Stand: 29.04.2008 21:22 Uhr

"Was ich noch zu sagen hätte..." - Ein Gespräch mit Reinhard Mey

von Jan Feddersen
Reinhard Mey, Sänger und Liedermacher © dpa
Aus der Feder von Reinhard Mey stammt der Titel "Gute Nacht, Freunde", mit dem Inga und Wolf beim Vorentscheid den vierten Platz belegten.

Es wurde auf einer deutschen Vorentscheidung bekannt, 1972, damals ausgerichtet vom Sender Freies Berlin: "Gute Nacht, Freunde" heißt das Lied von Reinhard Mey, mit dem Inga und Wolf angetreten waren und auf dem vierten Platz landeten. Kommerziell gesehen war es das erfolgreichste Lied jenes Jahres. Wir haben Reinhard Mey getroffen. Er ist ein drahtiger, sportiver Mann, 65 Jahre jung, graue Bartstoppeln, nichts an seiner Ausstrahlung hat etwas Pensionärshaftes - und warum auch, der Mann tourt ja vor ausverkauften Sälen immer noch.

eurovision.de: Wie kam es damals zur Teilnahme am Vorentscheid zum Grand Prix Eurovision?

Reinhard Mey: Das war ganz einfach. Ich hatte das Lied ja schon für mich geschrieben, es war ein Titel für meine später vergoldete LP "Mein Achtel Lorbeerblatt". Ein Produzent vom Fernsehen rief mich dann an und sagte, das Duo Inga & Wolf möchte sich für den Grand Prix präsentieren und ob ich ein Lied für sie habe. Ich sagte, kuck' selbst, was ich habe, und nimm eines!

eurovision.de: Klingt cool. Aber hätten Sie nicht selbst auf die Bühne gehen können?

Inga und Wolf bei einem Auftritt 1972 in der Sendung Studio B. © dpa-Bildfunk Foto: Wolfgang Weih
Der Vorentscheid-Song "Gute Nacht, Freunde" - gesungen von Inga und Wolf - wurde eiin Millionenhit.

Mey: Nein, auf keinen Fall, eine blutige Nase wollte ich mir nicht persönlich holen. Das Lampenfieber, die Möglichkeit, nicht ganz vorne zu landen. Nein, ohne mich, aber gegen ein Lied, das ich einreichen könnte, hatte ich nichts einzuwenden.

eurovision.de: Sie saßen an dem 19. Februar 1972 selbst im Publikum?

Mey: Na klar. Es war aufregend, zumal ja ein "Kind" von mir vorgetragen wurde. Inga & Wolf machten es sehr fein. Es war für mich das beste Lied.

eurovision.de: Waren Sie enttäuscht, dass es sich am Ende nicht mit einem Ticket für Edinburgh durchgesetzt hat?

Mey: Ein bisschen bestimmt im ersten Augenblick. Im Nachhinein aber nicht. "Gute Nacht, Freunde" hat ja dann eine stille Mörderkarriere gemacht. Es war das einzige Lied dieser Vorentscheidung, das Millionen Mal über die Theke gegangen ist. Es war eine schöne Erfahrung, einen Ballon aufsteigen zu lassen, um zu sehen, wo er hingeht. Das war toll.

eurovision.de: War mit diesem Ausflug in die Schlagerwelt ...

Mey: ... Einspruch! Der Grand Prix Eurovision war für mich nie diese Schlagerwelt, gegen die ich mit vielen anderen Liedermachern seit den 60er Jahren angesungen habe. Das war international und hieß ja auch noch  "... de la Chanson" - und wie viele Lieder gerade aus jenen Jahren gingen mir ans Herz.

eurovision.de: Welche denn?

Isabelle Aubret beim Grand Prix 1968. Bereits 1962 hatte die französische Sängerin den Wettbewerb gewonnen. © Central Press
Isabelle Aubret bei ihrem Auftritt beim Grand Prix 1968.

Mey: Ich erinnere mich an die wunderbare Isabelle Aubret 1968, als sie "La Source" sang - zum Niederknien. Oder 1970, die Irin Dana mit ihrem "All Kinds Of Everything - großartig, das Lied höre ich immer noch gerne. Ich gucke den Grand Prix immer, ich habe, glaube ich, bis heute keinen ausgelassen.

eurovision.de: Aus künstlerischem Interesse?

Mey: Auch. Und natürlich gab und gibt es schlechte Lieder. Aber auch sehr schöne. Es gab, wie im richtigen Leben, das Schlimmste und auch das Schönste. Und wie im richtigen Leben gewann leider auch nie das Schönste. Außerdem ist es spannend mit den Punkten. Ein Grand-Prix-Abend lohnt immer, selbst wenn es nur gut ist, sich über die Lieder das Maul zu zerfetzen.

eurovision.de: Haben Sie nach 1972 abermals an einem Grand Prix teilnehmen wollen?

Mey: Nein, mit einem Mal war dieses Abenteuer abgehakt. In späteren Jahren habe ich einmal in einer Jury gesessen, die vor einer Vorentscheidungssendung die Lieder aussucht, die an ihr teilnehmen. Das war wohl Ende der Siebziger. Aber als ich die Unmengen gesehen habe, die Ralph Siegel eingereicht hat, wusste ich, da hat man keine Chance. Für Autoren, die einfach nur ein Lied einreichen, eine Melodie mit Text, war es hoffnungslos. Die Sachen von Siegel waren schon alle so perfekt produziert. Ich würde aber auch sagen: Nach "Gute Nacht, Freunde" wäre es nicht mehr schön gewesen - einmal war es witzig, aber es ist nicht meine Welt. Ich bin nicht dafür, Lieder wie am Fließband zu produzieren und in einen Wettbewerb zu schicken. Musik ist nicht die Formel eins.  

eurovision.de: Warum gucken Sie heute noch, nach all der Kritik an den vielen Ländern des Eurovisionsfestivals, diese Show?

Mey: Oh, ich denke, der Grand Prix hat sich erfolgreich modernisiert. Er hat sich gewandelt - und das hat ihm gut getan. Ich kucke ihn auch, weil es immer wieder neue Facetten gibt. Wieviele Punkte gibt es für Deutschland aus Österreich? Wie geht es mit der Dominanz des Ostblocks weiter? Liegen Moldau oder Aserbaidschan vorne? Das Ding ist nicht erstarrt, es ist im Wandel - und das gefällt mit. Allein schon: Was wird dieses Jahr passieren?

Wir verabschieden uns voneinander, die Überraschung war perfekt: Der Mann, der vor Jahren den "Echo"-Preis in der Kategorie Schlager brüsk ablehnte, weil er nicht zu dieser, wie er sagt, "peinlichen, piefigen" Sorte Musik gezählt werden möchte, ist ein Eurovisionsfan. Aber hat er nicht recht? Der ESC ist Jahr für Jahr das Schlimmste und Schönste in einem.

Allerdings hätte es eventuell der deutschen ESC-Bilanz gut getan, wenn man mehr auf Autoren wie Reinhard Mey gesetzt hätte: Österreichs Milestones mit ihrem "Falter im Wind" 1972, Lenny Kuhrs "De troubadour" 1969, Tommy Körbergs "Stad i ljus" 1988, schließlich Jacques Hustins "Fleur de liberté" standen ja in einer Tradition des inspirierenden Liedes, die aus den üblichen "La La La"-Gleisen ausbrachen. "Gute Nacht, Freunde" war ein Lied, das in einem starken Vorentscheidungsjahr leider nur den vierten Rang belegte. Ehrenwert und kultig zugleich!

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 19.02.1972 | 20:15 Uhr

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