Stand: 26.09.2013 15:20 Uhr

"In meiner Brust schlagen zwei Herzen"

Österreichs ESC-Teilnehmerin Conchita Wurst © Saskia Etschmaier / Agentur Genie und Wahnsinn
Viele Männer tragen Frauenkleider, doch Conchita Wurst spielt mit den Extremen.

Bärtiger Paradiesvogel in Frauenkleidern: Conchita Wurst, Österreichs Kandidatin für den Eurovision Song Contest, beherrscht das Spiel mit den Geschlechtern. Und hat bewiesen, dass Hartnäckigkeit belohnt werden kann. Nachdem sie es 2012 nicht nach Baku schaffte, wird sie ihre Heimat 2014 in Kopenhagen vertreten. Im Interview mit eurovision.de erzählt sie, welche Bedeutung ihr Markenzeichen, der Vollbart, hat und welch großes Ziel sie noch erreichen will.

2012 wurdest du mit "That's What I Am" beim österreichischen ESC-Vorentscheid Zweite. Nach Baku fuhren damals die Trackshittaz. Hattest du dir da schon vorgenommen, es auf jeden Fall noch einmal zu probieren?

Conchita Wurst: Ja, total. Ich bin ein riesen ESC-Fan und deswegen war für mich in der Sekunde klar: Gut, dann versuche ich es noch mal!

In diesem Jahr gab es gar keinen Vorentscheid - der ORF hat dich direkt benannt. Hattest du den Verantwortlichen vorher schon dein Interesse bekundet oder kam die Nominierung für dich aus heiterem Himmel?

Wurst: Wir haben schon Ende Mai ein Konzept eingereicht. Unser Motto war beziehungsweise ist: Nach dem Song Contest ist vor dem Song Contest. Wir haben uns beworben und wurden ausgewählt.

Wie hast du von deiner Nominierung erfahren und wie war deine erste Reaktion?

Wurst: Tatsächlich habe ich die fixe Zusage erst an jenem Tag erfahren, als auch die erste Presse-Aussendung rausging. Ich habe mich so gefreut, dass mir gleich die Tränen in die Augen schossen.

Wie geht es jetzt weiter? Hast du Einfluss darauf, mit welchem Song du Österreich in Kopenhagen vertreten wirst? Schreibst du auch eigene Songs?

Wurst: Natürlich. Ich bin schließlich auch diejenige, die den Song performen muss. Mein großartiges Produzenten-Team "Echopilot" und ich schreiben schon seit einem Jahr Songs. Es liegen schon einige Favoriten auf dem Tisch, allerdings haben wir uns noch nicht entschieden.

Falls du es in Kopenhagen ins Finale schaffst, werden über 100 Millionen Menschen deinen Auftritt verfolgen. Hast du Respekt vor dieser Größenordnung oder bleibst du cool?

Wurst: Ganz klar. Ich habe noch nie vor so einem riesen Publikum gesungen. Ich bin zwar nervös, aber sobald ich den ersten Ton gesungen habe, fühle ich mich so wohl, dass man mich kaum von der Bühne bekommt.

2006 hast du bei der österreichischen Castingshow "Starmania" hinter Nadine Beiler den zweiten Platz belegt. Damals bist du noch unter deinem richtigen Namen Tom Neuwirth aufgetreten. Warum wurde aus Tom die Kunstfigur Conchita Wurst? Und wozu die aufwendige neue Biografie mit Alfred Knack von Wurst als deinem "Vater" und Conchita, der Bärtigen, als "Urgroßmutter"?

Conchita Wurst © Paz Stammler
Mann und Frau in der Person: Conchita Wurst macht sich stark für Toleranz und Akzeptanz.

Wurst: In meiner Brust schlagen zwei Herzen - das von Tom und das von Conchita. Ich nehme beide sehr ernst und somit hat Conchita auch ihre eigene Geschichte verdient. Ich spiele gerne damit und es macht einfach Spaß. Trotzdem ist der Grund, warum ich diese Figur erschaffen habe, nicht so spaßig. Teenager zu sein war und ist für uns alle nicht die einfachste Zeit. Auch für mich war es wahnsinnig schwierig, gerade in dieser Phase ständig angefeindet zu werden. Ich war schon immer "anders". Durch meine Erfahrungen habe ich für mich erkannt, dass ich etwas verändern möchte. Ich stehe für Toleranz und Akzeptanz. Mein Wunsch ist es, dass jeder so leben darf, wie er es möchte, solange man niemandem damit schadet - und das, ohne diskriminiert zu werden.

