Stand: 14.01.2016 12:08 Uhr

Polen beim ESC? Keine Frage

Monika Kuszyńska auf der ESC-Bühne in Wien. © NDR Foto: Rolf Klatt
Gehören Auftritte polnischer Teilnehmer - wie der von Monika Kuszyńska im Jahr 2015 - künftig der Vergangenheit an?

Diese Meldung wurde sogar bis über den Atlantik getragen - und dort von der erstklassigen "Washington Post" jüngst übermittelt. In der Überschrift heißt es: "Poland’s controversial new media law could get it booted off Eurovision". Also: Polens neues Mediengesetz könnte das Land die Mitgliedschaft in der EBU kosten. Die EBU - das ist die Europäische Rundfunk- und Fernsehunion, die alljährlich seit 1956 den ESC veranstaltet. Und zur Erläuterung noch dies: Polens öffentlich-rechtlicher Sender steht seit der Gesetzesänderung durch die neue katholisch-rechtsgerichtete Regierung der PiS-Partei vollständig unter Staatslenkung. Also unter Aufsicht einer Partei, die knapp 40 Prozent der Stimmen bei der Parlamentswahl erhielt, bei einer Wahlbeteiligung von rund 50 Prozent.

Obendrein - das hat entsprechende Gerüchte in manchen ESC-Medien beflügelt - hat die Intendanz des ausrichtenden Senders TVP ein Mann übernommen, der nach dem Sieg Conchita Wursts 2014 in Kopenhagen bemerkte, dieser Sieg sei eine "kulturelle Aggression des Westens". Damit meinte Jacek Kurski, ein Scharfmacher des rechtskonservativen Spektrums in Polen, den Umstand, dass mit dem Österreicher Tom Neuwirth ein schwuler Mann gewann, der mit Conchita Wurst eine inzwischen legendäre Dragqueen-Kunstfigur auf die Bühne brachte. Alternative Lebensformen aber, so lernen wir in vielen Ländern des früheren sozialistischen Bereichs, sind mit den christlichen und familiären Werten dort nicht vereinbar.

EBU bislang politisch weitestgehend blind

TVP-Intendant Jacek Kurski © Picture-Alliance / PAP
Der neue TVP-Intendant Jacek Kurski gilt als Marionette von Polens Regierungspartei PiS.

Aber mir scheint, die kursierenden Gerüchte zum möglichen Ausscheiden des polnischen TV-Senders aus der EBU waren schon immer auf nassem Heufundament gebaut: Noch nie hat die EBU irgendein Land von selbst ausgeschlossen - auch Jugoslawien 1992 nicht, als Kroatien, Slowenien und Bosnien und Herzegowina sich längst für unabhängig erklärt hatten. Als der ESC 1992 in Malmö stattfand, war noch kein internationaler Bann gegen das nur noch als Rumpf existierende Jugoslawien von der europäischen Politik erlassen worden. Kurz danach schon - und insofern nahm Jugoslawien, das waren 1993 nur noch die Teilrepubliken Serbien und Montenegro, nie mehr am ESC teil.

Bei anderen Fällen hat sich die EBU auch anti-politisch verhalten. Beispielsweise 2009 in Moskau, als Teilnehmern am ESC verboten wurde, sich während der Show auf der Bühne mit Symbolen gegen die homophobe Politik Russlands zu wenden. Oder in den Siebzigerjahren, als den Griechen nicht recht war, dass die Türkei teilnehmen wird - und die EBU argumentierte, lieber griechische Sender, du hast die Freiheit, nicht teilzunehmen, aber du darfst nicht die Nichtteilnahme anderer zur Voraussetzung deines Engagements machen. Die EBU - das ist vielleicht das Geheimnis ihres Erfolgs über alle politischen Querelen hinweg - hat immer so getan, als sei der ESC nur ein Unterhaltungsformat.

Die EBU hätte überrascht, wenn sie vor der Politik politische Entscheidungen getroffen hätte. Auf Spiegel Online steht insofern auch "falsch" notiert: Die EBU "veranstaltet den in Polen extrem beliebten Eurovision Song Contest - und droht Warschau inzwischen unverhohlen mit dem Rauswurf". Erstens ist der ESC in Polen nicht sehr populär und zweitens, selbst wenn, wäre das für TVP kein Anlass gewesen, sich einschüchtern zu lassen: Der Fußball-EM im eigenen Land wegen ließ der Sender den ESC 2012 auch ausfallen. Man habe kein Geld, hieß es.

Dementi von der EBU aus Genf

Sietse Bakker, Supervisior der EBU für den Eurovision Song Contest © Sander Hesterman (EBU) Foto: Sander Hesterman (EBU)
Sietse Bakker, ESC Supervisior der EBU, gab Entwarnung für einen möglichen ESC-Ausschluss Polens.

Ingrid Deltenre, Generaldirektorin der EBU, schrieb lediglich schon im Dezember - als aus den Gerüchten, Polens neue Regierung würde die öffentlich-rechtlichen Sender ihrer politischen Unabhängigkeit berauben, eine Tatsache wurde - einen Brief an den polnischen Präsidenten. Darin bat sie, das neue Mediengesetz nicht zu unterschreiben. Was er dann aber doch tat. Zum ESC stand dort nichts geschrieben.

Sietse Bakker, Sprecher des ESC, schrieb eurovision.de auf unsere Frage, ob an den Spekulationen irgendetwas dran sei, er habe dem offiziellen Tweet der EBU nichts mehr hinzufügen.

In dem Tweet heißt es: "Im Gegensatz zu kürzlich veröffentlichten Berichten beabsichtigt die EBU nicht, den polnischen Sender TVP vom ESC auszuschließen." Nichtsdestotrotz schließt der Tweet mit dem Satz: "Wir sind über das neue polnische Mediengesetz besorgt."

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Screenshot des Flypsite-ESC-Liveblogs auf einem Tablet. (Bildmontage) © NDR, fotolia.com Foto: blackday

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 14.05.2016 | 21:00 Uhr

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