2014: Eurovision Song Contest in Kopenhagen
Punkt 21 Uhr: Die Eurovisions-Melodie tönt durch Europa. Auf diesen Moment haben die 26 Teilnehmer seit Monaten hingefiebert. Viele von ihnen standen in den letzten zwei Wochen fast täglich auf der großen Bühne in der alten Werfthalle in Kopenhagen, um heute einen atemberaubenden Auftritt hinzulegen. Jetzt darf wirklich nichts mehr schiefgehen - denn vor dem heimischen Fernseher warten weit über 100 Millionen ESC-Fans auf das alles entscheidende Finale.
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Ein schöneres Ende des ESC 2014 hätte es nicht geben können. Conchita Wurst gewinnt den Contest. Nach der Show macht sie klar, was ihr dieser Sieg bedeutet: "Dieser Abend gehört denen, die für Frieden und Gerechtigkeit kämpfen."
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Die Ukrainerin Maria Yaremchuk eröffnet das Finale, das von 180 Millionen Menschen in 45 Ländern verfolgt wird - inklusive China. Keine leichte Aufgabe für die 21-Jährige. Viel Wind auf der Bühne, viel nackte Haut und ein etwas durchschnittlicher Song - aber dafür viel fürs Auge.
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Teo aus Weißrussland ist in seiner Heimat ein Star. Auch auf der europäischen Bühne macht er seine Sache ganz gut. Der Song "Cheesecake" klingt fluffig, so wie ein Käsekuchen sein muss. Aber eine Geschmacksexplosion ist er nicht.
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Dilara Kazimova aus Aserbaidschan bringt Besinnlichkeit auf die riesige Bühne in der Kopenhagener B&W-Halle. "Start A Fire" ist eine berührende Ballade, die sie besser singt als im Halbfinale.
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Den ersten Farbflash des Abends verursachen die Isländer Pollapönk. Die lustige Kombo, zu der sogar ein Parlamentsabgeordneter gehört, hat sichtlich Spaß auf der Bühne. Kreischbunte Anzüge, lustige Choreographie - sie bieten witzigen Fun-Punk, bei dem auch die Gliedmaßen der Zuschauer anfangen zu zucken.
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Carl Espen ist ein Baum von einem Mann. Sein Gesang dagegen ganz zart und einfühlsam. Vor Millionen von Zuschauern zu stehen ist für den zurückhaltenden Newcomer aus Norwegen eine neue Herausforderung, die er mit seinem ans Herz gehenden "Silent Storm" beeindruckend meistert.
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Paula Seling und Ovi sind alte Bekannte beim ESC. 2010 schafften sie es, auf einem gläsernen Flügel spielend, bis auf Platz drei. Am Konzept haben die Rumänen 2014 nicht viel geändert - nur dass das Tasteninstrument jetzt rund ist.
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Er gehörte von Anfang an zu den Favoriten: Aram Mp3 aus Armenien. Wie schon im Halbfinale liefert er eine musikalische Explosion ab. "Not Alone" fängt ganz behutsam an und steigert sich bis zu einem bombastischen Finale. Ein Lied, das auch ohne Refrain fesselt.
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Mit Sergej Ćetković steht ein weiterer Star aus Osteuropa auf der Finalbühne. Doch der Ballade fehlt die Kraft und das Besondere. "Moj Svijet" bleibt im Vergleich zu den vielen dramatischen Songs im Wettbewerb blass.
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Ist das nun Ironie oder nicht? Liebreizende Blondinen, die ihre weiblichen Reize so übertrieben ausstellen, dass es eigentlich nicht ernst gemeint sein kann. So oder so - Sex sells und das scheint auch der Hauptgrund dafür zu sein, dass "My Słowianie - We Are Slavic" von den Polen Donatan & Cleo so gut ankommt.
