Stand: 24.05.2013 11:47 Uhr

Natalie Horler – Frau der Woche

Natalie Horler springt am Strand von Skanör in die Luft. © NDR Foto: Rolf Klatt
Natalie Horler findet: "Nach dem ESC geht das Leben weiter."

Vor genau einer Woche hatten Cascada die ersten Einzelproben hinter sich, vorigen Freitag stand die erste Generalprobe bevor. Die Band, aber auch Familie, Freunde, deutsche Fans, die ESC-Delegation des NDR und wer auch immer, konnten mit der Welt zufrieden sein. Wer wollte, konnte in dem am 14. Februar in Hannover gewählten deutschen ESC-Act eine superprofessionelle Truppe erkennen. Und das taten fast alle. Es gab so gut wie niemanden, der “Glorious” nicht zumindest unter den Top 10 am Ende des Grand Finals sah. Manche, was übergeschnappt gewesen sein mag, wähnten das Lied sogar unter den Top 3, niemand jedoch mit 18 Punkten (ver-)endend auf dem 21. Platz – und damit auf dem schlechtesten Rang seit den No Angels 2008 in Belgrad.

In der Sphäre des Entertainments, in der Welt des Pop gilt es zunächst, Aufmerksamkeit zu erlangen. Schöner Gesang zu noch so betörenden Bühnenbewegungen nützt nix, wenn er nicht bemerkt wird. In der Ökonomie der Aufmerksamkeitsorganisation haben Cascada im Grunde nach dem ESC bilanzieren können: Alles richtig gemacht. Man schaue sich nur die internationale Presse an – so starkes Interesse hätte es womöglich für den neunten bis zwölften Rang nicht gegeben. Ob die britische Zeitung The Telegraph, die keineswegs europäische Times of India, das französische Blatt Le Figaro, die irische Independent, die teilweise das eurovisionäre Einflussgebiet berührende Arab Times oder in Blogs der spanischen Zeitung El País: Mehr internationale Beachtung hätte ein Sieg wohl auch nicht gebracht. Alle, buchstäblich alle Kommentatoren und Berichte glauben, dass der 21. Platz für Cascada ein Ausdruck gegen Angela Merkel gewesen sei, ja, ein Stoßseufzer gegen eine Euro-Großmacht-Sieger-Mentalität, die man in der deutschen Politik erkennt. Es war, als hätten die Eurovisionsländer sich gegen alle Wetten und Prognosen über Nacht verschworen, um der deutschen Politik am Beispiel von Cascada mal tüchtig eins auszuwischen. Allerdings war von dieser Aversion gegen Deutsche und Deutsches in Malmö nix zu merken. Ganz im Sinne einer aktuellen Studie der britischen BBC gab es keine Stimmung gegen Natalie Horler, nicht gegen deutsche Fans oder deutsche Journalisten. (Okay, dieser ESC war zugegebenermaßen nicht in Athen, sondern im von der Krise kaum betroffenen Schweden.) Deutschland ist weltweit eher beliebt, jedenfalls mehr als die Europäische Union, dieser Studie zufolge.

Aber wie dem auch sei: Tatsächlich ist auch bei diesem ESC zu beobachten, dass hinterher alle schlau gewesen sein wollen. In Foren liest man: „Na, wusste ich‘s doch!“, „Hatte ich es nicht geahnt?“ oder „Nein, das ist doch kein Wunder!“ Was die Illustrierte Focus schrieb, ist quasi der mediale Mainstream-Ausdruck dieser Schlaumeierei danach. Sie unterstellen nach Belieben. Vor allem habe die schlechte Platzierung daran gelegen, dass die ARD im Jahr nach Stefan Raab mal wieder voll schlapp machte – das stand auch in der Süddeutschen Zeitung zu lesen, und das ist ungefähr so sinnvoll als Aussage wie die These, dass der ESC ohne Raab und Brainpool stets auf Rängen fast am unteren Ende des Tableaus landete. Das ist einfach zu öde, um es aufzudröseln – man schaue sich die Ränge der Jahre vor Lena an und erkennt leicht, dass Raab keine über-eurovisionäre Möglichkeitsgottheit war (und auch nicht ist).

