Stand: 01.10.2015 00:01 Uhr

Ralph Siegels Leben in zehn Songs

Am 30. September 2015 ist Ralph Siegel 70 Jahre alt geworden. Ein Alter, in dem man eine Autobiografie verfassen kann. Und genau das hat er jetzt auch getan. Ein 480 Seiten starkes Werk über sein Leben und Wirken und der Eurovision Song Contest spielt darin natürlich eine große Rolle.

Auch eurovision.de traf den "Gottvater" des Eurovision Song Contest zu einem ganz besonderen Interview. Ralph Siegel über Höhepunkte und Niederlagen seines Lebens am Beispiel von zehn Songs.

Herr Siegel, ich nenne Ihnen nacheinander zehn Songs. Und Sie antworten, was Ihnen dazu einfällt. Fangen wir Ende der 70er-Jahre an: 1979 "Dschinghis Khan" von Dschinghis Khan.

Ralph Siegel präsentiert am 08.09.2015 seine Autobiografie in München (Bayern). © dpa Foto: Matthias Balk
Blickt mit 70 Jahren in einer Autobiografie auf sein Leben zurück: Ralph Siegel.

Ralph Siegel: Als wir in Israel ankamen, war der Song dort schon auf Nummer eins. Als wir die Halle erreichten und "Hallelujah" hörten, dachte ich: Das gewinnt sowieso. Israel gewann, aber Dschinghis Khan wurde gefeiert! Der Song hat in Israel eine ganz besondere Geschichte. Ich war vor ein paar Jahren in New York, da marschierte eine israelische Jugendgruppe bei einer Parade die Madison Avenue herunter, musizierte und sang "Dschinghis Khan". Der Song ist in Israel wie eine Hymne.

Ein Jahr später: 1980 Johnny Logan - "What's Another Year".

Siegel: Johnny Logan ist einer der wunderbarsten Künstler überhaupt. Er ist ein Vollblutmusiker. Und wir gingen damals mit "Theater" von Katja Ebstein in Den Haag ins Rennen und waren auch Mit-Favorit. Wir haben dann ja auch den zweiten Platz gemacht. Aber Johnny Logan hat eine grandiose Ausstrahlung auf Damen. Wenn er "What's Another Year" singt, dann gehen einfach die Herzen auf. Da kannst du so viele Pantomimen aufstellen wie du willst (lacht). Johnny Logan ist ein charismatischer Sänger mit unendlicher Musikalität. Ich kenne wenige Sänger, die so gut singen wie er.

Stimmt es, dass der Katja Ebstein nach der Show in den Arm genommen hat mit dem Worten: Sorry, Katja, aber ich brauche das Geld.

Siegel: (Lacht) Stimmt. Musikern geht es ja nicht immer so gut, wie man denkt. Katja geht’s leider auch nicht so gut, wie man es sich wünscht. Johnny Logan hat sich nach diesem Sieg später schwer getan und nie viele Platten verkauft. Leider, leider, leider.

Im Jahr waren Sie wieder dabei, deshalb: 1981 Bucks Fizz - "Making Your Mind Up".

Siegel: Das war für uns insofern schlimm, weil wir die Chance hatten zu gewinnen. Lena Valaitis war mit Johnny Blue haushohe Favoritin. Vor der letzten Wertung fehlten uns nur noch vier Punkte zum Sieg. Dann kamen die Punkte aus der Schweiz und wir hielten uns an der Hand fest. Dann kamen sie die 1, 2, 3 und 4 Punkte. Und wir fühlten uns schon wie die sicheren Sieger. Dann 5, 6, 7, 8 und 10. Immer noch kein Punkt, und dann gingen die zwölf Punkte an Frankreich. Die Schweiz hat uns also keinen Punkt gegeben, sonst hätten wir das Ding schon 1981 gewonnen. Aber wer weiß, ob dann überhaupt noch "Ein bisschen Frieden" gekommen wäre - das Schicksal wollte es so. Bucks Fizz haben das aber ganz süß gemacht. Der Treppenwitz war, dass ich den Song schon vor dem Wettbewerb gekauft hatte, weil ich ihn auch als Favorit sah. Die Verlagsrechte für Deutschland Österreich und der Schweiz für "Making Your Mind Up" war dann also bei uns.

Über Ihrem Sieg im Jahr darauf, haben Sie schon viel erzählt. Aber dennoch: 1982 Nicole mit "Ein bisschen Frieden". In welchem Augenblick war, Ihnen bewusst, dass Sie den ESC gewinnen werden?

Nicole nach ihrem Sieg beim deutschen Vorentscheid im März 1982.  Foto: Frank Mächler
Nicoles Siegertitel "Ein bisschen Frieden" stammt aus der Feder von Ralf Siegel.

Siegel: Ich habe gewusst, dass wir gewinnen werden, als Nicole den Song zum ersten Mal gesungen hat. Ich musste das Studio verlassen, ging in mein Büro, und mir liefen die Tränen über die Wangen, weil ich wusste, dass ich den ESC gewinnen werde. Und in Harrogate, als Nicole und ich nach der Generalprobe gemeinsam zum Hotel gingen, sahen wir uns an und sagten: Heute Abend gewinnen wir, sagen es aber niemanden.

Ein Sprung ins Jahr 1987: Johnny Logan - "Hold Me Now".

Siegel: Als ich mit der Gruppe Wind in Brüssel ankam, fragte ich: Wer singt denn für Irland, dann hieß es: Johnny Logan. Und ich: Ach, dann verlieren wir wieder! Aber ich trage keinen Groll gegen ihn. Er hat einfach diese Charismatik, die Sieger ausmacht. "Lass die Sonne in Dein Herz" war einfach wunderbar. Ich sage heute noch: Hätten wir auf Englisch singen dürfen, hätten wir eine Chance gehabt.

