Stand: 09.03.2014 08:30 Uhr

Endlich hat sie es geschafft!

Die schwedische ESC-Teilnehmerin 2014 Sanna Nielsen © Olle Kirchmeier (SVT) Foto: Olle Kirchmeier (SVT)
Nach sechs Anläufen hat Sanna Nielsen den schwedischen Vorentscheid endlich gewonnen.

Mit dem kaum minimaler zu denkenden Vorsprung von zwei Punkten auf die Zweitplatzierte gewann die ewige Melodifestivalen-Teilnehmerin Sanna Nielsen die Fahrkarte zum ESC nach Kopenhagen. "Undo" heißt ihr Titel, der zwar nach der internationalen Jurywertung noch hinter der nun Zweiten lag, aber Ace Wilder war um wenige, doch entscheidende Prozentpunkte geringer erfolgreich bei den Televotern und SMS-Abstimmenden: 212 Punkte erhielt Nielsen für ihre Ballade im soften Geschwindigkeitsmodus. Wer hätte auch sonst diese Ausgabe der erfolgreichsten Popsendung des schwedischen Fernsehens SVT gewinnen dürfen - vielleicht nicht sollen oder müssen? Nielsen, die auf der Bühne der mit über 30.000 Zuschauern gefüllten überdachten Fußballarena in Solna (bei Stockholm) wie die Elder Stateswoman der eurovisionären Szene Schwedens wirkte, elegant im schwarzen Kleid, ohne viel Schmier im Haar im beinah braven Blondlook in der ästhetischen Agnetha-Nachfolge, diese Sängerin aus dem südlichen Schweden bei Kristianstad hatte schon sechs Mal am ESC-Vorentscheid teilgenommen - und war nie erfolgreich.

Liebeslied in Abba-Manier

Schlimmer noch: Sie sollte eigentlich 2009, wäre es dem Willen der Komponisten gegangen, "I Evighet" singen - aber die Produzenten bevorzugten Carola. Nielsen, kurzum, hat dieses Melodifestivalen auch gewonnen, weil sie zwar nicht den erfrischendsten Act zu bieten hatte, aber den solidesten Aufritt. Ohne Firlefanz, ohne diese gewisse Nervosität, die allen Beiträgen sonst anhaftete, interpretierte sie ihr Liebeslied, als hätte sie es in der leicht melancholischen Sangesschule der Frauen von Abba perfekt gelernt.
Sie war in gewisser Weise die perfekte Siegerin, denn auch ästhetisch geht ihr Lied völlig in Ordnung. Dass es von Fredrik Kempe mitkomponiert wurde, muss dabei nicht stören: "Undo" ("Rückgängig" ließe es sich übersetzen) ist ein smartes Stück Pop. Wenn sich das europäische Publikum nicht an ihren, gemessen an den meisten ESC-Teilnehmern inzwischen, biblischen 29 Jahren stört, kann mit der Qualifikation für das Finale schon mal nichts schiefgehen.

Platz zwei für Elektropop-Experiment

Linus Svenning und Helena Paparizou feiern ihre Qualifikation für den schwedischen ESC-Vorentscheid. © SVT Foto: Olle Kirchmeier
Linus Svenning und Helena Paparizou hatten sich bei der Trostrunde "Andra Chansen" qualifiziert.

Die Show selbst war, auf gewohnt höchstem Niveau, eine Feier des Melodifestivalen schlechthin: Als ob man beim SVT selbst Internationalität spielt. Elf Juroren aus elf Länder hatte man gebeten, ihre Voten abzugeben. Torsten Amarell (Kopf der deutschen ESC-Delegation) gab seine Höchstwertung dem jungen, aus der "Andra Chansen" nachgerückten Sänger Linus Svenning - eine schöne Wertung, weil der junge Mann mit dem gepiercestesten und tätowiertesten Oberkörper der ESC-Geschichte seine Schmachttrauerballade vom Bruder ("Bröder") auch wirklich prima niedergeschlagen aussehend sang.
Auffällig war jedoch, dass Ace Wilder und ihr Lied über ihre Lust am Nichtstun, daran, sich nicht von Hektik und vom Selbstoptimierungswahnsinn der heutigen Zeit auffressen zu lassen, von den meisten Juroren ganz nach oben gesetzt wurde. Es war ein in der Tat für schwedische Verhältnisse ungewöhnlich elektrosoundlastiges Lied - immerhin, möchte man meinen, ein zweiter Platz als Dank für die Experimentierlust.

