Stand: 28.02.2015 11:30 Uhr

Wunder gab es doch

Katja Ebstein beim Vorentscheid zum Grand Prix d'Eurovision 1970
Mit "Wunder gibt es immer wieder" hat Katja Ebstein 1970 den deutschen Vorentscheid gewonnen und schaffte es im ESC-Finale in Amsterdam mit dem Song auf den dritten Platz.

Nur im historischen Rückblick erscheint es, als sei das Jahr 1970 für die deutschen ESC-Geschichten ein Wendepunkt gewesen - hin zu mehr Erfolg, zu mehr Musik, die zeitgenössisch ist. Und zu Interpretationsweisen, die nicht immer stocksteif und bieder aussahen. Katja Ebstein jedenfalls gewann die Vorentscheidung des ersten Jahres des Jahrzehnts haushoch. Sie, die sich als politische, kritische Sängerin verstand und sich durchaus zur 68er-Bewegung zählte, sang "Wunder gibt es immer wieder" von Christian Bruhn - mit dem sie nebenbei bemerkt auch kurz liiert war - und belegte in Amsterdam einen noblen dritten Rang mit diesem souligen, angejazzten Lied: So gut hatte die Bundesrepublik noch nie abgeschnitten.

Erster Ökoschlager der ESC-Geschichte

Sie lieferte im Jahr darauf das Modell, das einige Jahrzehnte später Lena zugute kommen sollte: Katja Ebstein durfte eine Solovorentscheidung geben. Eine Show nur für sie. Von den sechs Liedern wurde schließlich "Diese Welt" ausgewählt, auch wenn der Chanteuse "Alle Menschen auf der Erde" lieber gewesen wäre: "Ich dachte, das würde international besser kommen." Weit gefehlt: "Diese Welt" war der erste politische Ökoschlager der ESC-Geschichte - eine Offenbarung an lyrischer Dichte und kompositorischem Feinsinn, belohnt mit einem dritten Rang wiederum in Dublin. Die Ebstein war in Dublin eine ästhetische Offenbarung. Silberflirrender Hosenanzug im Las-Vegas-Style. So glamourös konnte Politisches sein.

Hippie-Sound? Nein, Danke!

Mary Roos beim Grand Prix d'Eurovision 1972 © ESC / NDR
Mary Roos gewann den Vorentscheid 1972 mit "Nur die Liebe lässt uns leben", im Finale in Edinburgh landete sie damit auf Platz 3.

Mary Roos im Jahre 1972 gewann letztlich die Vorentscheidung in Berlin mit "Nur die Liebe lässt uns leben" nur, weil sich Juroren (Experten und Laien) nicht trauten, die wirklich anbetungswürdig hysterische Nummer von Cindy & Bert zu wählen: "Geh' die Straße" wirkte in deutschen Ohren vermutlich zu amerikanisch, zu hippiemäßig und grell. Anekdote am Rande: Beider Produzent hatte das moderne Lied zur Vorentscheidung befördert, weil er dem saarländischen Duo das Versprechen abnahm, "Immer wieder sonntags" singen zu müssen, falls sie beim ESC-Vorentscheid nicht gewinnen. Cindy soll nämlich gesagt haben: "So einen sinnlosen Mist singe ich nicht, wir sind ein anspruchsvolles Duo." Inga & Wolf hingegen sangen den kommerziell erfolgreichsten Beitrag des Jahres. Ihr "Gute Nacht, Freunde" stammt aus der Feder des berühmten Liedermachers Reinhard Mey - ein Klassiker in jeder Hinsicht.

Zaghafte Versuche, moderner zu werden

Cindy und Bert beim Vorentscheid zum Grand Prix d'Eurovision 1972
1972 mussten sich Cindy & Bert im Vorentscheid Mary Roos geschlagen geben. 1974 wurden sie dann ohne Vorentscheid direkt nach Brighton geschickt. Doch wer hatte schon gegen Abba eine Chance?