Du bist seit 2007 mit Jacques Patriaque verheiratet, 2011 habt ihr euer Ehegelübde erneuert. Hand aufs Herz: Gehört das auch ins Reich von Conchitas Biografie oder bist du tatsächlich verheiratet?

Wurst: Natürlich ist das Conchitas Geschichte! Tom ist Single.

Gibt es überhaupt noch ein privates Leben als Tom oder hat Conchita ihn komplett ersetzt?

Wurst: Genau das ist der schöne "Side Effect": Ich kann privat leben, ohne erkannt zu werden. Ich genieße es sehr, ein wirklich langweiliges Leben abseits von Conchita leben zu können.

Wie beschreibt sich Conchita Wurst selbst in drei Worten?

Wurst: Emotional - entspannt - schlagfertig.

Wer ist für deine Outfits und dein gesamtes Styling zuständig?

Österreichs ESC-Teilnehmerin Conchita Wurst © Saskia Etschmaier / Agentur Genie und Wahnsinn
Conchita Wurst tritt als erste Frau mit Vollbart auf die ESC-Bühne.

Wurst: Primär ich selbst. Außer meine Designer-Klamotten, die bekomme ich von meinen Freunden, von denen einige wahnsinnig talentierte Designer sind. Bei den Haaren habe ich meistens Hilfe von meinem besten Freund, einem Hair Artist, der mir die aufwendigeren Dinge zurechtzupft.

Du trägst Frauenkleider und auch dein Styling ist eindeutig weiblich. Warum dann ausgerechnet der Vollbart? Ist er nur ein schrilles Markenzeichen oder steckt für dich mehr dahinter?

Wurst: Der Bart ist für mich ein Ventil, um in den Menschen etwas auszulösen. Bestenfalls gehen sie nach einer Begegnung mit mir nach Hause und diskutieren mit ihrer Familie oder ihren Freunden, was es bedeutet "anders" zu sein - und das ist schon ein kleiner Sieg für mich. Reflektion ist wahnsinnig wichtig.

Du möchtest Zeichen setzen für Toleranz und die Freiheit jedes Einzelnen. Wie ist deine eigene Historie dazu? War es für dich schwer, als du gemerkt hast, dass du schwul bist? Wie haben zum Beispiel deine Familie und deine Freunde reagiert?

Wurst: Meine Freunde und meine Familie sind die Besten der Welt! Von Anfang an wurde ich unterstützt und aufgefordert, ich selbst zu sein. Schwierig waren eher, gerade in der Teenager-Zeit, die anderen Jugendlichen.

Wie begegnest du heute Schwulenfeindlichkeit und besonders Angriffen auf deine Person?

Wurst: Wenn man mich beleidigt, ist mir das relativ egal. Konstruktive Kritik gerne, aber alles andere verpufft bei mir sofort in der Belanglosigkeit. Wenn jedoch Menschengruppen aufgrund ihrer Orientierung oder ihrer Einstellung in den verschiedensten Bereichen - um es nicht auf die sexuelle Orientierung zu reduzieren - beleidigt werden, steige ich auf die Barrikaden.

Du hast dich in der Wüsten-Soap "Wild Girls" wacker geschlagen. Würdest du auch ins "Dschungelcamp" einziehen oder gibt es für Conchita Wurst auch eine Ekel-Grenze?

Wurst: Nein in den Dschungel könnte ich nicht. Wobei ich denke, dass ich alles essen könnte und würde. Oje, das sollte ich wohl nicht zu laut sagen.

Wo siehst du dich in zehn Jahren? Welche Ziele hast du dir für deine Karriere noch gesetzt?

Wurst: Ich habe einen riesen Traum: einen Grammy!

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 10.05.2014 | 21:00 Uhr