Stand: 07.04.2015 12:05 Uhr

"Wäre ESC wie MTV Awards, wäre er längst tot"

Ist der ESC politisch?

Sand: Eine Show dieser Größenordnung ist notgedrungen politisch. So viele Menschen gucken quasi zusammen den ESC.

Weitere Informationen
Paragrafenzeichen erhebt sich über ein aufgeschlagenem Buch. © Fotolia.com Foto: Sebastian Duda

Die Regeln des Eurovision Song Contest

Songvorgaben, Startplätze, Performance, Wertungen und Voting: Die Regeln für den Eurovision Song Contest im Überblick. mehr

Politisch ist der ESC natürlich nicht in einem direkt-politischen Sinne. Sondern etwa in einer Weise, dass kleinere Länder sich gesehen fühlen. Ich komme ja als Norweger aus einem kleinen Land. Man hat das Gefühl, nicht mehr klein zu sein, vor allem nicht angesichts der Größe vieler anderer Länder. Natürlich, der ESC kann politisch missbraucht werden, aber wir haben strikte Regeln, die besagen, dass kein Lied offene Propaganda für irgendeinen politischen Zweck transportieren darf.

Wie beurteilen Sie das Fernbleiben der Türkei, besser: des türkischen Senders TRT?

Sand: Oh, es ist wirklich schade, dass die Türkei nicht dabei ist. Sie waren immer gut vorbereitet und wir hatten 2004 in Istanbul einen exzellenten ESC. Sie hatten gute Lieder, gute Performances - das vermissen wir nun schon zum dritten Mal. Wir möchten alle, dass TRT wieder mitmacht. Nicht nur wegen der Menschen in der Türkei, sondern der Menschen überall in Europa, die sich der Türkei verbunden fühlen.

Hat der ESC dazu beitragen, die Idee von Europa zu befördern? Auch in Länder hinein, die geographisch nicht zu Europa gehören, etwa Armenien, Aserbaidschan und Georgien?

Sand: Immerhin ist der ESC die einzige gemeinsame europäisch-kulturelle Plattform. Der Contest verbindet uns - kein anderes kulturelles Ereignis schafft das. Und das jedes Jahr! Bei uns kommen Länder miteinander gemeinsam auf die Bühne, die im politischen Alltag nicht unbedingt perfekt harmonieren. Beim ESC gibt es nur die Bühne als Schlachtfeld, auf der bleibt alles friedlich.

Ist es nicht besonders schade, dass dieses Jahr die Ukraine nicht dabei ist?

Sand: Man muss die Ukraine verstehen: Sie hat momentan andere Sorgen. Der Sender, der stets den ESC überträgt, verwendet all seine Kraft - die Reporter, die Technik - für die politischen Konflikte in seinem Land. Sie fanden es außerdem ein bisschen zwiespältig, eine Show zu übertragen, wenn gleichzeitig im Land ein militärischer Konflikt aktuell ist. Aber der ukrainische Sender wird die Show übertragen, das ist doch eine gute Nachricht. Und nächstes Jahr, hoffen wir, ist die Ukraine wieder dabei.

Aber Russland wird dabei sein. Ist Russland wirklich willkommen?

Die russische ESC-Teilnehmerin Polina Gagarina © Respective Broadcasters
Für Russland startet Polina Gagarina in Wien.

Sand: Natürlich. Wir arbeiten doch nicht mit dem russischen Staat zusammen, sondern mit beiden TV-Sendern, die sich mit der Übertragung des ESC abwechseln. Das ist ein Unterschied. Beide Sender lassen keinen Zweifel daran, dass sie den ESC unterstützen.

Wir sieht die Zukunft des ESC aus?

Sand: Zunächst bleibt es eine Herausforderung, einen ESC zu organisieren. Das betrifft vor allem die Größenordnung, mit der wir das tun. Mein erster ESC als General Supervisor war der des NDR 2011 in Düsseldorf. Ein großartiges TV-Projekt in jeder Hinsicht. Seither haben wir Glück gehabt. Deutschland, Aserbaidschan, Schweden, Dänemark , davor auch noch Russland und Norwegen, das waren alles Länder, die ESCs in sehr großen Dimensionen veranstalten konnten. Wir stehen nun vor dem Problem, finanziell wie logistisch, dass es nur wenige TV-Sender gibt, die dieses Projekt in dieser Dimension realisieren könnten.

San Marino, Slowenien, Mazedonien …

Sand: … oder Portugal. Wir müssen uns darauf einstellen, dass der ESC eine TV-Produktion ist, für die man nicht zwingend solche großen Arenen wie in Düsseldorf oder in Norwegen braucht. Eine Location wie in London zum Jubiläum - das Apollo Hammersmith Theatre - müsste grundsätzlich reichen. Die Bühne wäre viel kleiner, klar, aber für eine sehr gute Show wäre sie ausreichend. Ich bin nicht besorgt um die Zukunft des ESC, aber wir können nicht immer größer werden.

Australien schön und gut, aber könnte man nicht auch dem demokratischen Tunesien eine Bühne bieten? Immerhin ist ein TV-Sender dort Teil der EBU?

Sand: Natürlich. Wenn es will, gerne. Wir sind in Kontakt mit Tunesien und auch Marokko. Wenn deren Sender alle Auflagen erfüllen, wären sie herzlich willkommen.

Und dürften auch nicht die Show unterbrechen, wenn Israel an der Reihe ist?

Sand: Natürlich nicht. Alle Länder müssen alle anderen mit übertragen und aushalten - das ist ein wichtiger Teil des ESC. Ihn gibt es nur als Ganzes.

 

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 23.05.2015 | 21:00 Uhr

Schlagwörter zu diesem Artikel

EBU