Swinging Sixties - kurz und bunt

Modisch gesehen brachten die 1960er-Jahre einige Neuerungen: Designer, wie Yves Saint Laurent entdeckten plötzlich die Alltagsmode und entwarfen erste Prêt-à-porter Kollektionen, also Mode von der Stange. Außerdem brachte das Jahrzehnt ein erstes "Supermodel" hervor: die Engländerin Lesley Hornby, besser bekannt als Twiggy. Mit blondiertem Bubikopf und ihrem spindeldürren, fast androgynen Körper beeinflusste sie die Mode der 1960er-Jahre wie kaum eine andere Person. Sogar transparente Blusen machte Twiggy salonfähig. Für den Grand Prix waren solche Trends jedoch - zumindest vorerst - völlig undenkbar.
Auf dessen Bühne begann das neue Jahrzehnt modisch, wie die 1950er-Jahre geendet hatten: zugeknöpft und bieder. In der Londoner Royal Festival Hall trugen die Damen 1960 überwiegend lange Abendkleider oder knielange Kleidchen mit Puffärmeln - teilweise kombiniert mit langen Handschuhen. Die männlichen Grand-Prix-Teilnehmer traten mit Anzug und Krawatte auf, wahlweise auch mit Fliege, wie der deutsche Kandidat Wyn Hoop oder Rudi Carrell, der für die Niederlande antrat. Und auch im nächsten Jahr in Paris erinnerten die Outfits der Damen nicht selten an Filmstars wie Doris Day - die sogenannten "Flimmerkisten" erfreuten sich immerhin wachsender Begeisterung und so waren Hollywood-Looks bei den Fernsehzuschauern etabliert und begehrt.
Ein Skandal in der Modewelt

Einen allgemeinen Aufschrei in der Modewelt gab es 1962 als die britische Zeitschrift "Vogue" Modeentwürfe der jungen Engländerin Mary Quant abdruckte, darunter auch den ersten Minirock. Er endete ziemlich genau zehn Zentimeter oberhalb des Knies - und war damit ein Skandal! Vorsichtshalber wurde er darum von der Grand-Prix-Welt erst einmal geflissentlich ignoriert. Immerhin ließ man sich jedoch langsam zu stark taillierten, Figur betonten Kleidern hinreißen. Das trägerlose Kleid der Norwegerin Inger Jacobsen etwa war auffallend eng geschnitten. Fast als wollte sie sich dafür entschuldigen, schloss sie ihren Auftritt mit einem artigen Knicks. Und auch Conny Froboess besang "Zwei kleine Italiener" in knallrotem und - zumindest bis zur Taille - knallengem roten Kleid. Mit ihrem Song lag sie damals auch thematisch voll auf der Höhe der Zeit, immerhin waren Gastarbeiter ein aktuelles Thema im Deutschland der frühen 1960er-Jahre.
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Die Hollywood-Schauspielerin Doris Day war in den frühen 1960er-Jahren ein Vorbild für viele Frauen: Ihr Outfit und ihre Frisur saßen einfach immer perfekt, selbst wenn um sie herum das größte Chaos herrschte.
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Auch auf der Bühne des Grand Prix waren akkurate Kleidung und perfekt gefönte Frisuren wie bei Lill-Babs 1961 ein absolutes Muss.
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Das galt aber nicht nur für die weiblichen Teilnehmerinnen wie Lale Andersen ...
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... sondern auch für die Herren, wie Rudi Carrell, der 1960 am Grand Prix teilnahm - und den vorletzten Platz belegte.
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Weniger Einfluss auf die Mode des Grand Prix hatte das erste "Supermodel" Twiggy. Sie zeigte sich einfach zu freizügig, selbst transparente Blusen waren für sie kein Tabu.
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Für den Grand Prix undenkbar, figurbetont hingegen durfte die Mode, wie etwa von Conny Froboess 1962 gern schon sein.
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Die britische Modedesignerin Mary Quant (M.) gilt als "Erfinderin" des Minirocks, der erstmals in der "Vogue" abgebildet wurde. Sie selbst trug den skandalträchtigen Rock ebenso gern wie ihre Models.
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Auf der Straße wurde das neue Kleidungsstück relativ schnell akzeptiert - oft in Kombination mit Nylonstrümpfen, die sich modisch zum festen Bestandteil der 1960er-Jahre mauserten.
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Den Aufstieg auf die Grand Prix-Bühne hingegen schaffte der Minirock jedoch nicht sofort. Nora Nova, die Deutschland 1964 vertrat, hielt an einem sittsamen langen Kleid fest.
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Während ihr Konkurrent, der Brite Kenneth McKellar einen Schottenrock trug, trat die Norwegerin Åse Kleveland 1966 als erste Frau mit einer Hose auf die Grand Prix-Bühne.
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Apropos Hose: Aufmerksamkeit erregten in den 1960er Jahren auch die Jeans, sie standen für das amerikanische Freiheitsgefühl, Jugendlichkeit und Ungezähmtheit.
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Ein Skandal auf der Grand Prix-Bühne: Sandie Shaw wagte es 1967 barfuß aufzutreten - und gewann auch noch.
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Die französische Kandidatin Isabelle Aubret setzte dennoch auf ein langes, wallendes Kleid in hellblau, das ein wenig an ein Nachthemd erinnerte.
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Bei Massiel, der spanischen Siegerin des Jahres 1968 dagegen, war der Einfluss von Flower Power auf dem Minikleid deutlich zu erkennen.
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Neu war für viele, dass sie nun auch die Farbe der Outfits erkennen konnten, in Deutschland wurde 1967 das Farbfernsehen eingeführt.
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Und das war auch gut so, denn Farben waren in den Swinging Sixties ein wichtiges Gestaltungsmittel in der Mode.
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Cliff Richard versuchte - außer mit dem Gesang - auch mit viel Rüschen zu begeistern. Welchem Umstand er den zweiten Platz 1968 genau zu verdanken hat, ist jedoch bis heute nicht ganz klar.
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Gewagte Blümchenmuster wie in dem Film "Die Hochzeitsreise" mit Liselotte Pulver und Dieter Hallervorden waren dann doch eher etwas für die Freizeitmode.
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Blümchen-Stickereien hingegen präsentierte Lulu aus Großbritannien 1969 schon. Sie holte den ersten Platz.
Auch als Nana Mouskouri 1963 für Luxemburg antrat oder Udo Jürgens 1964 Österreich mit "Warum nur, warum?" vertrat, hielt die Grand Prix-Welt weiter an Abendkleidern für die Dame und den klassischen Frack für den Herrn fest - und ignorierte damit rigoros modische Errungenschaften der Straße. Dort machte sich die Beat-Ära bemerkbar und seit auch die Damen des englischen Königshauses im Mini auf die Straße gingen, war dieser offiziell "en vogue". Zudem verwischten die Grenzen zwischen dem männlichen und weiblichen Erscheinungsbild zunehmend: Nicht genug, dass Frauen immer häufiger Hosen trugen - in Anlehnung an Marlene Dietrich etwa - nein, plötzlich wurden auch erste Männer mit langen Haaren gesichtet!
Der Mini erobert den Grand Prix

