Stand: 26.05.2012 13:39 Uhr

"Bitte keine Männer in Strumpfhosen!"

von Kristina Bischoff, NDR 2

Die deutsche ESC-Jury im Interview: Anke Engelke, Tim Bendzko, Ben, Sabine Heinrich und Mieze Katz, Sängerin der Band MIA., sprechen über Erwartungen, Meinungsfindung und - Strumpfhosen.

Eurovision Song Contest: Wie viele Stunden habt ihr verbracht bis zu eurer Entscheidung? Seid ihr euch schnell einig gewesen?

Die Jury: Ungefähr drei Stunden. Wir haben recht individuell gestimmt. Wir haben uns miteinander verständigt, aber nicht manipulativ, sondern extrem demokratisch mit einem großen Frei- und Spielraum. Wir kannten natürlich die Songs alle schon, insofern hatte man schon leichte Tendenzen, mit denen man ins Voting ging - aber hier ist noch viel passiert im Verlauf des Abends. Innerhalb der Gruppe hat sich viel getan, es gibt da immer Dynamiken.

Wie seid ihr euch einig geworden, was gab es da für "Dynamiken"?

Große Extreme gab es eigentlich nicht. Wir saßen ständig nebeneinander, und man hat schnell gemerkt, wer auf was achtet, und inwieweit der ESC- oder Hymnen-Gedanke mit einfließt, oder ob eben jeder Ton wahrgenommen wird. Das ist dann etwas, was individuell gevotet wurde. Das macht die Sache zum Schluss ja interessant. Die Performance hat auf jeden Fall auch eine Rolle gespielt, aber die ersten Kriterien sind Song, Künstler und Stimme. Manchmal haben wir auch die Augen geschlossen, um nicht geblendet zu werden von all der Pyrotechnik, all den Filmchen und Kostümen, und manchmal hat das eher zu meinem Eindruck beigetragen. Augen zu, Augen auf - aber die Performance zählt natürlich trotzdem mit rein. Es gab zum Beispiel eine, bei der wir mit Handzeichen abstimmen mussten, weil in den Augen mancher die Performance nicht gut zum Lied gepasst hat.

Eure Einschätzung aus dem Bauch heraus - wo wird Roman morgen landen?

Da sind wir recht optimistisch: Vielleicht Top 7, Top 5. Beim Gucken haben wir uns auch Gedanken gemacht darüber, wie die anderen nationalen Jurys zusammensitzen und was die sich fragen: Stimmt die Intonation, stimmt die Performance, mögen wir den Typen, was bringt er rüber?

Gab es Momente, in denen ihr eure Ohren wegen schiefer Töne oder Ähnlichem am liebsten völlig ausgeschaltet hättet?

Nicht wirklich. Aber im Allgemeinen versuchen viele Sängerinnen und Sänger in der kurzen Zeit, alles zu präsentieren, was sie haben, und das ist manchmal etwas anstrengend. Wenn über dreieinhalb Minuten die ganze Zeit gekreischt und alles rausgeholt wird, ist das ein bisschen schwierig. Da hat Roman auch einen großen Vorteil, weil er so was eben nicht macht. Bei den Frauen fällt auf, dass sie sportiv wirken möchten und packen da sehr viel "Olympisches" rein. Das ist manchmal so deplatziert, dass man lachen muss.

Und dieser "Heavy-Metal-Engel" natürlich. Aber das ist ja genau das, was bei so einem Contest, wenn der jährlich wiederholt wird, genau das Problem ist: Da kommt jemand, macht was völlig Neues - das ist wie bei Tokio Hotel am Anfang, jeder über 25 hat gesagt "Igitt, was ist das denn?!", und auf einmal kam die Jugendwelle und man guckt zweimal hin. So weit ist der ESC noch nicht, dass da Heavy Metal und Hardrock wirklich funktionieren. Als Band waren die aber super, der Typ war brutal aufgeregt - der hat noch nie in so einer großen Halle gesungen und das führt dann zu solchen Performances. Und zu Roman: Der hat dieses Jahr das schwerste Los seit Wencke Myhre - es ist nicht einfach, nach zwei Jahren Lena-Mania für Deutschland da zu stehen, von den "Big Five" quasi gar nicht wahrgenommen zu werden, weil man sagt "jetzt hat Deutschland mal wieder Pause im verflixten dritten Jahr".

Was möchtet ihr beim ESC nie wieder sehen?

Männer in Strumpfhosen, die Frauentänze vollziehen. Das hat keiner von uns verstanden. Es gab nämlich mehrere Länder, die versucht haben, Frauenchoreografien zu tanzen, obwohl es Männer waren. Supersong, Superstimme, und dann fangen die da an, Choreografien zu tanzen, die einfach nicht für Männer geschaffen wurden. Und wir möchten keine hyper-operierten Tanten mehr sehen - wir sind die falschen Nasen und Brüste echt leid. Das sind Gesichter, die keinerlei Leben aufweisen, und Lippen, die es so einfach nicht gibt in der Biologie. Wir hatten zum Teil Schwierigkeiten, uns auf das pure Liedgut zu konzentrieren, wenn da so ein "Gerät" steht. Das ist ganz schwer für eine Jury.

Zwischenzeitlich konnte man sich außerdem denken, es handele sich immer um denselben Song. Englisch ist halt die Sprache Nummer eins, für die sich acht von zehn Interpreten entschieden haben, und da wäre etwas mehr Identität wünschenswert. Mehr "Wo kommst du her, was ist deine Geschichte?"

Ist es berechtigt, dass Schweden und Italien favorisiert werden?

Das Schwedenmädchen hat eben nicht den Eindruck gemacht, dass sie rüberkommt wie alle. Da war mir die Sprache sogar fast egal, ich hatte wirklich das Gefühl: Die singt mit ihrem Herzen. Was sie da singt, ist einfach bei uns angekommen, und bei manch anderem wirkt es oberflächlicher.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 26.05.2012 | 21:00 Uhr