Stand: 05.08.2014 14:40 Uhr

Conchita - 100 Tage nach ihrem Sieg

Conchita Wurst bei ihrer Ankunft am Flughafen Wien. © dpa / Georg Hochmuth Foto: Georg Hochmuth
Seit ihrem Sieg beim ESC steht Conchita Wurst nicht mehr still.

Ein bemerkenswertes Interview hat der österreichische Rundfunk ORF im Studio Wien in diesen Tagen mit Conchita Wurst geführt. Es ist nützlich zu lesen für alle, die glauben, dass diese Künstlerin nicht wüsste, was sie tat und tut. Und nicht minder für alle, die der Entscheidung des ORF im Hinblick auf die Stadt des nächsten Jahres entgegenfiebern.

Ihre Geschichte selbst ist ja ohnehin schon eine Legende - einerlei, was die Wurst noch tut oder im Leben noch künstlerisch anstellt. Ein Mann, der seine ästhetische Bestimmung in der Rolle einer Drag Queen findet, nimmt am österreichischen Vorentscheid 2012 teil, gewinnt nicht, kommt wieder und siegt im nächsten Jahr nicht nur im eigenen Land, sondern auch beim 59. ESC in Kopenhagen mittels einer gesamteuropäischen Herzensentscheidung. Conchita - sie war auch eine politische Figur des Contest im Mai. Das liberale Europa wollte sie und keine andere Performance zur Königin wenigstens einer Nacht krönen.

Mehr Karriere-Ertrag als erwartet

Jean-Paul Gaultier küsst die Hand von Conchita Wurst © dpa - Bildfunk Foto: Ian Langsdon
Küss die Hand, gnä'dge Frau: Jean-Paul Gaultier fand Conchita Wurst in seiner eigenen Kreation zum Niederknien.

Wörtlich sagt sie selbst im Gespräch mit ORF: "Seit meiner Rückkehr aus Kopenhagen ist jeder Tag wie Geburtstag. (...) Jeden Tag passiert etwas ganz Großartiges - und das ist schon fast befremdlich. Das liegt wohl in der Natur des Menschen, das man denkt: 'Das ist schon fast zu viel des Guten. Ist das denn alles noch wahr?', denke ich mir da oft. Aber es ist alles wahr! In der E-Mail wirkt es noch befremdlich, und dann stehe ich zwei Wochen später wirklich für Jean Paul Gaultier auf dem Laufsteg."

Seit ihrem Sieg sind 100 Tage vergangen. Christopher Street Days in vielen Städten hatten sie zu Gast; sie war in den USA, in Großbritannien, und demnächst wird sie für Arte mit Jean-Paul Gaultier durch Wien tuckern. Das ist viel mehr an Karriere-Ertrag, als man gewöhnlich von einem ESC-Siegesact erwarten konnte. Und doch: Laut besagtem Interview weiß Conchita Wurst, dass es an einem Nachfolgeprojekt für "Rise Like A Phoenix" noch fehlt - und dass die Moderationsfrage nächstes Jahr nicht unbedingt mit ihrer Person beantwortet sein muss.

In Not eines Albums

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ESC-Gewinnerin Conchita Wurst. © Eurovision.de Foto: Screenshot Eurovision.de

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So gibt Conchita Wurst schließlich auch Auskunft über die, nun ja, Not, ein Album herauszubringen. Das will gut überlegt sein, denn, so wörtlich: "Man ist nur so gut wie sein letztes Produkt. Und so sehe ich das auch. In diesem Business hat man keine Garantie. Nur weil man den Song Contest gewonnen hat, hat man nicht für immer ausgesorgt - das ist ein Schwachsinn. Ich bin genauso gut wie das, was ich jetzt musikalisch von mir geben werde. Und dafür lasse ich mir genauso viel Zeit, bis ich sage: 'Ich kann mit diesem Song feiern und weinen.' Ich will ein Album kreieren, bei dem ich sagen kann: 'Auch wenn es nichts wird, habe ich mir nichts vorzuwerfen.'"

Das ist alles nur zu wahr und von, das will ich doch meinen, ungeheuerlichem Realismus geprägt: Sie weiß, was sie tut. Besser: Sie weiß, was kommen sollte - bei all den Erwartungen, die sie verkörpert.

Gutes Timing ist gefragt

Ich würde sagen: Die Nachfolgehits können noch ein wenig warten - aber eben auch nicht zu sehr. Bis zum Frühjahr wäre es passend, danach wird es schwierig. Viele ESC-Künstler haben später kein Bein mehr in der Tür zum Erfolg halten können. Udo Jürgens gehört zu den Ausnahmen, nicht minder Abba, Céline Dion oder Lena (zumindest für den deutschen Markt). Insofern sollte Conchita Wurst in der Tat kein Projekt verfolgen, das ein Album mit Coverversionen vorsieht. Eher eines, das genauso ungewöhnlich und einzigartig ist wie ihre Performance in Dänemark selbst. Es dürfen auch - das erwarte ich sogar - Lieder darauf enthalten sein, die ihre künstlerische Bandbreite erweitern. Das heißt es könnten auch Balladen mit aufs Album genommen werden, die nicht wie Pomp an Perlenketten klingen.

Conchitas Wunsch-Moderatoren

Länderporträt
Udo Jürgens vor der Österreichischen Flagge. (Bildmontage) © Fahne: Fotolia, Quelle Künstler: picture-alliance / dpa Foto: Fahne: Juergen Priewe, Fotograf Künstler: Ducklau

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Zum Schluss teilt Conchita Wurst mit, was sie von der noch zu klärenden Moderationsfrage hält: Ja, Christoph Waltz wäre schön, sie selbst hätte ihre Anwartschaft ja schon in Kopenhagen kund getan. Vor allem aber schlägt sie zwei junge, eher unbekannte Kolleginnen und Kollegen vor - flankiert von der berühmten österreichisch-deutschen Sängerin und Schauspielerin Dagmar Koller, quasi als eine Art Grande Dame des österreichischen Entertainments.

Jüngere werden Dagmar Koller nicht kennen, sie hatte ihre größten Zeiten in Funk und Fernsehen in den sechziger bis siebziger Jahren. Sich aufs Altenteil zurückzuziehen hat sie aber nie Lust verspürt, heißt es. Koller, eine der charmantesten Frauen im Showgeschäft unserer Nachbarn, feiert am 26. August ihren 75. Geburtstag. Es wäre ein passendes Geburtstagsgeschenk, würde man ihr, die des Französischen mächtig ist, die Moderation des ESC mit anvertrauen.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 10.05.2014 | 21:00 Uhr