Stand: 05.08.2008 18:08 Uhr

Marokko: Tradition im modernen Gewand

Eine Musikgruppe tritt beim marokkanischen Gnaoua-Festival auf. © dpa Foto: Michael Riehler
Musikalische Traditionen werden in dem Mahgreb-Staat hochgehalten.

Beinahe hätte nicht Marokko, sondern Tunesien den ersten (und bislang einzigen) ESC-Beitrag in arabischer Sprache vorgestellt. Das Debut des nordafrikanischen Staates 1977 wurde jedoch kurz nach der Auslosung wieder abgesagt - angeblich wegen der Teilnahme Israels. Als sich das israelische Fernsehen 1980 für ein Jahr aus dem Wettbewerb zurückzog, nutzte Marokko die Gunst der Stunde, um dem Song Contest ohne Sorge um politische Komplikationen mit den arabischen Bruderstaaten beizuwohnen. Und Europa mit seiner Musikkultur vertraut zu machen.

Die Musik der Masiren

Schon vor über 4.000 Jahren siedelte das Volk der Masiren auf dem Gebiet des heutigen Marokko. Die Bezeichnung "Berber" stammt von den Römern, für die das Masirische unverständlich und somit "barbarisch" klang. Erst um das Jahr 700 herum wurden die Masiren von den Arabern unterworfen und islamisiert. Bis heute stellen sie die Mehrheit der marokkanischen Bevölkerung. Ihre Musik ist geprägt durch den Rhythmus der Bendir, einer mit Ziegenfell bespannten Rahmentrommel. Meist wird zu festlichen Anlässen gemeinsam auf dem Dorfplatz gesungen und getanzt. Die Überlieferung erfolgt vor allem durch die Frauen, die während der alltäglichen Arbeiten die traditionellen Lieder singen und so an die Kinder weitergeben. 

Rituelle und mystische Klänge

Feierlichkeiten mit Bezug zu landwirtschaftlichen Ereignissen wie Aussaat und Ernte oder auch Hochzeiten werden durch rituelle Musik begleitet, die durch rhythmisches Händeklatschen gekennzeichnet ist. Auch die mystische Gnawa-Musik hat rituellen Charakter. Die Nachfahren schwarzafrikanischer Sklaven, die von den Arabern nach Marokko verschleppt worden waren, verschmolzen darin ihre eigenen Traditionen mit der Mystik des islamischen Sufismus. Die zum Teil mehrere Stunden währende Wiederholung einzelner Sätze oder Textpassagen zur Begleitung des Sintir, eines dreisaitigen Bassinstruments, versetzt in einen tranceähnlichen Zustand und dient unter anderem der rituellen Heilung von Krankheiten.

Arabisch-andalusische Klassik

Auch die klassische Suite sprengt die europäischen Zeitvorstellungen für musikalische Darbietungen. Eine so genannte Nuba dauert zwischen sechs und sieben Stunden. Ihre Wurzeln liegen in Andalusien, das sich Jahrhunderte lang in den Händen islamisierter Masiren befand - in Europa besser bekannt als Mauren. Der Hof des Kalifen von Córdoba war ein wichtiges kulturelles Zentrum, von wo aus Instrumente wie die Laute oder die Gitarre in die westeuropäische Musik Einzug hielten. Nach der Vertreibung der Mauren wurde die arabisch-andalusische Musiktradition in Nordafrika fortgeführt und bildete verschiedene Stilrichtungen wie die Milhûn aus, die mit unterschiedlicher Orchesterbesetzung aufgeführt werden.

Châabi, Asri und Charqi

Samira Bensaid vor marokkanischer Flagge (Montage). © fotolia,NDR Foto: Juergen Priewe, NDR
Samira Bensaid bestritt den einzigen ESC-Auftritt Marokkos 1980.

Die Unterhaltungsmusik in Marokko weist eine enorme Vielfalt auf, auch wenn die Unterschiede für den unbedarften Hörer nicht immer offensichtlich sind. So wird der populäre Châabi, die populär-volkstümliche Musik der arabischstämmigen Bevölkerung, häufig in modernem Gewand aufgeführt, wodurch die Grenzen zum Asri, der zeitgenössischen marokkanischen Unterhaltungsmusik zuweilen verwischen. Darüber hinaus erfreut sich auch Charqi als musikalischer Import aus dem Nahen Osten großer Beliebtheit. Samira Saïd, Marokkos erste und einzige ESC-Teilnehmerin, stieg nach ihrem enttäuschenden 18. Platz in Den Haag zum Star der Charqi-Musik auf und gilt mittlerweile als die arabische Antwort auf Madonna.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 19.04.1980 | 21:00 Uhr

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