Beim nächsten Titel geht es um: 1999 Sürpriz - "Reise Nach Jerusalem". Nach der Show sagte mir die Sängerin Filiz stolz: "Immerhin sind wir besser als Stefan Raab." Im Vorjahr hatte Raab unter dem Pseudonym Alf Igel ja den Song für Guildo Horn geschrieben und wurde in Birmingham 7.

Siegel: Wir waren einfach erfolgreicher als Stefan Raab. Nur Stefan Raab glaubt, er war besser. Er ist einmal Fünfter und einmal Siebter geworden. (Und mit der Komposition von "Can't Wait Until Tonight" beim ESC 2004 Achter - Anmerkung der Redaktion). Das war's auch. Das muss man auch mal ganz einfach sagen, dass Stefan ein super Performer und Entertainer ist. Aber als Komponist und Produzent ist er eben über einen fünften Platz nicht hinausgekommen - und nur mit einer Klamauknummer. Ich bin acht Mal unter den ersten Vier gewesen oder besser gesagt einmal Erster, dreimal Zweiter. Da hat er noch nicht einmal hingeschnuppert, abgesehen von seiner guten und erfolgreichen Moderation bei der bezaubernden Lena.

Im Jahr 2006 war Europa geschockt - wegen Lordi - "Hard Rock Hallelujah". Waren Sie auch so baff?

Siegel: Der gute Hardrock-Lordi hat ja sogar öffentlich mein Bild aufgegessen. Das muss man erst einmal hinbekommen, dass ein Rocker öffentlich im Fernsehen ein Bild von Ralph Siegel aufisst. Da hat man es doch weit geschafft (lacht).

Im Jahr 2010 hatte Nicole endlich eine Nachfolgerin: Lena mit "Satellite".

Siegel: Ich fand Lena ganz bezaubernd. Ich habe sogar zwei Lieder für sie eingereicht, die leider von der Raab-Crew abgelehnt worden sind. Stefan hatte ja selber seine Lieder dabei. Ich fand Lena ganz süß. Ich habe in einem langen Interview für die Süddeutsche Zeitung mal so nebenbei gesagt: 'Schade, dass sie nicht jeden Ton trifft', das hat man dann zur Mördergrube gemacht. Aber Lena war ein Mädchen mit ganz viel Esprit und Charme. Das kommt einmal und vielleicht nie wieder. Aber leider fing es in diesen Jahren an, dass nur noch Amerikaner, Dänen oder Engländer die deutschen Songs komponiert haben und leider niemand mehr aus Deutschland, wo wir doch so viele gute Autoren haben.

Bei der Show im Jahr darauf in Düsseldorf waren Sie nicht dabei. Warum?

Siegel: Eine Nicole und ein Ralph Siegel waren gar nicht eingeladen. Das ist schade. Nicht einmal unter den Gästen waren wir erwünscht. Aber das bin ich gewohnt. Im Jahr 1983 wurde ich vom Bayerischen Rundfunk auch nicht eingeladen. Obwohl wir den ganzen Wettbewerb nach Deutschland geholt hatten, bekamen wir und die Eltern von Nicole nicht einmal zwei Plätze in der Sedlmayer-Halle. Ich musste mich über Israel akkreditieren und unser Siegerlied wurde in der Sendung nicht ein einziges mal erwähnt oder gespielt. Das muss man sich mal vorstellen.

Der Sieger aus dem Jahr 2012 war der seit Langem kommerziell erfolgreichste Song: Loreen mit "Euphoria". Ihr Geschmack?

Siegel: Fantastisch. Ich hab die gesehen und gesagt, die gewinnt. Sie hatte so eine starke Ausstrahlung, die Performance war gut. Der Song war gut, die Produktion war toll. Ach, das hat mich fasziniert!

Neben Loreen war in Baku auch für Sie Valentina Monetta auf der Bühne, aber auch 2013 und 2014: Valentina Monetta mit "Maybe".

Ralf Siegel spielt am Flügel für San Marino. © NDR/Rolf Klatt Foto: Rolf Klatt
Schwerkrank auf der ESC-Bühne für San Marino: Ralf Siegel 2014 in Kopenhagen.

Siegel: Also zu Valentina fällt mir nur Gutes ein. Das ist eine tolle Jazz-Sängerin. Eine gute Musikerin. Ein Mensch, der mit Musik aufgewachsen ist. "Maybe" war eigentlich nicht der Song, den ich haben wollte. Mein Favorit war der Song "Sensibilità". Aber irgendwann hat es sich ergeben, wir hatten verschiedene Leute gefragt, dass es "Maybe" wurde. Ich saß mal im Studio mit Valentina am Klavier und sie sagte: Wenn ich in Kopenhagen mit "Maybe" auftrete, dann musst du mit auf die Bühne!

Dazu ist es dann ja auch gekommen. Ich habe bei den Proben gesehen, dass Sie es nur mit Hilfe anderer überhaupt auf die Bühne geschafft hatten. Heute sehen Sie topfit aus. Wie geht es Ihnen?

Siegel: Bei "Maybe" hatte ich eine schwere Lungenentzündung und konnte wirklich nur auf die Bühne geschleppt werden. Um auf die Frage zu kommen: Mir geht's gut. Toi, toi, toi. Meine Werte sind gut - nach all den Krebsoperationen. Ich wog vergangenes Jahr 140 Kilogramm. Ich habe mit einer sehr speziellen Diät, die ich auch in meiner Autobiografie beschreibe, 40 Kilo abgenommen und fühle mich wie in einer neuen Haut. Es hilft auch meinem Geist. Ich schreibe auch viel bessere Lieder als vor ein, zwei Jahren.