Zumindest ersteren Trend musste sich das Grand Prix-Publikum schon recht bald gefallen lassen: Ase Kleveland aus Norwegen war 1966 die erste ESC-Teilnehmerin, die sich dem Kleid-Diktat nicht mehr unterwarf. Sie betrat zwar geschminkt und frisch frisiert die Bühne, ihr Outfit wirkte jedoch, als hätte sie gerade das Bett verlassen: Der Schnitt erinnerte stark an einen unförmigen Pyjama! Ihr Konkurrent Kenneth McKellar aus Großbritannien hingegen war der erste männliche Grand-Prix-Sänger, der keine Hosen trug, sondern einen Schottenrock.
Einen kleidungstechnischen Skandal erlebte der Grand Prix 1967 in Wien: Sandy Shaw trat barfuß auf. Mit ihrem kurzen Kleidchen hingegen stand sie nicht alleine da, auch Vicky Leandros, damals nur Vicky genannt, zeigte mehr Bein als in den Vorjahren üblich. Der Mini hatte es nun doch auf die Grand Prix Bühne geschafft - und blieb dort auch erst einmal. 1968 trugen Kristina Hautala aus Norwegen ein kurzes Kleidchen in limonengrün, die Spanierin Massiel - die den Contest gewann - eines in weiß-rosa und Wencke Myhres gelbes Kleid war ebenfalls sehr kurz. Und noch etwas war neu: Zum ersten Mal konnten viele deutschen Fernsehzuschauer nun auch die Farbpracht der Outfits genießen, denn seit dem Vorjahr gab es erste Farbfernsehgeräte.

Den modisch größten Vogel des Jahrzehnts schoss 1969 wohl die Spanierin Salomé ab. Sie betrat die Bühne in ihrem Heimatland im hellblauen Overall mit unzähligen Anhängern aus Porzellan. Darin erinnerte sie - abgesehen von der Farbe - stark an Bibo aus der Sesamstraße. Das Jahrzehnt endete somit weit farbenfroher als es begann - und viele Menschen an den Fernsehbildschirmen konnten dies aufgrund der technischen Neuerungen nun auch endlich sehen.