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Die Griechen Freaky Fortune feat. Risky Kidd schrauben die Stimmung mit ihrem Balkan-Beat-Hip-Hop noch mal höher. Das Publikum nimmt "Rise Up" wörtlich und springt wie angestochen auf und ab. Der Partykracher trifft voll ins Schwarze.
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Der Songtitel "Rise Like A Phoenix" ist wahr geworden. Conchita Wurst ist zu einem der größten Stars des diesjährigen ESC aufgestiegen und gehört im Finale zu den großen Favoriten. Die Dragqueen hat die Herzen erobert - negative Stimmen gibt es kaum noch. Ihre Drama-Performance wird zu Recht bejubelt.
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Startplatz Nummer 12, direkt nach Conchitas Glamourballade. Keine leichte Position für Elaiza. Doch die drei punkten wie immer mit ihrer Natürlichkeit und Spielfreude. Sichtlich euphorisiert performen sie "Is It Right" - ein gelungener Auftritt, doch am Ende leider nur Platz 18.
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Die Schwedin Sanna Nielsen hat hier fast Heimvorteil. Unter den Zuschauern sind sehr viele Landsleute, die die Sängerin bestens unterstützen. Sicher und souverän schmettert sie ihre Ballade "Undo". Und man fragt sich, warum die Schweden sie nicht schon früher zum ESC geschickt haben.
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Das erste Zwillingspärchen des Abends entert die Bühne: Pascal und Laurent aus Frankreich. Patrick, der mit freiem Oberkörper auch mal den Frauen etwas bietet, komplettiert das Trio Twin Twin. Total gaga, könnte man meinen. Aber die drei haben eine ernste Botschaft: Sie kritisieren den Kosumzwang - mit viel Partypower.
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Im Anschluss die nächsten Zwillinge: Die Tolmachevy Sisters. Und wieder kassieren die Russinnen Buhrufe. Die Zuschauer strafen sie stellvertretend für Putins Politik ab. Den 17-Jährigen wird es in Kopenhagen nicht leicht gemacht.
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Emma Marrone will wohl in die Fußstapfen von Italiens bekanntester Rockröhre Gianna Nannini treten? Voller Energie singt sie ihren Song "La Mia Città", der von einer Frau erzählt, die alles haben will. Und auch Marrone versucht auf der Bühne wirklich alles, um die begehrte ESC-Krone zu erreichen.
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Dass Tinkara Kovač und ihre Querflöte ins Finale einziehen, war für viele eine Überraschung. Die Slowenin ist zwar eine Top-Musikerin, die schon als Soloflötistin auf dem Petersplatz in Rom gespielt hat. In der B&W-Halle in Kopenhagen springt der Funke allerdings nicht wirklich über.
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Die Finnen von Softengine bringen ein starkes Kontrastprogramm zu der Querflöten-Nummer. Der coole Pop-Sound aus dem hohen Norden lässt die Zuschauer alles andere als kalt. Die Finnen gehören zu den jüngsten Teilnehmern, haben es aber schon drauf, ein Millionenpublikum zu begeistern.
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"Dancing in the Rain", das ist nicht nur der Titel von Ruth Lorenzos Song, sondern auch ihr Motto. Die Spanierin gibt den musikalischen Tipp, bei Schwierigkeiten einfach im Regen zu tanzen, anstatt zu kämpfen. Auf der Bühne beherzigt sie ihren Rat: Sie lässt sich nassregnen und tanzt ihr Lampenfieber einfach weg.
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Wer auffallen will, braucht ein Markenzeichen. Das weiss auch der Schweizer Sebalter und beginnt seinen Song "Hunter Of Stars" mit einem Pfeif-Intro, das gleich ins Ohr geht. Auch wenn es der sympathische Tiroler beim ESC nicht bis ganz oben schafft, er bleibt in Erinnerung.
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Der Ungar András Kállay-Saunders begeisterte das ESC-Publikum von Anfang an. Sein musikalisches Talent hat er vermutlich vom Vater geerbt. Der ist Bassist und hat schon mit Lou Reed zusammen gespielt. Der Auftritt in Kopenhagen wird sicher auch András Karriere beflügeln.
