Stand: 29.05.2013 15:05 Uhr

Ein bisschen Transparenz

Junge Frau hält Punktevergabekarte vor ihr Gesicht (Bildmontage) © Fotolia, NDR Foto: rrrob, Jonas Ockelmann
Wie haben Jurys und Anrufer entschieden? Das ist die große Frage nach dem ESC.

Das Geraune um seltsam, manchmal obskur anmutende Punkteverteilungen nahm und nimmt kein Ende. Immerhin hat eurovision.tv, die offizielle Website der European Broadcasting Union (EBU) zum Eurovision Song Contest, nun eine Übersicht zu den Wertungen vom 14. und 16. sowie dem 18. Mai veröffentlicht. Besser aufgeschlüsselt wird es allerdings von esctoday.com, die Plattform auf der Sietse Bakker, Executive Supervisor des ESC in der EBU, einst sein Interesse am Liederfestival zu professionalisieren begann. Die Interpretation der Autorin Stella Floras fällt angemessen nüchtern aus. Zusammengefasst: Dänemark hat sowohl bei den Jurys als auch bei den Televotern gewonnen. Einige Unterschiede in den Rangfolgen sind zu beobachten. Dass noch viel detailliertere Ergebnislisten wichtig wären, ist für mich sonnenklar. Deutschlands Cascada wäre unter allen Umständen ziemlich weit hinten gelandet: Beim Televoting hat “Glorious” ein wenig besser abgeschnitten als bei den Jurys.

Wie dem auch sei: Eine Online-Petition für stärkere Durchsichtigkeit des Verfahrens wie seiner Resultate wurde auf den Weg gebracht – aber nach Lage der Dinge wird die EBU vorläufig jedenfalls keine weiteren Einzelheiten verraten. Sietse Bakker verweist auf die offiziellen Stellungnahmen und betont, er habe alles gesagt. Heißt: Mehr preiszugeben von den Regularien würde bedeuten, sich möglichen Manipulationen nicht erwehren zu können. Kollege Stefan Niggemeier hat das in einem Blog-Beitrag nach seinen eigenen Recherchen wiederholt, was auch hier schon mal zu lesen war: Das Verfahren werde nicht in den ESC-Ländern bestimmt, sondern zentral von einer speziellen Firma namens Digame, die präzise prüfen kann, ob manipuliert wird oder nicht.

Das Problem, wenn man es als solches begreifen möchte, ist in diesem Jahr, dass es eine kleine, feine Änderung in den Wertungsrechnungen in den einzelnen Ländern gegeben hat. Ich muss gestehen: Ich wusste davon, habe es aber nicht als besonders gravierend empfunden. Im Netz las ich davon bei Eurofire zuerst Anfang März, als die deutsche Vorentscheidung in Hannover längst schon gelaufen war. Am Beispiel des weitgehend veröffentlichten Votings aus Italiens lässt es sich gut illustrieren: Rumänien gewann überwältigend das Televoting  muss aber bei der Jury so desaströs abgeschnitten haben, dass Cezar am Ende nur einen Punkt erhielt. Zusammengerechnet nämlich werden nicht nur die Plätze 1 bis 10 der Jury und des Televotings, sondern alle Ränge. Auf der Seite escinsight.com wird es gut erklärt: Früher war es so, dass der Rumäne auf jeden Fall sehr viele Punkte aus Italien erhalten hätte, allein schon wegen seiner Televoting-Spitzenposition. Die Jury sah ihn in diesem Fall irgendwo unter den Letzten. Cezar also stand am Ende schlechter da als ein Act, der theoretisch gesehen sowohl bei der Jury als auch beim Televoting auf Platz 12 rangiert hätte.

Man könnte sagen: Durch diese Änderung ist der Einfluss der Jury - die ja erst wieder zu Macht kam, nachdem es vor allem im klassischen ESC-Europa (der Westen, der Norden, der Süden) Ärger wegen einer angeblichen osteuropäischen Dominanz gab - immens gewachsen. Eine Jury kann die favorisierten Acts des Publikums marginalisieren. Weshalb allerdings jetzt angenommen wird, dass die ESC-Verantwortlichen damit einen Stil “middle of the road”, also den gefälligen Mainstream, befördern wollten, ist mir schleierhaft - zumal nach Lordis Sieg 2006 in Athen. Erstens weisen alle ESC-Funktionäre diese Idee von sich. Zweitens stimmt es faktisch nicht: Mit Raphael Gualazzi 2011 in Düsseldorf, Rona Nishliu 2012 in Baku oder in diesem Jahr Griechenlands Alkoholprediger Koza Mostra auf dem sechsten Rang - sie alle stehen ja nicht gerade für Mainstream oder das Gefällige. Obendrein war Lordis “Hard Rock Hallelujah” ein Charterfolg und kommerziell ziemlich erfolgreich, auch wenn nicht annähernd in den Bereichen, die Loreen mit “Euphoria” schaffte. Richtig an der Gefälligkeitsthese scheint mir, dass in der Reference Group seit Mitte der 90-Jahre diskutiert wird, beim ESC stärker auf Chartfähigkeit zu achten. Das hat zur Abschaffung des Orchesters und der Pflicht zur Landessprache geführt (dieses Jahr allerdings mit einer starken Präsenz von landessprachlichen Acts).

Zurück zu den Punkten. Letztlich ist es einerlei, für welches Verfahren man sich entscheidet, nur transparent sollte es sein - durchsichtig und verstehbar und rechtzeitig verkündet. Und was die Jurys angeht: Mir ist es ein Rätsel, weshalb nicht nur bei Verdachtsfällen von Schummeleien die EBU Beobachter in Länder schickt - weshalb nicht als Regel? Und wäre es nicht wichtig, die Namen der Jurymitglieder zu erfahren? Sietse Bakker sagt, man müsse auch Vertrauen haben, denn es lebe alles von der Balance aus “Fairness und Transparenz”. Was ist daran unfair, im Falle von Ungerechtigkeitsgefühlen Aufklärung erhalten zu wollen?

P.S.: Im vorigen Blog habe ich berichtet, das aserbaidschanische Fernsehen Ictimai TV sei wegen Störungen während des armenischen Beitrags von der EBU bestraft worden. Das ist nicht richtig. Überliefert wurde mir von einem Freund in Baku, ein Aseri mit deutschem Pass und mit Verbindungen zu politischen Stiftungen aus Deutschland, dass die Übertragung des ESC von Flimmern begleitet war, als der armenische Beitrag an der Reihe war. Gutwilligerweise ließe sich spekulieren, dass es nur ein störendes, technisch bedingtes Rauschen in der Fernsehleitung war.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 18.05.2013 | 21:00 Uhr