Rückschau mit Abba-Medley

Der schwedische ESC-Teilnehmer Robin Stjernberg bei seinem Auftritt beim Melodifestivalen 2013 © Olle Kirchmeier/SVT Foto: Olle Kirchmeier
Robin Stjernberg, der schwedische ESC-Teilnehmer 2013, durfte beim diesjährigen Melodifestivalen als Zwischen-Act nicht fehlen.

Im Rahmenprogramm gab es viel Pyrowerk, jede Menge Windmaschineneinsatz und auch Oldie-Alarm musste gemeldet werden: Charlotte Perrelli, Malina Ernman, Robin Stjernberg und Marie Bergman intonierten Abba-Lieder, das in ein "Thank You For The Music"-Medley mündete. Es schien mir ein wenig gestrig - nicht die Abba-Memories - sondern deshalb, weil Malina Ernman einmal mehr kaum Stimme mitbrachte, Charlotte Perrelli langsam wie ein Roboter aussieht und der vorjährige ESC-Kandidat Schwedens ebenso bubihaft aussieht wie neulich. Das konnte nicht als Fortschritt verkauft werden. Und dann noch vielmals Fredrik Kempe als Komponist und Texter und was weiß ich: Man fragt sich, ob Schweden nicht, vor allem in den Universitätsstädten eine Indie-Pop-Szene hat, die offenbar aber beim ESC keinen Platz haben sollte.

Verdienter Sieg für Echtheit

"Undo" ist der Pop zur gepflegten Vorfrühlingsfreude. Sanna Nielsen hat ihren Sieg haushoch verdient. Wenn eine das konservative Feld der schwedischen ESC-Musik am ehesten, aber eben auch kongenial verkörpert, dann sie, die bislang ewig Unterlegene.
Yohio, Helena Paparizou, Alcazar - sie schnitten alle mittelfeldmäßig ab. Man hatte von ihnen schon Besseres gehört. Der eine sah noch so japanisch aus wie 2013, die Paparizou wurde auch nicht jünger seit ihrem Sieg für Griechenland im Jahr 2005, und Alcazar, nun ja, die Zeiten der Diskokugel sind für meinen Geschmack doch eher in den Neunzigern gewesen. Ältliches geht beim ESC nicht mehr auf: Das Publikum merkt offenbar, wenn ein Act jung tut und es nicht mehr ist. Sanna Nielsen war die Echteste von allen. Sie tat wenigstens nicht teenagerhaft. Das brachte ihr, vermutlich, den Sieg.

P.S.: Sanna Nielsen war natürlich angemessen erfreut, endlich dieses Ding mal gewonnen zu haben. Das sagte sie auch: "Ich bin glücklich", ja, aber vorher gab sie ehrlich kund auf die Frage, wie sie sich denn jetzt fühle, neun Minuten, nachdem ihr Sieg feststand: "Schockiert. Ja, schockiert." Und das ist der Satz, der sie zur wahren Sympathin des Abends machte!

P.P.S. (10. März): 2009? Natürlich hat Carola ihr "Invincible" 2006 in Athen dargeboten. Ein Tippfehler. Wahr ist zugleich: Carola hat dieses Lied zum Jauchzen ihrer Fans in Moskau auf einer Party gebracht. In Athen lebte sie damals im gleichen Hotel wie die deutsche Delegation und war ebenso enttäuscht von ihrer Platzierung wie Texas Lightning. "Evightet"? Klar. Die Schnulze mit dem "I" steht nur einer Elisabeth Andreassen zu.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 10.05.2014 | 21:00 Uhr