Stand: 07.05.2014 14:15 Uhr

Zaza Miminoshvili: "ESC bedeutet Vielfalt"

The Shin & Mariko Ebralidze treten für Georgien beim ESC 2014 an. © Jiji Rejini / GPB Foto: Jiji Rejini
Zaza Miminoshvili (li. im Bild) tritt mit seiner Band The Shin und der Sängerin Mariko beim ESC 2014 an.

Zaza Miminoshvili ist 59 Jahre alt und lebt seit fast zwei Dekaden in Stuttgart - aber er ist Georgier, versteht sich auf alle Raffinessen der Weltmusik. Mit der Formation The Shin hat der bekennende Hippie-Preise erzielt und sich global den Respekt von Komponisten und Musikern erworben. Wir treffen uns in Kopenhagen am Rande des Empfangs des Bürgermeisters. Etwas verloren steht er mit seiner Delegation in der Rathaushalle. Peter Fenner, Freund aus alten ESC-Tagen, flüstert mir zu, dass einer wie dieser Komponist interessant sein müsse - außerdem spreche er deutsch. Tatsächlich kommen wir schnell in eine intensive Debatte über musikalische Güte. Im Freihof des Rathaus gibt er für eurovision.de ein Interview.

Herr Miminoshvili, niemand wird behaupten, dass Ihr für Georgien komponiertes Lied einem üblichen Muster folge. Ist das nicht riskant für die Eurovision?

Zaza Miminoshvili: Ich bitte Sie in aller Höflichkeit: Was ist ungewöhnlich an uns? Musik muss ungewöhnlich sein und neu. Wir sind frei denkende Menschen, die sich Mühe geben können, das Ungewöhnliche zu schaffen.

Sie arbeiten in Ihrem sonstigen Leben als Musiker, der zur Sparte der Weltmusik gezählt wird und Preise für sein Werk erhalten hat. Wie hat das georgische Fernsehen Sie überreden können, an der Eurovision teilzunehmen?

Miminoshvili: Ja in der Tat, sie haben mich gefragt. Ich sagte zur mir selbst: Ja, warum sollte ich? Sollte ich überhaupt? Ich komme aus einer anderen Musik, Sie haben Recht. Für mich ist Johann Sebastian Bach ein sehr wichtiger Bezugspunkt, dann ist mir Jazz nahe, mit Miles Davis und John Coltrane.

Das ist nun, bei aller Liebe zur stilistischen Vielfalt, weit von der Eurovision weg.

Miminoshvili: Für mich ist der entscheidende Bezugspunkt meines musikalischen Verständnis eine Gruppe, die alle kennen - die Beatles. Sie bilden das Dach, unter der eine gute europäische Musikentwicklung gedeihen kann. Nach John Lennon, Paul McCartney, Ringo Starr und George Harrison kamen die genialen siebziger Jahre - es war für uns als Musiker ein "Stairway To Heaven".

VIDEO: Songcheck: Georgien/The Shin & Mariko - "Three Minutes To Earth" (7 Min)

Das sind profunde Marksteine für moderne Popmusik. Wollen Sie hier mit "Three Minutes To Earth" an diese anknüpfen?

Miminoshvili: Nun ja, als Mensch darf ich träumen und meine Vision ist, dass sich die Eurovision zu einem phantastischen Festival entwickelt. Eines, bei dem alle das Beste an Musik mitbringen und zu Gehör bringen. Ein Fest der Vielfalt, wo die spanische Seele aufscheint, genauso wie die irische, die russische, die türkische und die große deutsche Tradition eben mit Johann Sebastian Bach.

Und da passt Ihr Lied, das Georgien repräsentiert, hinein?

Miminoshvili: Ja in dieser Tradition ist auch unser Lied für diese Eurovision. Man muss zurück zur Erde, und wir mussten das in drei Minuten schaffen.

Gewöhnlich sind die Stücke von Ihrer Formation The Shin viel länger.

Miminoshvili: Stimmt, aber die Regel ist so, wie sie ist. Und wir haben die Regel akzeptiert. Wir sind aus den Galaxien unserer Traditionen auf die Erde zurück gekommen und wollen wieder ins Universum zurück.

Sie sprechen von zeitgenössischer Musikkultur, nehme ich an.

Miminoshvili: Sehen Sie, in meiner Kindheit, in meiner Jugend gab es diese sensationellen Ideen der Beatles. Europa war erfüllt von "Let It Be" oder "Imagine". Die Siebziger, das waren die Klänge von Jimi Hendrix. Michael Jackson gehört auch zu den Helden, die wir hörten.

Was zählen Sie aus dem Fundus der Eurovision zu dieser Heldengeschichte?

Miminoshvili: Lieder, so viele Lieder. "Volare" war phantastisch, auch "Waterloo" zählt dazu - das ist alles ganz große Musik. Aber seit vielen Jahren ist vieles ärmer geworden, die Melodie scheint mir verschwunden. Wir ersticken alles in Rhythmus und Arrangement. Wo aber bleibt die Tonspur, die uns ergreift? Das frage ich als alter Hippie, der nie aufgehört hat an eine bessere Welt zu glauben. Und die Musik kann sie aufscheinen lassen, gute Musik, Musik der Eurovision.

Porträt
Die georgischen ESC-Teilnehmer The Shin und Mariko Ebralidze. © eurovision.de Foto: Dr. Irving Wolther

Georgien: The Shin & Mariko Ebralidze

Georgien schickte eine gepfefferte Portion Ethnojazz ins Rennen. The Shin feat. Mariko Ebralidze starteten mit dem musikalisch ganz schön schrägen Song "Three Minutes To Earth". mehr

Aber der Modus des Wettbewerbs zwingt letztlich alle dazu, nicht allzu große Experimente einzugehen, man bleibt "Middle of the road".

Miminoshvili: Es ist vielleicht ein Privileg des Herzens, dass ich so gar nicht empfinden kann. Ich denke nicht darüber nach, welches Resultat ein Lied erzielen kann. Es gibt bestimmt Lieder, die nicht gut abschneiden, aber doch als Juwelen in der Welt hängen bleiben, wie goldene Tropfen an einem schönen Baum.

Und doch möchte kein Land das Wagnis eingehen, ein sehr komplexes Lied ins Rennen zu schicken und für diese feinsinnige Arbeit mit wenigen Punkten bestraft zu werden?

Miminoshvili: Wer sich als Komponist und Texter von dieser Angst zu verlieren leiten lässt, hat schon die Magie eines Liedes aus den Augen verloren. Meine Vision ist, entschuldigen Sie, viel böser: Man sollte niemals darauf achten, was ein Publikum, was Juroren sagen könnten. Man muss nur sein Herz sprechen lassen. Alle Lieder bilden den Klang der Eurovision. Hier kommen Lieder zusammen, aber es sind zugleich alle wie Instrumente eines europäischen Orchesters. Man sollte hier die Grenzen, die uns trennen können, vergessen.

Haben Sie den ESC in den vergangenen Jahren gesehen und gehört?

Miminoshvili: Zu meiner Schande: Nein. Ich dachte: Warum wollen die mich? Ist das nichts für Junge? Aber das war falsch, denn ich habe verstanden: Die Eurovision ist eine Feier für alle - und ich gehöre dazu. Wir brauchen die nächste Generation, weil die Eurovision wachsen muss. Man darf bloß keine Angst haben!

Das Interview führte Jan Feddersen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 10.05.2014 | 21:00 Uhr