Krim beim Song Contest ukrainisch
Das ist eine tatsächlich bizarre Situation: Die Bewohner der von Russland einverleibten Schwarzmeerhalbinsel Krim stimmen am 6. und 10. Mai noch unter der Flagge der Ukraine ab. Man könnte dies auch so formulieren: Mühen der Verwaltung, zu denen auch technische Umstellungen im Kabelwesen gehören, vernebeln gelegentlich das politisch Veränderte. Zwar gehört diese Halbinsel Krim nicht mehr zur Ukraine, aber telefonisch oder was das Internet betrifft, sitzen die entscheidenden Provider nach wie vor in Kiew, in der Hauptstadt der Ukraine. Der Grund für diese politische Situation ist simpel: Die Krim ist zwar von russischen Militäreinheiten erschlossen, wenn man das mal so formulieren darf, aber eben nicht von den gewöhnlichen Dingen des Alltags. Eine Brücke zum russischen Festland ist nicht einmal in näherer Planung. Auf dem Landweg erreicht man die Krim nur über die Ukraine. Strom- und Telefonleitungen werden nach wie vor vom alten Staat aus verwaltet, nicht von Russland. Es braucht eben Zeit für technische Umstellungen, offenbar.
Krim-Anrufe lassen sich nicht rausfiltern
Das hat nun auch Folgen für den ESC: Kommenden Dienstag treten die Ukraine als auch Russland in der ersten Qualifikationsrunde für das Finale am 10. Mai an. Die Regeln des Wettbewerbs besagen, dass die Anrufer und SMS-Schreiber nicht für das eigene Lied stimmen dürfen. Jon Ola Sand, Direktor des ESC bei der European Broadcasting Union in Genf, teilte nun Mittwoch mit, dass die technischen Umrüstungen auf der Krim (und möglicherweise in der Ostukraine) erst nach dem Finale des Pop-Wettbewerbs umgesetzt werden. Die Telefonanrufe aus der Krim lassen sich nicht gesondert aus dem ukrainischen Televoting filtern - deshalb bleibe alles so, wie es in den vergangenen Jahren war. Die Krim also - ukrainisch. Potenziell drei Millionen Menschen, die einen Telefonanschluss haben, stimmen als Teil der Ukraine. Absurd? Finde ich auch. Und skurril - das finde ich erst recht. Es ist, als ob ein klassischer Nationenbegriff an den Trägheiten des Alltags scheitert.
Die politische Qualität dieser Mitteilung der EBU liegt jedoch auf der Hand: Die ukrainische wie auch die krimtatarischen Minderheiten auf der Krim können auch nicht beim ESC gegen die, wie sie es empfinden, Okkupation ihrer Heimat votieren - indem sie als Teil russischer Netze für die Ukrainerin Maria Yaremchuk anrufen. Andererseits: Wäre die Krim in puncto Telefonie schon in russische Kommunikationsnetze integriert, könnten die sich als Russen verstehenden Krimbewohner nicht für die russischen Tolmatchevy-Schwestern stimmen. Aber was weiß man schon über die Abstimmenden? Vielleicht würden Ukrainer auf der Krim, wäre diese schon russisch vernetzt, gar nicht für die Ukrainerin stimmen - weil sie ja Ende des Jahres noch ein Günstling vom geflüchteten Präsidenten Janukowitsch war.
Gesonderte Auflistung wäre spannend
Wie dem auch sei: In den Prognosen europäischer Wettbüros liegt die Ukraine ohnehin weit vorne, nur wenig dahinter die Russinnen. Dass also politische Erwägungen bei den Voten eine Rolle spielen, so Jon Ola Sand, darf angenommen werden. Aber sie werden sich nicht auswirken. Die EBU beendet mit dieser Mitteilung eine Debatte hinter den Kulissen, wie man beim ESC mit der Krimfrage umzugehen gedenke. Ich finde das gut. Mir scheint das pragmatisch und fair. Gemessen an den vielen Millionen in anderen Teilen der Ukraine (oder Russlands), die abstimmen könnten, fallen die Anrufe aus der Krim nicht besonders ins Gewicht.
Ich könnte mir jetzt wünschen, dass das Stimmverhalten auf der Krim (und der Ostukraine, wo die Kiewer Staatsgewalt inzwischen ihren Einfluss beinah vollständig eingebüßt hat) nach dem ESC extra aufgelistet wird. Es nützt aber alles Wünschen und Wollen nichts: Geht alles in den ukrainischen Televotingfluss ein, ist nicht gesondert zu rubrizieren.