Stand: 22.05.2013 15:18 Uhr

Warum schweigt die EBU?

Farid Mammadov für Aserbaidschan auf der Bühne beim ESC 2013. © NDR Foto: Rolf Klatt
Aserbaidschan belegte in Malmö den 2. Platz. Ging alles mit rechten Dingen zu?

Nach dem Song Contest in Malmö hätte es so viele schöne Meldungen geben sollen - so wünschte es sich zumindest die European Broadcasting Union (EBU). Zum Beispiel die Meldung, dass der Malmöer ESC wieder ein spektakuläres Fest gewesen sei – bis nach Australien habe man die Familie des Musikalischen spannen können. Und dann der Erfolg bei den Quoten (das ist er wirklich) und auch bei den SMS-Zahlen … Nur gute Nachrichten wollte man mitteilen. Aber es kam anders: Der Norweger Jan Ola Sand, Exekutivdirektor des ESC innerhalb der EBU, musste sich nach dem Musikwettbewerb vor allem mit einem möglicherweise noch größer werdenden Skandal auseinandersetzen, nämlich dem Vorwurf, das Televoting sei manipuliert worden. Man reagierte dabei auch auf Berichte der BBC. Selbstverständlich kamen die ersten fassbareren Hinweise von ESC-Fans und Journalisten. Manchmal hört die EBU eben doch auf dieGraswurzelarbeiter im Weinberg der Eurovision.

Kurz gefasst (auch auf “Spiegel Online“): In einem heimlich gefertigen Videomitschnitt einer litauischen TV-Gesellschaft soll dokumentiert sein, wie aserbaidschanische Mittler versuchen, Televotingstimmen zu kaufen, in diesem Fall im südlichsten Land des Baltikums. Hier ist das auf YouTube auffindbare Stück. Da schließt sich gleich meine Frage an: Kennt jemand irgendeine der handelnden Personen? Als aserbaidschanische TV-Funktionäre, als solche aus Vilnius, Litauen? Oder gar, man weiß es ja nie: als Schauspieler, die Aserbaidschaner und Litauer spielen? Sachdienliche Hinweise gerne an uns - und am besten auch gleich an eurovision.tv zu Händen von Jan Ola Sand.

Tatsächlich gibt es seit Jahren in der ESC-Szene eine Fülle von Gerüchten, die sich um Stimmenkäufe und so weiter drehen. In Malmö erzählte mir ein befreundeter Journalist aus Israel, es gebe doch viele Beweise für Käufe von Televotingstimmen und sogar auch der Gunst von Jurymitgliedern. Im Falle des aserbaidschanischen Performers Farid Mammadov scheint es mir zunächst so: Sein Beitrag und auch der aus der Ukraine sind von modernster Machart. In jedem Ton ihrer Arrangements wird der Anspruch deutlich, global in Radios gespielt zu werden. Dass Ictimai TV, Aserbaidschans TV-Sender, nach dem ESC in Baku 2012 seine Ansprüche auf überlokale Bedeutung aufrecht erhält - wen wundert das denn?

Natürlich macht man weiter, genau wie die TV-Anstalten Russlands: Man will doch Internationalität herzeigen. Weshalb sonst werden gerade von exsozialistischen Ländern mit autokratischen, oligarchischen Strukturen Komponisten- und Texterteams aus dem “Westen”, besonders gern aus Schweden eingekauft - es soll doch nicht hinterwäldlerisch klingen! In der ZDF Show “Markus Lanz” taucht (ab Minute 53:20) etwas davon auf: Skandinavisches geht immer! Insgesamt hat den Fall des möglichen Stimmenkaufs der Prinzblog ziemlich gut aufgedröselt. Was hier geschrieben ist, deutet zumindest die Möglichkeit von obskuren Votings an. In den ESC-Foren werden andere Ungereimtheiten aufgezählt. Warum gibt Aserbaidschan Russland keinen Punkt, obwohl es in der Jury von Baku starke Zustimmung für Dina Garipova gab - und woher wissen das die Leute in Moskau überhaupt?

Ein Aspekt bleibt unbeleuchtet, in allen Beiträgen: Generell gilt ja angeblich die 50/50-Regel. Das heißt: Die eine Hälfte des Stimmengewichts kommt über das Televoting (SMS, Anrufe, App-Klicks) zustande, die andere über eine Jury. Davon abgesehen, dass eine aserbaidschanische oder weißrussische Jury nicht unabhängig sein kann - es sind nun mal autokratische, diktatorische Regime - hat die EBU aber bestimmt, dass das Televotingresultat nur zählt, wenn genügend Stimmen zustande gekommen sind. In Monaco rief vor ein paar Jahren - ein Extremfall - kein einziger beim ESC-Televoting an: Und dann zählte nur die Jury. In welchen Ländern also nur die Jurywertung zur Geltung kamen, dazu schweigt die EBU ebenso wie zu der Frage, wie hoch ein Televotinganteil sein muss, damit er in ein 50/50-Resultat einfließen kann.

Sietse Bakker, Event Supervisor für den ESC bei der EBU, Direktor und Sprecher des Projekts, teilte eurovision.de mit: “We do not reveal the so-called televoting threshold, to avoid people in the future abusing this information to make attempts to influence the televoting in certain countries.” Heißt: Um direkte Manipulationen zu vermeiden, geben wir kein Limit bekannt – weder im Hinblick auf die Zahl der Televoter noch auf die der Länder, die mangels Televotinganzahl als ihr Resultat ein reines Juryergebnis vortrugen. Er sollte es dringend mit aufklären helfen. Denn wie sagte er eurovision.de noch vor dem Song Contest: “Wir dürfen nicht bequem werden”  - sonst zerstört sich der ESC durch Korruptionsfälle so sehr wie der Radsport durch vertuschte Dopingpraxen. Das ist irgendwie verständlich, andererseits auch nicht. Das Televoting läuft seit vielen Jahren über eine Kölner Firma namens Digame, sie lässt ihre Ergebnisse von einer international renommierten Firma prüfen. Alle Televotingresultate sind zuerst Digame bekannt, dann erst den einzelnen Ländern. Wie also Korruption mit SIM-Karten genau funktioniren könnte, erschließt sich nicht so recht.

Tatsache ist: Korruption gab es in den frühen Neunzigern gerüchteweise auch schon: Malta, Kroatien, die Slowakei und Zypern sollen daran beteiligt gewesen sein. Das war vor den elektronischen Zeiten, als es noch persönlich bestellte Jurymitgliedschaften gab. So sorgte beispielsweise in Malta der Intendant des Senders persönlich dafür, wer in der Jury von La Valetta saß. Auch darf inzwischen als sicher gelten, dass Massiels Sieg 1968 auf stimmengedopte Art stattfand. Das rechte Franco-Regime wollte den ESC aus Prestigegründen und man kaufte für diesen Zweck internationale Künstler wie den Deutschen, damals in Acapulco ansässigen Arrangeur und Komponisten Bert Kaempfert ein. Hier geht’s zum Video. Man sieht, Aserbaidschans Strategien - falls es sich um solche handelt - hatten Vorläufer im heute demokratisch geläuterten “Westen”. Was wir uns jetzt wünschen, sind Antworten auf die ungeklärten Fragen zum Song Contest in Malmö!

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 18.05.2013 | 21:00 Uhr