Stand: 09.02.2015 10:11 Uhr

Kommt die Türkei zurück?

Can Bonomo aus der Türkei © NDR Foto: Rolf Klatt
Can Bonomo hat 2012 für die Türkei den siebten Platz geholt. Seitdem war das Land nicht mehr beim ESC dabei.

Manchmal liest man Meldungen und glaubt sie kaum, obwohl sie einen erfreuen. Das jedenfalls las ich am Samstag in der Frühe in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" mit der Überschrift: "Türkei kehrt 2016 zum Song Contest zurück". Diese Meldung stand im Politikteil zu lesen; sie geht auf die französische Nachrichtenagentur AFP zurück. Wörtlich heißt es: "Nach dreijähriger Abstinenz wird die Türkei 2016 wieder am Eurovision Song Contest teilnehmen. Nach massiver Kritik seines Landes am Wettbewerb habe es bedeutende Verbesserungen gegeben. 'Unsere Forderungen werden erfüllt, und deshalb kehren wir zurück', sagte der Leiter des staatlichen Fernsehsenders TRT, Senol Göka, der Zeitung 'Milliyet'. Göka fügte hinzu, es habe nicht nur Probleme mit dem Auswahlverfahren gegeben, sondern auch mit den 'moralischen Standards'. Die Türkei hatte zuletzt 2012 teilgenommen. Im Dezember des Jahres verkündete sie ihren Ausstieg - nach offiziellen Angaben wegen niedriger Einschaltquoten und der Regel, dass Großbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien automatisch einen Platz im Finale bekommen."

Erst unterschriebene Verträge

Allerdings zeigt sich nach meinen Recherchen am Wochenende: An dieser Geschichte ist so gut wie nichts wahr. Meine Gesprächspartner bei der European Broadcasting Union (EBU) in Genf sowie in der Reference Group des ESC (dem Lenkungsausschuss des ESC durch die EBU) sagen einmütig: Die Türkei sei wie in allen Jahren seit 2013 - als TRT sich erstmals in den vergangenen Jahren vom ESC ferngehalten hatte - herzlich willkommen beim Song Contest, aber solange die Anmeldeverträge für den 61. ESC 2016 im September dieses Jahres nicht unterzeichnet seien, schenke man Meldungen wie diesen keinen besonderen Glauben.

ESC-Gewinnerin Conchita Wurst. © NDR Foto: Rolf Klatt
Die Türkei störte sich unter anderem an dem Sieg von Conchita Wurst in Kopenhagen.

Viele Medien in Europa haben das Comeback von TRT verbreitet, große wie die "FAZ", "Spiegel Online", die österreichische Zeitung "Die Presse", auch ESC-Foren im Internet oder die englischsprachige Internetausgabe der türkischen Zeitung "Hürriyet". Übersetzt ins Deutsche heißt es dort erläuternd: TRT habe die moralischen Standards beim ESC missbilligt - unter anderem weil beim ESC 2013 in Malmö zwei männliche Tänzer während der Proben sich geküsst hätten. Wobei dieser Grund insofern unlogisch ist, weil die Türkei ja schon in Malmö fehlte, der Stein des Anstoßes schon im Jahr zuvor in Baku hätte im Wege gelegen sein müssen. Auch störte sich der türkische EU-Minister Volkan Bozkir an Conchita Wurst und erklärte: "Jedes Mal, wenn ich die Österreicherin, die gewonnen hat, sehe, sage ich 'Danke, wir nehmen ja nicht mehr teil.'"

Keinen Wünschen entsprochen

Der Eindruck der Verworrenheit der Gründe des Senders TRT, dem ESC fernzubleiben, wird von vielen Experten, auch in Genf, geteilt. Viele, ohne namentlich zitiert zu werden, führen an, dass die islamische Regierungselite um Präsident Erdogan keine Show ausgestrahlt sehen will, die so deutlich jenen Wertvorstellungen widerspricht, für die diese Regierung eintritt. Alarmiert habe ich auf die (falschen) Meldungen vom Wochenende reagiert, weil dort ein neuer TRT-ESC-Verantwortlicher, Senol Göka, zitiert wird. Der sagt, die EBU sei den türkischen Wünschen entgegengekommen. Meine Recherche bei den Verantwortlichen besagt aber: Nichts davon ist wahr. Weder sei im Spiel, TRT künftig zu den finalgesetzten Ländern zu zählen, sodass aus den "Big Five" eine Runde der "Big Six" würde, noch treffe zu, dass der ESC künftig Performer wie Conchita Wurst oder andere ausschließen werde, damit TRT zufrieden ist.

Liveübertragung aus Wien?

Mein Freund Osman Kural aus Istanbul, der wie niemand sonst überglücklich wäre, wenn sein Land wieder beim ESC wäre, schrieb mir gestern Abend via Facebook, TRT seien vielleicht keine Wünsche erfüllt worden - vielmehr sei man "vorangekommen", um 2016 eine Wiederkehr von TRT zu erreichen. Mein Infostand am Montagmorgen heißt jedoch: Der EBU ist nichts bekannt, was den Stand der Dinge ändert: Die Türkei könnte wie jedes Jahr dabei sein, muss aber die Regeln einhalten. Immerhin: Fundierten Gerüchten zufolge will TRT das Finale von Wien live übertragen. Das ist für ESC-Freunde zwischen Bosporus und anatolischem Hochland ohne Internetanschluss eine sehr gute Nachricht!

P.S. (10.2.2015, 10.50 Uhr): Am Abend des 9. Februar antwortete Sietse Bakker, Sprecher des ESC bei der EBU, auf meine Anfrage zu den Comeback-Berichten des türkischen Senders TRT: "Since this is information that comes from the media, and since we have not been officially informed of a return yet, we are not sure what kind of wishes they are referring to in the media. Therefor, I cannot comment any further.” (“Da diese Information über die Medien kommt, und da wir bislang nicht offiziell über eine Wiederkehr (von TRT, d. Red) informiert wurden, sind wir nicht sicher, welche Art von Wünschen (dieser Sender, d. Red) sie (für den ESC, d. Red) haben. Deshalb kann ich es nicht weiter kommentieren.“

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 14.05.2016 | 21:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

EBU

Türkei