Stand: 15.12.2008 12:00 Uhr

Lys Assia: "Es war eine Ehre für mich, das Land zu vertreten"

Schon lange vor 1956 war die Schweizerin Lys Assia weltberühmt. Dann vertrat sie ihr Land beim Eurovision Song Contest - und gewann. Noch heute macht sie Musik, nimmt weiter Platten auf und gibt international Konzerte. Die erste Grand-Prix-Siegerin gab eurovision.de am 15. Dezember 2008 ein Interview.

eurovision.de: Sie waren bereits ein Jahrzehnt im Musikgeschäft, als Sie zum Grand Prix eingeladen wurden, kannten große Bühnen auf der ganzen Welt, hatten Josephine Baker in Paris vertreten und eine eigene TV-Show in den USA gehabt. Was hat Sie dazu bewogen, mit 30 Jahren beim damals unbekannten, neuen Grand Prix teilzunehmen? 

Lys Assia: Erst einmal bin ich Schweizerin. Es war natürlich eine Ehre für mich, das Land zu vertreten. Zumal ich schon sehr bekannt und in der Beziehung sicher sehr gut ausgewählt war. Es gab ja damals gar keinen anderen. Zu meinen Zeiten gab es wenige wirklich große Stars, schon gar nicht in der Schweiz. Ich wüsste ehrlich nicht, wer sonst in Frage gekommen wäre.

eurovision.de: Sie sind drei Mal in Folge für Ihre Heimat angetreten. Was bedeutet es, die erste Siegerin zu sein?

Assia: Wie gesagt, für mich war es eine Freude sowie eine Ehre, dabei gewesen zu sein. Ich hatte ein sehr schönes Lied und ein sehr schönes Orchester. Der Sieg war für mich nicht so wichtig. Ich hatte ja schon meine großen Erfolge im Ausland gehabt. In Amerika hatte ich einen Siebenjahresvertrag mit der Music-Corporation of America. Ein erster Platz schadet jedoch nie. Ich sage es noch heute: Warum arbeite ich noch, warum singe ich noch? Erst einmal ist es mein Leben und zweitens muss man etwas tun, damit man nicht senil oder komplett vergessen wird. Das ist sehr wichtig, so halte ich mich jung.

eurovision.de: Seit Ihrem Sieg 1956 wurden Sie auf zahlreiche Veranstaltungen des Grand Prix eingeladen. Das letzte Mal in Serbien. Was schätzen Sie am meisten an dieser musikalischen Welt?

Lys Assia, Siegerin des 1. Grand Prix Eurovision im Jahr 1956, vor einem Gemälde. © Cariblue music & publishing GbR, Musikproduktion und Verlag Foto: Michael Dierks
Dass sich der Grand Prix zum größten Musikwettbewerb der Welt entwickelt, hat 1956 niemand geahnt.

Assia: Das Wichtigste an dieser Erfindung ist der Grund dafür: dass die Grenzen sich öffnen. Dieser Gedanke lebt heute immer noch weiter. Dass die Länder und ihre Menschen sich kennen lernen und Freunde werden. Stellen Sie sich vor, was es nach so vielen Jahren alleine für den Tourismus dieser Länder bedeutet. Das ist enorm. Man hätte 1956 nie geglaubt, dass einmal 43 Länder an dieser Eurovision teilnehmen würden. Das ist einmalig, auch wenn es sich jetzt sehr verändert hat. Es entspricht nicht mehr so dem Original, wie es ursprünglich gedacht war, nämlich ein Chansonfestival zu machen. Heute gewinnen die Gruppen, ein Solist hat nicht sehr große Chancen - außer man hat ein sehr gutes Lied, es ist der richtige Zeitpunkt und der richtige Ort. Dabei wird immer wieder bewiesen: Das Chanson hat eine Chance. Aber es wird sehr oft durch diesen Rhythmus übertönt, den die jungen Leute gewöhnt sind.

eurovision.de: Sie haben den Krieg erlebt. Verbinden Sie gemischte Gefühle damit, dass der nächste ESC in der ehemaligen Sowjetunion stattfindet?

Assia: Man müsste doch annehmen, dass man sich so viele Jahre nach dem Kriege versöhnen könnte und vergessen könnte. Man kann nicht immer zurückdenken. Erst einmal sind wir eine ganz andere Generation. Ich habe den Krieg zwar noch als junges Mädchen erlebt, aber ich freue mich sehr, in Moskau eingeladen zu sein. Es ist immer ein Erlebnis. Ich habe 2008 in Belgrad so schöne Momente erleben dürfen und an Freundschaften anknüpfen können, geschäftlich und privat. Die Russen haben es verdient, sie haben eine sehr gute Darbietung gehabt. Das hat das Publikum bewiesen. Das andere ist passé, es muss endlich mal ein Schlussstrich gezogen werden.  

eurovision.de: Sie können auf acht Sprachen singen. Ist russisch auch dabei?