Diese vom Sender Freies Berlin (heute: RBB) in einem metallstangendekorierten Studio in Westberlin ausgetragene Vorentscheidung war die bis dahin modernste. Mary Roos und ihr famoses "Nur die Liebe lässt uns leben" belegte in Edinburgh einen dritten Rang. Deutschland war höchst zufrieden, auch wenn gemosert wurde, warum Vicky Leandros für Luxemburg an den Start ging, wo sie doch in Hamburg zuhause ist. Den Vorentscheid 1973 übernahm wieder der Hessische Rundfunk - und weil der 60er-Jahre-Star Gitte (Haenning) gerade einen Plattenvertrag brauchte, entschloss sie sich, beim ESC-Vorentscheid sich zu bewerben. Ihr wäre am Ende "Hallo, wie geht es Robert?" lieber gewesen, aber mit "Junger Tag" gewann sie und war auch in Luxemburg keine der Erfolglosen. Cindy & Bert wurden 1974 ohne Vorentscheidung nach Brighton geschickt - nicht ahnend, dass ihre "Sommermelodie" zwar hübsch und traurig klingt, aber gegen einen Pop-Hurricance namens Abba, gegen Namen wie Olivia Newton-John und Mouth & McNeal nicht den Hauch einer Chance haben würde. Letzter Platz, traurig, aber wahr! Cindy & Bert sollten weiter dem ESC verbunden bleiben, aber 1978 blieben sie in der Vorauswahl hängen, 1988 und 1991 ereilte dieses Schicksal Cindy als Solistin.

Joy Fleming: Mannheimer Ikone

Joy Fleming beim deutschen Vorentscheid 1975 © dpa Foto: Heinz Wieseler
1975 setzte sich Joy Fleming beim Vorentscheid in Frankfurt gegen Größen wie Peggy March, Marianne Rosenberg oder Katja Ebstein durch.

1975 in Frankfurt schließlich die Legende: Joy Fleming und ihr "Ein Lied kann eine Brücke sein" - unter ESC-Fans eines der beliebtesten Lieder des Eurovisionsfestivals überhaupt. Es setzte sich in der Vorentscheidung des Hessischen Rundfunks gegen große Namen wie Peggy March, Marianne Rosenberg, Katja Ebstein, Mary Roos und viele andere durch. Ihr wie ein entfesselter Wahn klingendes Lied war in Stockholm chancenlos, weil zu erfrischend und aufwühlend. Aber die Mannheimerin machte sich mit diesem Lied bei dieser Vorentscheidung zur Ikone eines in den Medien mies rezensierten Festivals.

Im Übrigen hatte der Münchner Ralph Siegel seine ersten Erfahrungen beim ESC und seinen Vorentscheiden gemacht. 1972 flog sein Beitrag schon in der Vorrunde raus, 1974 war er mit Ireen Sheer für Luxemburg am Start, 1975 war es Peggy March, die mit dem Lied "Alles geht vorüber" (wie man leicht hört: typischer Siegel-Musical-Style) den zweiten Rang belegte. Gerüchten zufolge soll die Fleming durch die Laienjuroren gewonnen haben; die Profis hatten die March vorne gesehen.

Les Humphries Singers © dpa - Bildarchiv Foto: Bertram
The Les Humphries Singers nahmen 1976 anstelle des disqualifizierten Tony Marshall am Finale in Den Haag teil.

1976 gewann in einer im Studio aufgezeichneten Show Tony Marshall, damals ein Gott der Unterhaltungsindustrie ("Schöne Maid", "Heute hau'n wir auf die Pauke"), den Vorentscheid. Sein Lied "Der Star" wurde jedoch disqualifiziert, weil es schon Jahre zuvor durch eine andere Interpretin gesungen worden sein soll. Stattdessen flogen die Les Humphries Singers, im Popbereich, der nicht auf Schlager orientiert ist, die erfolgreichsten jener Jahre, zum Finale nach Den Haag. Mit der Komposition von Ralph Siegel "Sing Sang Song" gelang ihnen nur der 15. Platz: Ihr Multikulti-Happy-Gospel funktionierte international nicht.

Ein "Telegram" und kaum Empfänger

1977 gab es wiederum keine Vorentscheidung: Irgendwie schien sich der Hessische Rundfunk zu schämen, diese Show vorzubereiten. Zu teuer schien es, zu wenig ruf-förderlich - da fragte man die damals höchst populären Discofrauen von Silver Convention, es im Finale in London zu probieren. Ihr "Telegram" landete auf dem achten Rang - ein kleiner Hit wurde es immerhin.