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Die Malteser von Firelight bringen mit ihrem Folksong beschwingte Leichtigkeit in den Saal. Handgemachte Musik von einem sehr eingespielten Team: Allein vier der fünf Musiker sind Geschwister. Die Südländer begeistern - ganz ohne Glitzerkostüme und große Bühnenschau.
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The Jackson Five lassen grüßen. Basim aus Dänemark und seine Backgroundsänger lassen das Soul-Feeling der 60er-Jahre wieder auferstehen. Stilecht im Retroanzug und mit goldener Lightshow versprühen sie ihren jugendlichen Charme, vereint mit toller Musik. Ein Spitzen-Auftritt.
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Auch The Common Linnets aus den Niederlanden sind cool - auf ihre ganz eigene Art. Locker und fröhlich besingen sie die Ruhe nach dem Sturm - "Calm After The Storm" - und es gelingt ihnen wunderbar, diese Stimmung rüberzubringen. Sie belegen Platz 2 in einem Kopf-an-Kopf-Rennen mit Conchita Wurst.
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Dann wieder die ganz großen Gefühle. Valentina Monetta aus San Marino hat es beim dritten Anlauf endlich geschafft, ins Finale zu kommen. Sie gibt die Diva mit großen Gesten und pathetischem Gesang. Die Stimme dafür hat sie.
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Mit Molly Smitten-Downes startet mal wieder eine Musikerin auf der Höhe der Zeit für das Vereinigte Königreich, nach Bonnie Tyler und Engelbert Humperdinck in den Vorjahren. Ein schöner Finalabschluss, der aber nicht an die ganz großen Zeiten der Nation anknüpfen kann.
Eindeutiger Favorit? Fehlanzeige!
Eines war von vornherein sicher: Es sollte ein spannender Abend werden. Selten gab es so viele Favoriten gleichzeitig, selten waren sich Experten und Fans so uneinig über die Favoriten-Hauptrolle. Let the show begin - eine hippelige Vorfreude breitet sich von der Halle auf die Bildschirme der ganzen Welt aus. Es war nicht nur ein aufregender Abend, sondern eine Show voller Effekte, Gegensätze und großartiger Momente. "Europe, are you ready to join us?" Definitiv!
Für jeden Geschmack etwas dabei
Videos
Die Ukrainerin Maria Yaremchuk sorgt auf der ersten Startposition gleich für Tanz-Feeling - mit einem verspielten Song und einem Tänzer, der in seinem Hamsterrad laufend schon mal die Lichtmaschine anzuwerfen scheint. Peter Urban hat gleich nach dem ersten Beitrag das Bedürfnis, den Zuschauern Orientierung zu bieten: "Sie sind beim ESC, nicht beim europäischen Turnfest mit Rhönradturnen", erinnert er die deutschen Zuschauer.
Die folgenden Beiträge zeigen, dass Europa Vielfalt kann: Käsekuchen-Appetit und Boygroup-Feeling bei Teo, Rockiges von den jungen Finnen von Softengine und Spaßiges mit ernster Botschaft von den Kinderpunkern Pollapönk aus Island. Letztere feiern ihren Song "No Prejudice", der ursprünglich als Botschaft für mehr Toleranz gegenüber Stotterern gedacht war, wie eine europäische Hymne - die beim Publikum gut ankommt.
Moderne Sounds
In der Mischung der Beiträge fällt auf, dass viele moderne Beiträge mit internationalem Sound vertreten sind. So zum Beispiel "Rise Up" von Freaky Fortune feat. Risky Kidd: Ein Song, der in den Discos Europas genauso laufen könnte. Das Publikum wird von den Sitzen gerissen - der Songtitel hält, was er verspricht. Ähnlich modern präsentieren sich Armenien, Finnland sowie Malta mit ihrem Country-Folk à la Mumford & Sons.
