Eurovision in Concert: Der Phönix fliegt los

Die Österreicherin Conchita Wurst im Gespräch mit den Moderatoren des Abends, Sandra Reemer und Cornald Maas.
Conchita, Conchita! Wenn es nach dem internationalen Publikum im Kultclub Melkweg in Amsterdam ginge, wäre kristallklar, wer in Kopenhagen die ESC-Krone mit nach Hause nimmt. Eine Woge der Begeisterung schlägt der Künstlerin entgegen, als sie im kleinen Schwarzen, fast bewegungslos, zeigt: Bei mir sitzt nicht nur der Bart perfekt. Bei mir sitzt jeder Ton und ich weiß, wie großes Kino geht! Es ist die genutzte Chance der Österreicherin, bei Eurovision in Concert Zweifel auszuräumen, dass "Rise Like A Phoenix" eine großartige und James-Bond-hafte Ballade ist, bei der sie mühelos jeden Ton erreicht - und jeden im Publikum.
-
Eine stimmgewaltige Sirene punktet: Die Spanierin Ruth Lorenzo hat tagsüber gut gelaunt Interviews erteilt. Im Club Melkweg erscheint sie erlöst und schmettert passgenau ihren Beitrag "Dancing In The Rain". Nach diesem Auftritt kann sie entspannt Richtung Kopenhagen blicken.
-
Dass Conchita Wurst und Ruth sich im Finale wiedertreffen - daran dürfte nach dem Gänsehaut-Auftritt der Österreicherin in Amsterdam kein Zweifel mehr bestehen. Sie liefert großes Kino mit ihrer Ballade "Rise Like A Phoenix" und nimmt gerührt die Ovationen des Publikums entgegen.
-
Emmelie de Forest ist auch auf Stippvisite beim Mega-Event. "Ich fühle mich hier fast wie in Malmö", sagt die Siegerin von 2013 im Gespräch mit eurovision.de. Sie plaudert mit allen neuen Teilnehmern und singt am Abend ihre ESC-Hymne "Rainmaker".
-
Den professionellsten Auftritt aller Acts liefert die Ukrainerin Maria Yaremchuk, die mit Tänzern angereist ist. Für ihren Beitrag "Tick-Tock" erhält sie einen extra aufmunternden Applaus, wohl wegen der schwierigen Situation in ihrer Heimat.
-
Noch mehr Divenpower an der Milchstraße kommt von Cristina Scarlat aus Moldau. Ihr Opernsong "Wild Soul" ist wie der Titel sagt - ganz schön wild. Die Töne sitzen aber. Irgendwie erinnert ihr Auftritt an den Rumänen von 2013, den Countertenor mit Vampiroutfit Cezar.
-
Diese zierliche Britin sollte jeder auf der Rechnung haben. Zumindest in Amsterdam wird Molly Smitten-Downes schon vor ihrem Auftritt mit "Children Of The Universe" gefeiert. Und als einer der bewegteren Songs an diesem Abend macht Molly auch super Stimmung im ausverkauften Saal.
-
Größten Beifall kriegen natürlich auch die zwei Sänger von The Common Linnets als gastgebende Teilnehmer des Abends. Ilse DeLange ist in den Niederlanden eh ein Superstar und ihre Stimme harmoniert wunderbar mit der von Waylon. Sie singen "Calm After The Storm" druckvoller, als in der Studiofassung.
-
Bei ihrem Song hört das Publikum genau zu. Man muss sich auch konzentrieren, um dem kompliziert zu singenden Beitrag der Albanerin Hersi Matmuja "One Night's Anger" folgen zu können. Ob der Song bei den Televotern hängenbleibt? Er hat zumindest Melodic-Rock-Elemente, die Lordifans mögen dürften.
-
Gar kein Zweifel bei diesem sympathischen Auftritt: Das ist ein Ohrwurm. Zwar ist der dänische Sänger Basim erst 21, aber die Bühne gehört ihm. Er flitzt mit seinem "Cliché Love Song" ohne aufwendige Show von rechts nach links. Dabei versprüht der Vertreter des Gastgeberlandes Dänemark ansteckende Energie.
-
Zwar verliert der Beitrag Sebalters "Hunter Of Stars" zwischendurch an Drive. Der Schweizer punktet jedoch mit einem fröhlichen Pfeif-Intro und den erfrischenden Klängen eines Banjos. Und Geigenspielen bringt auch optisch Dynamik in den Auftritt.
-
Bei den Griechen von Freaky Fortune feat. Freaky Kidd hopsen die Fans aus ganz Europa zum Takt des Songs "Rise Up". Der Beifall danach ist so groß, dass manch einem fast die Ohren abfallen.
-
Mit ihren gesanglichen Qualitäten steht es nicht zum Besten, das machen die Franzosen Twin Twin mit umso mehr Stimmung wett. Innerhalb weniger Sekunden übt ihr "Moustache" einen Zwang zum Hüpfen aus. Ein Lied zum fröhlichen Schnurrbartzwirbeln.
-
Bei ihm hingegen kann man fast eine Stecknadel fallen hören. Carl Espen, der in Sachen Showbusiness völlig unbeleckt ist, stellt sich ruhig auf die Bühne und steigert sich in seine Ballade "Silent Storm" hinein. Am Vormittag hat er sich bei den Interviews am Rande gehalten, er sei eben introvertiert, erzählt er im Gespräch mit eurovision.de.
-
Ausgerechnet an seinem 30. