Nachfolger der Wurst
Das Teilnehmerfest der österreichischen Vorentscheidung für den ESC 2015 steht fest. Es werden besondere Shows, denn jeder Teilnehmer wird daran gemessen, ob er oder sie geeignet ist oder sind, die wenigstens sängerische Erbschaft der Siegerin von Kopenhagen würdig anzutreten. Österreich steht, natürlich, besonders unter Druck, denn man präsentiert ja das Finale im Mai kommenden Jahres: Da will man sich nicht blamieren. Wobei, sich nicht zu blamieren ist ja die Ambition aller Länder. Nicht um den Sieg geht es, sondern um das möglichst starke Vermeiden von allem, was zu einem der letzten Plätze führen könnte.
Der ORF, der im vorigen Jahr Conchita Wurst zum Ärger sehr vieler österreichischer Musiker und Musikerinnen ohne Vorentscheid zur Kandidatenfigur des ESC nominierte, wird eine dicke Welle machen. Erst am 13. März, einem Freitag, wird feststehen, wer es nun probiert, in die schlanken Fußstapfen der Wurst zu treten: Top oder Flopp?
Deutschland beauftragte Lena
In Deutschland war es anders: Nach dem Sieg von Lena Meyer-Landrut 2010 in Oslo war es ungewiss, wer ihr nachfolgen würde. Schließlich kam es zu einem Verfahren mit delikater Note. Lena sollte auch in Düsseldorf antreten - denn alle, die nach ihr für Deutschland performen würden, könnten ja nicht gut im Vergleich mit der "Satellite"-Sängerin abschneiden. So solle doch Lena selbst wieder ins Rennen gehen.
Es war ja vollständig unwahrscheinlich, dass sie abermals gewinnen würde, nach ihr könnte es wieder ein Newcomer probieren. Mit "Taken By A Stranger" ging dieses Kalkül auf. Lena kam in die ersten Hälfte der ESC-Finaltabelle nach allen Punktewertungen - und 2012 konnte es dann Roman Lob probieren, der in Baku immerhin in die Top 10 kam.
Scouting im ganzen Land
Der ORF hat nun bekanntgegeben, wer zu den Kandidaten für die Vorauswahl gehören wird. Am 20. Februar beginnt das Verfahren im österreichischen Fernsehen: Aus den 16 Hoffnungsträgern werden zehn ausgesiebt und müssen sich mit der Ehre verabschieden, es wenigstens probiert zu haben. Die sechs verbliebenen Kandidaten sind solche, die eine Jury ausgesucht hat - nicht, so verstehe ich die Pressemeldung, das Publikum via Televoting
Anna F., Nazar und The BossHoss werden die Coaches, also die Übungsleiter sein. Sie trainieren mit den Acts, auf dass sie für die Shows auch wirklich präpariert sind. Sollen ja nicht peinlich wirken! "Eurovision Song Contest - Wer singt für Österreich?" wird live übertragen - und wer in Wien im Mai echt dabei sein wird, ist der Entscheidung aus 50 Prozent Publikum und 50 Prozent Jury übertragen.
Guckt man sich an, wie schwer es sich der ORF in den vergangenen vielen Jahren mit ESC-Vorentscheidungen machte, ist die Bekanntgabe des nächstjährigen Formats der Beweis, dass man sich beim öffentlich-rechtlichen Sender in Wien ernsthaft ins Zeug legt. Es steckt viel Mühe hinter dieser nationalen Anstrengung, wie es Stefan Raab formuliert hätte.
Die Kandidaten
Die Kandidatenschar - wörtlich, die "Range reicht von Pop über Alternative, Elektro bis hin zu Chansons" - lautet: The Makemakes, Tandem, Wo/Men, Royal Kombo, Clara Blume, The Su'sis, Kathi Kallauch, Johann Sebastian Bass, Celine Ann, Renato Unterberg, Lemo, Kommando Elefant, Dawa, Mizgebonez, Folkshilfe, Zoe.
Niemand kann als favorisiert gelten, die meisten tummeln in den Sphären des - hoffentlich ehrgeizigen - Nachwuches. Irgendein Act wird es schaffen. Gut möglich, dass es jener ist, der am wenigstens Angst davor hat, ebenso viel Courage aufzufahren und Selbstvertrauen zu verströmen wie Conchita Wurst.
Ich finde das Verfahren des ORF überzeugend. Möge das Allerbeste gewinnen.