Stand: 03.05.2014 16:27 Uhr

"Die Letten sollen den ESC wieder lieben lernen"

Die Band "Aarzemnieki" aus Lettland © Irving Wolther
Der deutsche Sänger Jöran Steinhauer (rechts) und die lettischen Musiker der Band Aarzemnieki.

Nachdem die Band Aarzemnieki überraschend die lettische Vorentscheidung gewonnen hat, ruhen hohe Erwartungen auf der Formation. Mit einem YouTube-Clip über die alte lettische Währung Lat wurde der deutsche Jöran Steinhauer in Lettland fast über Nacht zu einem Liebling der Nation. Der Erfolg ist ihm jedoch nicht zu Kopf gestiegen. Beim ESC in Kopenhagen tritt er jetzt mit Aarzemnieki an. Der Leadsänger nimmt sich viel Zeit für Journalisten und Fans. Aus dem Kontakt mit den Menschen schöpft er die positive Energie, die er auf der Bühne zurückgeben will.

Jöran, wie hast du dich in Lettland verliebt?

Jöran Steinhauer: Im doppelten Sinne. Als ich 2005 bei einem Schüleraustausch einen Tag in Riga war, habe ich dort meine allererste Freundin kennengelernt - eine Lettin. Wir haben dann eine Fernbeziehung geführt und ich wollte nach dem Abi unbedingt nach Lettland, um in ihrer Nähe zu sein. Ich habe dann meinen Zivildienst in einem Straßenkinderzentrum in einem Rigaer Problemviertel absolviert. Mit der Freundin war dann alles relativ schnell wieder vorbei, aber ich bin trotzdem da geblieben, habe die Sprache gelernt und dort ein ganz besonderes Jahr gehabt.

VIDEO: Songcheck: Lettland/Aarzemnieki - "Cake To Bake" (6 Min)

Problemviertel klingt nicht ganz ungefährlich …

Jöran: Das Viertel, wo ich gewohnt und gearbeitet habe, hat einen ganz schlechten Ruf. Das ist eigentlich sehr schade, denn dort stehen wunderschöne alte Holzhäuser. Doch ich habe das Gefühl, das wird auch als Vorwand gebraucht, um sich nicht darum zu kümmern. Klar, es gab auch Junkies, die versucht haben mich festzuhalten und zu beklauen, aber das kann einem überall passieren. Und wenn man den Menschen Respekt entgegenbringt, kommt man auch aus solchen Situationen raus.

In "Cake To Bake" geht es darum, dass man die größten Taten vollbringen kann und doch an vermeintlichen Kleinigkeiten scheitert. An welchen Kleinigkeiten scheiterst du im Alltag?

Jöran: An Farben! Ich habe eine Rot-Grün-Schwäche und dachte als Kind immer, dass das Gras orange ist, weil es nicht das gleiche Grün hat wie die Bäume. Meine Mutter hat damals die Krise gekriegt, als sie zum Elternabend ging: Alle Kinder hatten Weihnachtsmänner gemalt, und der einzige von 27 Weihnachtsmännern, der lila war, war meiner …

In der Küche scheiterst du ja offenbar nicht - schließlich hast du in Lettland "Das perfekte Promi-Dinner gewonnen" …

Jöran: Ja, das war eine verrückte Geschichte. Ich wurde kurz vor Weihnachten gefragt - als ich noch viel mit diesem Abschiedslied auf den Lat zu tun hatte - ob ich nicht bei diesem Promi-Dinner in Lettland mitmachen kann. Ich hatte zu der Zeit unglaublich wenig Geld, ich hab mir nicht einmal die Zeitschriften gekauft, in denen etwas über mich stand, weil ich sie mir einfach nicht leisten konnte. Und da dachte ich mir: Ich muss jetzt mal was Vernünftiges essen. Dann koche ich einen Abend mal selbst und die vier weiteren Abende werde ich auf jeden Fall satt. Und am Ende habe ich das Ding sogar gewonnen und einen Staubsauger gekriegt dafür. Wahnsinn! Das Tolle ist: Ich hatte zu dem Zeitpunkt tatsächlich keinen!

Porträt
Die lettischen ESC-Teilnehmer Aarzemnieki © eurovisiontv Foto: Linda Rutule

Ein Ohrwurm fürs Lagerfeuer

Aarzemnieki starteten mit dem Ohrwurm "Cake To Bake" durch, schafften es aber nicht ins Finale. Das Besondere: Sänger Jöran Steinhauer ist Wahl-Lette und kommt ursprünglich aus Bochum. mehr

Nun seid ihr angetreten, Lettland nach fünf Jahren endlich wieder ins Finale zu bringen. Warum tun sich die Letten denn so schwer mit der Qualifikation?

Jöran: Die Letten sind zwar ein Sängervolk, die Sprache hat sich über Jahrhunderte nur durch Volkslieder erhalten, aber der Eurovision Song Contest ist ja kein Chorwettbewerb. Aber er hat mich immer fasziniert. Der Grundgedanke ist doch, dass die Länder sich und ihre Unterschiede an einem Abend gemeinsam feiern. Und es wäre für mich viel, viel zu schade, wenn so ein Wettbewerb nur deswegen an Stellenwert verliert, weil ein Land dort nicht erfolgreich ist. Deswegen würde ich mich schon allein als Mittel zum Zweck darüber freuen, wenn sich Lettland in diesem Jahr für das Finale qualifiziert. Einfach damit die Letten den Eurovision Song Contest wieder lieben lernen. Ein Land mit einer so großartigen musikalischen Tradition wie Lettland darf sich nicht vom ESC lossagen.

Bald sind Europawahlen und in vielen Ländern stehen Nationalisten und Populisten hoch im Kurs - auch in Lettland. Wie kommt es denn, dass bei einer nationalen Vorentscheidung mit dem Motto "Made in Latvia" trotzdem "Aarzemnieki" - Ausländer - gewinnen?

Jöran: Die Letten haben ein faszinierendes Nationalgefühl. Natürlich hängen die an den Nationalfeiertagen die Flagge aus dem Fenster, ziehen Volkstrachten an, zelebrieren ihre Sängerfeste, aber eigentlich brauchen die das gar nicht. Sie tragen jetzt zwar ihre Kultur nach außen, weil das Land einfach dauerokkupiert war - von Schweden, von Deutschland, von Russland - doch sie halten sich nicht für etwas Besseres. Sie sind einfach froh, Letten zu sein. Viele Letten werden im Ausland erfolgreich, kommen dann aber zurück, um in ihrem Land etwas zu bewegen. Und das ist in Lettland auch tatsächlich möglich. Ich bin da vielleicht selbst ein kleines Beispiel, denn wenn man dort etwas erlebt hat und mit seinen eigenen Emotionen etwas Neues daraus macht, sind die Letten sehr empfänglich dafür.

Kannst du unseren Lesern denn ein leckeres Rezept für ihren persönlichen "Cake To Bake" verraten?

Jöran: (lacht) Ich habe ehrlich gesagt vor dem Lied eher ungern Kuchen gegessen. Jetzt bekomme ich tatsächlich immer mehr Appetit darauf. Erst kürzlich habe ich mir in einem Geschäft in Riga einen typisch lettischen Sandkuchen gekauft, mit einer dünnen Karamellschicht, ein bisschen knackiger Schokolade, leicht gekühlt … Ich glaube, es ist wichtig, dass man manchmal seine Grenzen kennt. So einen wunderbaren Kuchen hätte ich niemals hinbekommen.

Das Interview führte Dr. Irving Wolther.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 10.05.2014 | 21:00 Uhr