Petticoat und Smoking: die 1950er-Jahre

Lys Assia war 1956 die erste Gewinnerin des Grand Prix Eurovision überhaupt.
Es war der 24. Mai 1956 als im schweizerischen Lugano die erste Ausgabe des Grand Prix Eurovision de la Chanson stattfand. Sieben Länder schickten ihre Kandidaten zu dem Contest, den die Schweizerin Lys Assia mit ihrem Song "Refrain" gewann. Gesanglich hielt man sich an den guten und vor allen Dingen leisen Ton. Alles war frisch und geschmackvoll und die Teilnehmer achteten sehr darauf, die Grenze des moralisch Erlaubten nicht zu überschreiten. Dies galt natürlich auch für ihre Mode.
Die wenigen Fotos, die es von der Veranstaltung gibt, zeigen Interpreten in schönen und stilvollen Kleidern und Aufmachungen. Lys Assia etwa trug ein schimmerndes, trägerloses Kleid, dazu eine schlichte Perlenkette, die leicht - und fast aufreizend - in ihrem Ausschnitt verschwand. Ihre Garderobe war in Paris angefertigt worden und sehr elegant. Immerhin, es waren die Jahre des Wiederaufbaus, die Menschen waren hungrig nach schönen Dingen. Dazu gehörten auch Hochsteckfrisuren, wie Lys Assia sie trug und die man aus dem Film Sissi kannte, der im Dezember zuvor in den Kinos angelaufen war.
Gepflegte Spießigkeit

Die Deutsche Margot Hielscher besang 1957 das Telefon.
Die 1950er-Jahre waren allgemein geprägt vom wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Aufbruch. Viele deutsche Familien fuhren zum ersten Mal mit Auto oder Bundesbahn in den Auslandsurlaub. Das Mittelmeer galt zwar noch immer als ein wenig exotisch, war aber doch immerhin erreichbar geworden. Und: Deutschland wurde bunt! Leichte Pastellfarben ersetzten schwere braune Töne - auch wenn die Fernsehzuschauer dies noch nicht erahnen konnten: Das Farbfernsehen wurde hierzulande erst am 25. August 1967 eingeschaltet.
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Lange Kleider und Handschuhe lagen bei den Damen Anfang der fünfziger Jahre im Trend, bei den Herren Fliege und Anzug. Tonina Torrielli (2. v.l.) und Franca Raimondi (2. v.r.) nahmen 1956 für Italien am Grand Prix Teil. Mit ihnen im Bild (v.l.n.r.): Luciana Gonzales, Ugo Molinari, Clara Vincenzi.
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Glänzende Stoffe waren für die mondäne Frau von Welt genauso wichtig, wie Jäckchen oder Stolen aus Pelz. Die Schweizerin Lys Assia schloss sich diesem Trend gerne an.
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Alice und Ellen Kessler hingegen tanzten 1956 des Öfteren im Pariser Lido - dort legte man eher auf schönen Schmuck als auf schöne Kleidung Wert.
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Als Margot Hielscher 1957 für Deutschland am Grand Prix teilnahm, betrat sie die Bühne in strahlend weißer Robe. Ihre weibliche und klassisch elegante Frisur passte sehr gut dazu - und in die Zeit.
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Als Französin war Paule Desjardins natürlich auf dem Laufenden, was die modischen Trends anging: Sie trug bei ihrem Auftritt ein etwas mehr als knielanges Kleid aus Spitzenstoff, mit Schleife und sehr breiten Trägern.
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Männer haben es in der Mode ja immer ein klein wenig einfacher, der Italiener Nunzio Gallo trug 1957 einen klassischen Smoking.
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Besonders züchtig gab sich die Belgierin Danièle Dupré bei ihrem Auftritt 1957 in Frankfurt - sie trug ein hochgeschlossenes, langes Kleid in klassischem Schwarz. Ihre Taille betonte sie mit einem breiten schwarzen Gürtel.
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Sehr brav wirkten auch die Dänen Birthe Wilke und Gustav Winckler bei ihrem Auftritt 1957 in Frankfurt ...
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... aus lauter Freude über ihren dritten Platz küssten sie sich dann jedoch sehr ausgiebig - und sorgten damit für den ersten Skandal der Grand Prix Geschichte.
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Die Niederländerin Corry Broken gewann den Granz Prix 1957. Ob das auch an ihrem eleganten, körperbetonten Kleid und den passenden Handschuhen lag, ist nicht bekannt.
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1958 war der Smoking bei den Herren noch immer sehr beliebt - auch Domenico Modugno schmückte sich damit.
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Birthe Wilke nahm 1959 noch einmal am Grand Prix teil - trotz ihres Skandals zwei Jahre zuvor. Beim zweiten Anlauf trug sie ein recht weit ausgeschnittenes Kleid, aber ein Ärgernis löste sie dieses Mal dennoch nicht aus.
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Conny Froboess trat erst 1962 als deutsche Grand Prix-Hoffnung in Erscheinung. Auftritte hatte sie aber auch schon Ende der fünfziger Jahre - etwa in für die Zeit typischen weit ausgestellten Kleidern.
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Allgemein war die Mode in den fünfziger Jahren eher brav und zurückhaltend. Man achtete praktisch immer auf den korrekten Sitz - auch wenn man nur den Einkauf erledigte.
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Freddy Quinn gehörte zu dieser Zeit in Deutschland zu den großen Entertainern - auch er sah schließlich immer gepflegt aus.
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Das große Idol einer ganzen Teenager-Generation jedoch war: Filmstar Romy Schneider. Sie prägte als Kaiserin Sissi auch die Mode - Hochsteckfrisuren etwa waren sehr beliebt.
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Diese akuraten Frisuren trug man sogar im Urlaub - zu Kleidern in den strahlendsten Farben.
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Schauspielerinnen wie Brigitte Bardot sorgten dafür, dass immer mehr Menschen vom Urlaub am Meer träumten.
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Viele Deutsche machten ihre ersten Auslandsurlaube, ein besonders beliebtes Ziel war Italien - wie hier am Gardasee.
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Dort konnte man immerhin die neuesten - aber noch immer sehr klassischen - Bademoden präsentieren.
In der Mode zeigte man sich noch recht zugeknöpft - der Schock, den der erste Bikini im Jahr 1946 ausgelöst hatte, war wohl noch immer nicht ganz verdaut. Die Nylonstrümpfe, die gerade den Markt eroberten, stellten die Spitze der erotischen Kleidung dar. Die typischen Kleider der Fünfziger waren hochgeschlossen, wadenlang und tailliert. In dieses Bild passte Margot Hielscher, die 1957 und 1958 für Deutschland antrat gut: Sie war eine Frau mit außerordentlich guten Manieren - und einer erstklassigen Garderobe. Als Telefonistin, dem Sinnbild an Zuverlässigkeit, ging sie im ersten Jahr mit "Telefon, Telefon" ins Rennen. Dazu trug sie ein weißes körperbetontes, langes Kleid und weiße Handschuhe - von Garderobe verstand die gelernte Modezeichnerin natürlich etwas. Die Siegerin Corry Brokken aus den Niederlanden hatte sich in einem glänzenden Abendkleid auf den Weg nach Frankfurt gemacht.
Mit Pettycoat, ohne Rock'n'Roll