Assia: Leider nicht, aber ich kann Ihnen verraten, ich würde das gerne noch lernen. Es ist eine sehr interessante und schwierige Sprache. Man sagt, wenn man Russisch kann, lernt man alles andere ganz leicht. Ich werde versuchen, die Zeit zum Lernen zu finden.  

eurovision.de: Im November 2008 haben Sie eine CD mit dem Titel "Refrain des Lebens" veröffentlicht. Sind neue Lieder dabei?

Assia: Außer "Refrain" und "Oh mein Papa" sind nur neue Stücke darauf. Die Hauptnummer heißt "Refrain des Lebens", wie die CD. Bei einigen Titeln habe ich Text und Musik mit verfasst.

eurovision.de: Parallel dazu sind im Web zwei neue Videos von Ihnen erschienen. Nutzen Sie häufig das Netz? 

Assia: Ich nutze das Internet für viele Dinge. So habe ich jetzt auch auf meiner Homepage Videos gestellt, um zu zeigen dass man heute noch "In" ist, wie man heute aussieht, dass man heute noch singen kann.

eurovision.de:  Sie haben als Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin gearbeitet, sich aber nach der Heirat mit Ihrem zweiten Mann, dem dänischen Hotelier Oskar Pedersen, mit 36 Jahren aus dem Arbeitsleben zurückgezogen. Nach dessen Tod haben Sie wieder die Bühnenarbeit aufgenommen. Wie lange möchten Sie noch weitermachen?

Assia: Solange ich gefragt bin und es mir meine Gesundheit erlaubt. Solange ich noch anständig aussehe und noch singen kann. Wenn ich dazu die Kraft nicht mehr habe oder die Standing-Ovations weniger werden (lacht), erteilte ich vielleicht jungen Musikern Unterricht. Wie man sich anziehen und pflegen soll. Was man nicht tun darf, wenn man eine längere Karriere vor sich hat. Wenn ich an meine Anfänge zurückdenke, war eine Karriere damals viel schwieriger. Leichter war es nur insofern, als dass es weniger Sänger gab. Aber es war schwerer, alleine auf Grund technischer Bedingungen. Die Leute hatten kein Geld, kaum ein Rundfunkgerät, die Fernseher kamen erst viel später. Zudem musste man beweisbar eine Million Platten verkaufen, um eine goldene Platte zu bekommen. Das hat sich sehr geändert. Wenn ich heute Tonträger wie damals verkaufen würde, hätte ich ein ganzes Haus mit Gold- und Platinplatten zu tapezieren.

eurovision.de: Welche war Ihre eindrucksvollste Begegnung?

Assia: Das waren die Argentinierin Eva Perón und König Faruk von Ägypten. Natürlich war König Faruk als Mann eher geneigt, Komplimente zu machen, aber auch Eva Perón war sehr beeindruckend. Sie hatte es sehr schwer in ihrem Land. Abgesehen davon bin ich mit sehr vielen großen Künstlern und großen Orchestern aufgetreten. Ich stand mit  Dean Martin und Julio Iglesias auf der Bühne. 1952 hatte ich bei meiner Tournee 60 Streicher im Frack dabei. Wir gastierten einen Monat im Düsseldorfer Palladium. Ich kam von Amerika und sang sehr viel auf englisch. Dann erinnerte mich mein Agent daran, dass wir in Deutschland sind und ich sagte, ach ja, in meiner zweiten Heimat. Das war ein Riesenerfolg. Speziell in Nachkriegszeiten waren die Leute hungrig nach schönen Dingen. Ich war wegen meiner großen Eleganz auf der Bühne sehr populär.

eurovision.de: Sie haben in Interviews bedauert, dass Sie für Ihren ersten Grand-Prix-Sieg nie einen Pokal erhalten haben.

Assia: Ich habe schon kleine Dinge bekommen, einen Swarovski-Pokal in Kristall, bei anderen Jubiläen einen schönen Fotorahmen. Darum geht es aber nicht. Ich kann es verzeihen. Damals wusste man ja nicht, wie der Wettbewerb weitergehen soll. Es war ein Experiment, heute wissen wir, es war der Anfang einer ganz großen internationalen Sache. Es ist immer noch eine der besten europäischen Shows. Ich würde heute noch einmal für die Schweiz mitmachen, wenn ich ein gutes Lied hätte. Beim Stichwort Preise darf ich erwähnen: Ich hatte die Ehre, im Frühjahr 2008 die größte schweizerische Auszeichnung für Kultur entgegenzunehmen. Es war der Prix Walo für mein Lebenswerk, eine Art eidgenössischer "Oscar".

eurovision.de: Dazu Gratulation! Vielen Dank für das Gespräch.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 24.05.1956 | 21:00 Uhr

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