Ireen Sheer vertritt Deutschland 1978 beim Grand Prix und belegt den 6. Platz. Sie belegte 1974 für Luxemburg den 4. Platz, sowie 1985 den 13. Platz © dpa - Bildarchiv Foto: UPI
Ireen Sheer wurde 1978 ohne Vorentscheid zum Grand Prix nach Paris geschickt und wurde Sechste.

1978 verzichtete man auch auf eine Vorentscheidung: Eine Auswahl von Titeln, die im Radio gespielt wurden, sollte genügen. Verantwortet vom Südwestfunk in Baden-Baden, entschied ein Expertengremium nach dem Anhören der Lieder, die ARD solle keinen Titel nach Paris entsenden: Allesamt seien zu schlecht, als dass sie nicht Deutschlands Ruf beschädigten. Am Ende war es Ireen Sheer, die den dramatisch anmutenden Titel "Feuer" im Pariser Finale gab und Sechste wurde.

Alles in allem waren der ESC und seine Vorentscheidungen in der Bundesrepublik ein wachsender Erfolg. Gute Platzierungen, aber auch einige miese Ränge. Auffällig war nur, dass die Präsenz von Ralph Siegel - und zugleich die federführenden Sender (bis auf den SFB 1972 und der HR 1975) auf die Förderung von Musiken, die Jugendliche gerne hören, weitgehend verzichteten. Namen wie Udo Lindenberg, Inga Rumpf oder Peter Maffay suchte man im Reigen der Kandidaten vergebens. Eine immerhin probierte es: Ina Deter und ihr bezauberndes Liebeslied namens "Wenn du so bist wie dein Lachen" landete beim Vorentscheid 1976 ganz weit hinten.

Das Publikum hatte wenig Sinn für Neues

Das Publikum war bei einigen Vorentscheiden mit integriert. Als "Laien"“ tituliert, sollten sie dafür sorgen, dass die mauschelnde Expertenauswahl ein wenig durch zeitgenössische Geschmäcker aufgemischt wird. Es blieb freilich eine Schlagergeschichte - und damit waren gute Ränge international von Zufällen oder von solistischen Leistungen wie die von Katja Ebstein oder Mary Roos abhängig. Einige Lieder schafften es nicht zu gewinnen und wurden doch starke Hits. Am prominentesten: Marianne Rosenbergs Titel "Er gehört zu mir" - ein rätselhaft zehnter Rang 1975 für diesen phillysoundorientierten Titel in der Vorentscheidung, aber der Kassenerfolg des Jahres überhaupt.

Der Sound von Europa hatte in Deutschland nur spurenweise eine Geburtsstätte. Das sollte sich mit dem nächsten Jahrzehnt nicht ändern - aber Deutschland sollte zum ESC-Siegesland aufsteigen.

Meine Top 10 deutscher Vorentscheidungen und deutscher ESC-Titel der Jahre 1970 bis 1978:

  1. Cindy & Bert: "Geh' die Straße" (1972, 2. Platz)
  2. Lena Valaitis: "Du machst Karriere" (1976, 6. Platz)
  3. Inga & Wolf: "Gute Nacht, Freunde" (1972, 4. Platz)
  4. Ina Deter: "Wenn du so bist wie dein Lachen" (1976, 9. Platz)
  5. Katja Ebstein: "Alle Menschen auf der Erde" (1971, interne Nominierung, 2. Platz)
  6. Joy Fleming: "Ein Lied kann eine Brücke sein" (1975, 1. Platz)
  7. Katja Ebstein: "Wunder gibt es immer wieder" (1970, 1. Platz)
  8. Cindy & Bert: "Die Sommermelodie" (1974, interne Nominierung)
  9. Love Generation: "Hör wieder Radio" (1975, 9. Platz)
  10. Mary Roos: "Nur die Liebe lässt uns leben" (1972, 1. Platz).

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 17.02.1957 | 20:15 Uhr

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Deutschland

Freddy Quinn, 1. Teilnehmer für Deutschland beim ersten Grand Prix d'Eurovision. (Agenturbild von 1952) © picture-alliance / KPA Archival Collection

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