Stand: 21.05.2014 14:30 Uhr

Conchita in der Heimat

Die Sängerin Conchita Wurst hält ihren ESC-Pokal bei einer Pressekonferenz vors Gesicht © NDR Foto: Rolf Klatt
Conchitas Wursts ESC-Sieg hat auch negative Folgen für die Künstlerin und ihr Umfeld.

Es ist ja nicht so, dass das Sprechen über Conchita Wurst aufgehört hätte. Allein auf Deutschlandradio gab es gestern im Laufe von 75 Minuten zwischen sieben Uhr und viertel nach acht fünf nicht explizit auf den Eurovision Song Contest gemünzte Anspielungen auf den Österreicher Tom Neuwirth, der in der Rolle der Conchita Wurst nun die Königin von Österreich ist. Wenn ich es richtig verstanden habe, ging bei diesem Sender sogar ein Beitrag zur Verkehrspolitik in Europa nicht über den Äther, ohne sie (vielmehr: ihn) erwähnt zu haben.

"Lena statt Ekel-Wurst"

Im deutschen Kontext ragen momentan zwei Beiträge heraus. Der eine ist ein übles Machwerk des einstigen Autors für die politische Zeitschrift "Konkret", damals ein Paradelinker, der sich gottgleich anmaßte zu wissen, was (oder wer??) ein guter Linker ist und wer nicht. Inzwischen ist er zum Rechten mutiert, zum Hetzer, und dies lässt sich besonders gut an seiner Kolumne unter dem Titel: "Eurovision: Statt Ekel-Wurst - ich will Lena zurück!" erkennen. Nun sind solche Ressentiments gegen den ESC und seine Künstler auch immer unter Linken sehr verbreitet gewesen. Aber Elsässer entblößt sich mit seinen Zeilen als besonders dumpfe, ängstliche und wirre Seele.

 

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ESC-Gewinnerin Conchita Wurst bei der Pressekonferenz. © NDR Foto: Rolf Klatt

Die bärtige Kaiserin aus Wien

Bei der Pressekonferenz nach der Show zeigte sich die Dragqueen überwältigt. In welcher österreichischen Stadt der Song Contest 2015 stattfinden wird, steht noch nicht fest. mehr

Wörtlich schreibt er: "Und soll keiner sagen, der bärtige Zwitter sei Publikumsgeschmack. Da haben ein paar Millionen aus der gender-affinen Subkultur abgestimmt, und die Monopolmedien haben eifrig mitgetrommelt, um die sexuelle Umerziehung voranzubringen. Aber die teilnehmenden Staaten haben über 700 Millionen Bürger - das Votum dieser geschlechtsvergessenen Minderheit sagt da gar nichts ..." Leicht erkennt man: Da rülpst einer, weil er vorsätzlich keine Ahnung haben will - allein die Zahlen gehen ja ins schier Größenwahnsinnige -, und selbst dann, wenn er Kenntnis hätte, erst recht empört wäre. Ja, doch, Conchita Wurst war der Liebling der meisten Schwulen und Lesben. Aber auch jener, die Elsässer im Blick hat, die sogenannte Mehrheit.

"Kulturkampf mit Bart"

Vom gegenteiligen Kaliber ist der taz-Kommentar von Isolde Charim, Publizistin aus Wien. Sie hat die vielleicht sattelfesteste und charmanteste Interpretation der Conchita Wurst publiziert - unter der Überschrift "Kulturkampf mit Bart". Sie schreibt zu den empörten Reaktionen auf den Sieg der Drag Queen und notiert feinsinnig die "Arroganz, mit der ein Kommentator im 'Freitag' Conchita Wurst als 'trash as trash can' abkanzelt. Mag sein, dass einen die Anmut dieser Erscheinung nicht berührt. Aber so viel intellektuelle Redlichkeit muss sein, sich der Frage zu stellen, wieso Millionen Menschen von dieser Figur berührt und bezaubert sind. Alles nur trash? (...) Was für eine Herausforderung muss diese Kunstfigur sein, die aus einem Gesangswettbewerb aufstieg - von den russischen Reaktionen bis zu den ungarischen, wo Conchita es bis aufs Wahlplakat brachte."

"Queer as queer can"

Im steirischen Heimatort Bad Mitterndorf trifft Conchita zum ersten Mal als „Conchita“ auf ihre Eltern. © ORF/Talk TV
Die Eltern von Conchita Wurst stehen zu ihrem schwulen Sohn.

Die Autorin, die in Wien lebt, wirft schließlich einen Blick auf Österreich: "Und in Österreich? Ihr Heimatort nennt sich heute nicht Bad, sondern Bart Mitterndorf, im Trachtenanzug spricht ihr Vater über den 'schwulen Sohn' im TV und der Kardinal gratuliert. Queer as queer can." Mit anderen Worten: Österreich, Hochburg der Konservativen und Populisten, ist durch Conchita Wurst in Erschütterung geraten. Gut so! Die Leute feiern sie, die Kritiker sind mundfaul geworden. Der Kabarettist und ehemalige ESC-Teilnehmer Alf Poier oder auch die Eltern Tom Neuwirths gehen inzwischen, las man, nicht mehr gern an die Öffentlichkeit. Ihr Haus wird nämlich von Fans belagert.

Derweil wird in der Alpenrepublik gestritten, welcher Ort den ESC 2015 ausrichten soll. Es hängt am Geld, an der richtigen Terminierung und am Prestige, das zu erlangen ist: Düsseldorf zehrt noch immer vom guten Ruf, den es als ESC-Host 2011 sich erwarb. Aber alles andere als Wien wäre eine Sensation: Die Hofburg, ESC-Ort des Jahres 1967, reicht trotzdem allemal nicht mehr.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 10.05.2014 | 21:00 Uhr