Alice und Ellen Kessler holten 1959 den achten Platz für Deutschland.
Züchtig blieb es auch im darauffolgenden Jahr und so schickte man noch einmal Margot Hielscher zum Contest. Dieses Mal trat sie in den Niederlanden auf - wo große bunte Tulpen-Arrangements die Bühne zierten. 1959 wurde es aus deutscher Sicht plötzlich frech, die Kessler-Zwillinge Alice und Ellen sollten das Land vertreten. Die Schwestern weigerten sich, mit einem Titel anzutreten, der "Heute möchte' ich bummeln gehen" lautet. Für die langbeinigen Schönheiten sollte es peppiger sein - aus der Vokabel "bummeln" wurde "tanzen" und der Song begann mit dem Aufruf: "Hallo Boy! Hast Du Zeit? - Dann komm mit und sag nicht nein." Ein echter Aufreger zu einer Zeit, in der richtige Damen noch warteten, bis sie zum Tanzen aufgefordert wurden. Zudem legten die Kesslers in tief ausgeschnittenen Kleidern eine einminütige Tanzeinlage aufs Parkett - fast ein kleiner Skandal.

Die Niederländerin Teddy Scholten gewann 1959 mit dem Song "N beetje".
Inzwischen hatte der Rock'n'Roll den Pettycoat und seine Überkleider in die Modewelt transportiert, beide gewährten viel Beinfreiheit - für wilde Tanzschritte und Sprünge. Den ESC-Teilnehmerinnen Birthe Wilke aus Dänemark und Teddy Scholten aus den Niederlanden - die den ESC 1959 mit "'N beetje" gewann - sagte der Pettycoat-Stil offenbar zu. Auf wilde Sprünge mussten sie bei ihren Auftritten jedoch verzichten, in den Anfangsjahren des ESC verbot das umfangreiche Regelwerk den Tanz ganz eindeutig. Man wollte sich bewusst vom Rock'n'Roll und anderen modernen Tanzstile distanzieren. Sie waren eben wirklich noch überwiegend dezent und zugeknöpft, die ersten Jahre des Grand Prix Eurovision de la Chanson.