Schöner Schmalz
Ein ehemaliger Soldat, Türsteher und Handwerker steht auf der Bühne in Kopenhagen - und singt in aller Seelenruhe seine bewegende Ballade "Silent Storm", die eine Welle der Verzauberung durch die Halle pustet. Einige Minuten später betritt die so perfekt wirkende Schwedin Sanna Nielsen im schlichten schwarzen Kleid die Bühne, im Gepäck ihre Power-Pop-Ballade "Undo". Ihr starker Auftritt wird noch von den unzähligen Handy-Taschenlampen des Publikums unterstützt. Auch Aserbaidschan präsentiert sich sanft - Dilara Kazimova trägt ein rotes Kleid, passend zum Songtitel "Start A Fire" und dem Landesmotto Feuer.
Und dann sind da noch The Common Linnets aus den Niederlanden: Zwei Solo-Künstler, die stimmlich trotzdem miteinander verschmelzen. Es stehen an diesem Abend zwar nicht übermäßig viele Balladen auf der Tagesordnung - aber die, die es ins Finale geschafft haben, haben es in sich.
Schmissige Hits mit Ohrwurm-Potenzial

Versucht mit einem Gute-Laune-Song zu punkten: Sebalter. Der Schweizer landet damit auf Platz 13.
Einen Kontrast zu den Kuscheleinheiten bilden zum Beispiel die Schweiz, Malta und Dänemark: Sebalter sorgt mit seinem Gute-Laune-Song zum Mitklatschen und Mitpfeiffen für eine Erfrischung. Der Großfamilie Firelight aus Malta merkt man an, dass sie schon seit Ewigkeiten zusammen Musik machen - die Chemie stimmt. Und dann ist da noch das Gastgeberland: Basim und sein leichtfüßiger Schubidu-Ohrwurm werden in der Halle von seinen Landsleuten gefeiert. Nur die Klamotten des Sängers wirken leicht unfertig: Die Fliege hängt ungebunden um den Hals und die Hose lässt die Angst vor Hochwasser steigen. Das große "Love"-Plakat im Hintergrund und der Strahlemann Basim lenken davon aber zum Glück ab.
Die Brücke zwischen ruhigen und schmissigen Tönen schlägt der Armenier Aram Mp3 mit "Not Alone". Der Song kommt zunächst harmlos daher, entwickelt sich dann aber zu einer furiosen Dubstep-Nummer mit ordentlichen Bässen. Auch wenn die Stimme des Sängers am Anfang leicht wackelig klingt, bringt diese Nummer den Fernseher zum Wummern und sorgt dank Feuerwerk auf der Bühne für ordentliche Effekte.
Wenig Klischee
Kitsch und Klischee findet man in diesem ESC-Jahrgang nur bei den Beiträgen, die bewusst damit spielen. Allen voran: Polen. Donatan & Cleo haben mit dem Video zu ihrem ESC-Beitrag "My Slowianie - We Are Slavic" auf Youtube mittlerweile 42 Millionen Klicks gesammelt - nach der Performance auf der ESC-Bühne sollte auch klar sein, warum: Mit ihrer Mischung aus traditionellen und dann doch sehr provokativen Kostümen, Bewegungen und Anspielungen ziehen sie die Aufmerksamkeit auf sich - und polarisieren. Auch Peter Urban kann sich einen Spruch nicht verkneifen: "Das war der Trailer zur neuen polnischen Reality-Show 'Landfrau sucht Bauer'."
Witzig und schräg geht es auch bei den Franzosen zu. Kostümtechnisch spielen sie in einer Kategorie mit den bunten Isländern Pollapönk. Sie greifen mit "Moustache" ein typisch-französisches Klischee auf. Und in noch einem Punkt heben sich Twin Twin von der Masse ab: Sie singen in ihrer Landessprache.
- Teil 1: Eindeutiger Favorit? Fehlanzeige!
- Teil 2: Bühnenspektakel und urkomische Requisiten