Es gibt bestimmt viele Gründe, sich um den 21. Platz Gedanken zu machen (und ohne jetzt mit dem Finger auf jemand anderen zu zeigen oder woanders hinzulenken, aber die Misere des ESC ist in Spanien und Frankreich noch erheblich ausgeprägter), aber die Heldin der Eurovisionstage von Malmö bleibt Natalie Horler so oder so. Weil sie mit dem Gefühl nach Schweden reisen durfte, am 14. Februar astrein und eindeutig gewählt worden zu sein. Weil sie mit ihrer Formation auf einen Erfolg zurückblicken kann, der in Deutschland nur wenigen gegeben ist. Weil sie eine prima, sympathische, unzickige Frau ist und im Übrigen eine Serie von Promotionauftritten zu absolvieren hatte, die von wärmster Professionalität kündete – und davon, dass sie selbst erschöpft nie die Contenance verliert. Die Horler – so mein persönlicher Eindruck – ist das Gegenteil von Konzeptpüppchen, von ewiger Barbie. Sie ist eine Entertainerin, die möglicherweise zur falschen Zeit am falschen Ort war. Was sie tatsächlich von allen in Malmö vorne Platzierten unterschied, war das Alter jenseits des Jungerwachsenen. Und auch das Alter im Vergleich mit allen, die nach Lordi 2006 gewannen. Sie alle, ob Dima Bilan oder zuletzt Loreen und nun Emmelie de Forest, umweht(e) dieser gewisse Appeal von Frischlingshaftigkeit, von Unschuld und naiver Grazie. Eine wie Natalie Horler mag gegen sie alle eine Spur zu selbstvertraut gewirkt haben.

Ins Sexistische geht die Kritik jedoch, wenn man Zeilen wie diese liest: “Leider ist das blonde Streberdeutschland im knapp geschnürten Goldfummel nicht so sehr beliebt bei den anderen in der Europa-Klasse. Das mag dem Neid auf propere Wesen geschuldet sein oder der Tatsache, dass es mit der Eleganz beim Treppe steigen noch hapert.” Oder hier etwas ausgeruhter: “Das mag auch an der eher mageren Performance liegen, mit der Cascada sich in Malmö präsentierten und streckenweise an den desaströsen Auftritt der No Angels erinnerte. War sie bei den Proben in Malmö am vergangenen Wochenende noch in bestechender Form gewesen, kam ihre Stimme nun wackelig und unsicher über den Sender. Sie wirkte, als fühle sie sich nicht wohl in ihrem viel zu engen Goldfummel, als bedrücke sie die Einsicht, dass sie sich mit dem arg kalkulierten Titel “Glorious” möglicherweise doch keinen so großen Gefallen getan hat, wie das die ARD-Delegation im Vorfeld gerne glauben machen wollte.” Der Mann hat es offenbar nicht so mit Frauen, die nicht so mager wie Lena aussehen, aber was sollen bloß die Anspielungen wie “viel zu engen Goldfummel”. Mir scheint, als nähme da jemand übel, dass die diesjährige ESC-Aspirantin aus Deutschland nicht aussieht und nicht so ist wie Lena.

Anyway, so sehr die SZ allgemein gegen Sexismus einzutreten weiß, in Sachen ESC darf man mal wieder den Herrenreiterblick aus den (falschen) Fuffzigern auferstehen lassen. Anders gesagt: Es ist schade, dass Cascada nur 21. wurden. Andererseits: „So what? Good show!”, würden die Briten sagen, und: „Very popular in the hall“ (Terry Wogan, BBC-Legende). Zu hämen, das geht in Ordnung, aber auf Kosten einer Sängerin, deren Appeal einem männlichen Rezensenten nicht zusagt, als sei er im Peep-Show-Kino in die falsche Kabine gesetzt worden: Das ist als Haltung – entwürdigend.

Natalie Horler sagte cool: „Nach dem ESC geht das Leben weiter“. Recht hat sie!

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 18.05.2013 | 21:00 Uhr

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