tun - es gibt kein Comeback. Ich finde das gut: Das nun gewählte Format für den Vorentscheid wird auch ohne den Mann funktionieren, der den ESC mit seinem Ehrgeiz prägte. Andere sind es längst auch.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 09.02.2017 | 20:15 Uhr

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