Stand: 28.02.2017 15:34 Uhr

Feddersens Kommentar: Queeres in Kiew

Die ESC-Moderatoren Volodymyr Ostapchuk, Oleksandr Skichko und Timur Miroshnychenko (von links) vor weißem Hintergrund © UBA:PBC Foto: UBA:PBC
Keine Frau dabei: Den ESC 2017 moderieren drei Männer - ein Bruch mit alten Song-Contest-Ritualen.

Was für ein Traditionsbruch: Drei Männer moderieren die ESC-Shows im Mai in Kiew. Und keine einzige Frau ist mit ihnen. Nicht einmal beigestellt, und sei es als Interviewerin im Green Room. Seit 1956 gab es das nicht mehr: dass nicht eine Frau den Eurovision Song Contest moderiert. Menschen weiblichen Geschlechts mussten einfach die Conférence leisten - mit dem Höhepunkt im Jahre 1985, würde ich sagen, als Lill Lindfors in Göteborg die Rolle der Moderatorin nicht mehr steif und staatstragend ausfüllte, sondern den Abend wie eine gute alte Freundin mit gewissen frivolen Aspekten zeremonierte, inklusive Trickkleidnummer. Das so zu kommentieren, ist nicht abträglich gemeint, ablehnend oder kritisch. Im Sinne von: Hätten sie nicht wenigstens Jamala nominieren sollen oder Ruslana - die beiden ESC-Siegerinnen für die Ukraine aus 2004 und 2016? Aber, soviel steht fest: Es ist ein Bruch mit den Ritualen des ESC.

Moderatorinnen waren Zeremonienmeisterinnen

Seit ESC-Freunde denken können, war es mindestens eine Frau, die durch den Abend führte. Meist im langen Abendkleid, in festlichen und schönen Textilien - gar mit außergewöhnlichem Ohrgeschmeide wie Viktor Laszlo 1987 in Brüssel. Immer eine Frau war dabei, das war typisch für das traditionelle Fernsehen. Frauen waren das Schmuckwerk, die Kirsche auf der Torte, falls man das mal so salopp formulieren darf - ein Muss. Sie begleiteten die Show und das durch und durch reguliert: erst die Lieder, dann die Pause mit der Punkteauszählung, schließlich die Verkündung der Punkte.

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Fahnenschwenken beim Eurovision Song Contest © eurovision.tv Foto: Andres Putting

Drei Männer moderieren den ESC 2017

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Sie waren die Seele der mehr oder weniger drei Stunden Eurovisionsfestival, die Hohepriesterinnen, die gelegentlich ihr Amt ins Zähe transformierten, die legendäre Marlène Charell aus Winsen an der Luhe 1983 etwa, als sie in München buchstäblich alles multisprachlich übersetzte. In den vergangenen Jahren haben sie etwas an Glanz eingebüßt, und das mag auch daran liegen, dass sie im Rudel kamen, etwa 2015 in Wien, als Arabella Kiesbauer, Alice Tumler und Mirjam Weichselbraun gemeinsam die Show schmissen. Das Trio musste sich die Scheinwerfer teilen - das war eher unübersichtlich. Okay, Conchita Wurst war Interviewerin im Green Room damals, ein schwuler Mann, aber als Frau, als Dragqueen, auf der Bühne.

Führten ein Mann und eine Frau gemeinsam durch den Abend, wie etwa 2001 in Kopenhagen in außergewöhnlich rückenstarrer Förmlichkeit Natasja Crone und Søren Pilmark, war dies auch immer ein Symbol für eine gewisse Elternhaftigkeit. Ein Zeichen, dass die Show selbst nicht so queer, nicht heterosexuell orientiert ist, wie es manche glauben. Drei Männer, die moderieren, sind insofern eine schwere - aber gute - Verletzung der ESC-Üblichkeiten. Wolodymyr Ostapschuk, Oleksandr Sktschko und Timur Miroschnytschenko heißen sie - und sie werden es wunderbar machen. Dass der verantwortliche ukrainische Sender dieses Trio ausgerufen hat, ist andererseits auch kein Wunder. Das Motto dieses Jahr lautet nicht umsonst "Celebrate Diversity".

"Diversity" als Markenkern ausgerufen

Denn: "Diversity" ist das Zauberwort aller politischen und kulturellen Anstrengungen, die nichts rechtspopulistisch sind. Diversität, Verschiedenheit, ist die Vokabel um als Überschrift eines mächtigen Events zu formulieren, dass alle irgendwie anders als die anderen sein können - und dass das erwünscht und respektiert ist. Die ukrainischen Veranstalter, die ersichtlich finanzielle und institutionelle Schwierigkeiten hatten den ESC zu organisieren, haben nie einen Zweifel daran gelassen, dass sie dieses europäische Prestigeprojekt schaffen werden.

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"Celebrate Diversity" ist das Motto des 62. ESC in Kiew © EBU

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Mutmaßungen im vergangenen Jahr, Kiew werde es nicht schaffen, gingen immer von der Voraussetzung aus, dass in der Ukraine der ESC ein Ereignis unter vielen sein würde. Ein großer Irrtum. Man will sich natürlich auch gegen den unfreundlichen und desinformierenden Nachbarn Russland positiv abheben. Wie Ruslana neulich sagte: Alle tun alles dafür, dass die Kämpfe auf dem Maidan nicht umsonst gewesen waren - und beim ESC, so sagte sie, werden wir es ganz Europa zeigen.

Nebenbei: Moskau 2009, der von der Stimmung unfreundlichste ESC unter allen, die ich seit 1992 erlebt habe, hatte gar kein Motto.

Die Moderatorenfrage ist so politisch inkorrekt geklärt worden wie nichts anderes. Die Ukraine wagt etwas symbolisch. Man will keine Routine abliefern. Gut so!

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 13.05.2017 | 21:00 Uhr

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