Stand: 26.03.2009 15:12 Uhr

Deutschland: Wo Pop einmal Schlager war

Nicole © dpa-Bildfunk Foto: Frank Mächler
Nicole gewann 1982 mit ihrem Schlager "Ein bisschen Frieden" beim ESC.

Auch wenn es viele nicht gerne hören: Die Geschichte der deutschen Unterhaltungsmusik ist eine Geschichte des Schlagers. Als Begriff der Kaufmannssprache bezeichnet "Schlager" nämlich ursprünglich ein Musikstück, dass sich besonders gut verkauft - zum Ende des 19. Jahrhunderts vor allem in Form von Notendrucken. Oft wurden in der bürgerlichen Gesellschaft erfolgreiche Walzer- und Operettenmelodien vom Volk auf der Straße aufgegriffen und mit parodistischen oder auch frivolen Texten versehen. Der Schlager war geboren! 

Das goldene Zeitalter des Schlagers

Trichtergrammophon aus Emil Berliners erster Serie © Deutsche Grammophon GmbH
Die Erfindung des Grammophons verhalf dem Schlager zum Durchbruch.

Da sich die Operette als Bühnenwerk aus abgeschlossenen Nummern für eine Auskopplung einzelner Melodien geradezu anbot, lieferte sie bald eine Vielzahl solcher "Schlager". Dies gilt vor allem für die Berliner Operette, die gegenüber ihrem Wiener Pendant deutlich frecher und volksnäher war obwohl sich auch hier die meisten Texte um die Liebe drehten. Die Erfindung des Grammophons verschaffte der neuen Musikrichtung schließlich den Durchbruch: Schlagermusik wurde zum Konsumartikel. Nach dem Ersten Weltkrieg öffnete sich der Schlager neuen musikalischen Einflüssen aus Nord- (Jazz) und Südamerika (Tango) und erfreute sich vor allem als Tanzmusik in den Berliner Nachtklubs großer Beliebtheit.

Das Dritte Reich und die Folgen

Während derartige Tanzvergnügungen (wie auch die teuren Schallplatten) eher einer betuchteren Schicht vorbehalten waren, machten Radio und Tonfilm den Schlager zur Musik der breiten Bevölkerung. Doch mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten nahm die Erfolgsgeschichte eine unglückliche Wendung: Durch die Verfolgung und Ermordung jüdischer Künstler verlor die deutsche Unterhaltungsmusik einen großen Teil ihres kreativen Potenzials. Gleichzeitig wurde die Schlagerproduktion massiv erhöht, um die Bevölkerung mit immer neuen Melodien von den Grausamkeiten des Kriegs abzulenken. Von diesem Missbrauch als "kriegswichtiges" Propagandamittel konnte sich der Schlager nie wieder ganz erholen.

Rock'n'Roll und "Beat-Knick"

Der Tanzstil "Swing". © picture-alliance / imagestate/HIP Foto: Borthwick Institute
Nach dem Zweiten Weltkrieg kam in Deutschland der Swing in Mode.

Nach dem Zweiten Weltkrieg brachten die amerikanischen Truppen den Swing, den Boogie Woogie und später auch den Rock'n'Roll nach Deutschland. Der Industrie gelang es zunächst, die Trends aus Übersee in abgemilderter Form für das heimische Publikum aufzubereiten. Doch Mitte der 1960er-Jahre verweigerte sich die junge Zielgruppe dem kommerziellen deutschen Aufguss und wandte sich lieber den englischsprachigen Originalen zu. Das ältere Publikum dagegen zog sich auf wertekonservative "Schnulzen" zurück. Die Verkäufe deutschsprachiger Musik brachen im Zuge dieses "Beat-Knicks" dramatisch ein. Erst Jahre später gelang dem deutschen Schlager dank der ZDF-Hitparade ein bis heute kultträchtiges Comeback. 

Neue Deutsche Welle(n)

Während viele deutsche Bands in der Folgezeit vorwiegend englische Musik produzierten, um sich vom deutschen Schlager abzugrenzen, nahmen einzelne musikalische Strömungen ganz bewusst die deutsche Sprache für sich in Anspruch. So ging Anfang der 1980er-Jahre aus der Punkbewegung die Neue Deutsche Welle hervor, die zum Teil an die Kreativität der Goldenen Zwanziger anknüpfen konnte, jedoch Opfer einer gnadenlosen Überkommerzialisierung wurde. Mittlerweile hat sich der Schlager zu einem Genre entwickelt, das kaum noch für musikalische Vielfalt steht. Dafür haben zahlreiche Künstler aus Rock, Pop, Soul, HipHop und Techno die deutsche Sprache für sich entdeckt und verhelfen ihr zu neuen musikalischen Ehren.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 13.05.2017 | 21:00 Uhr

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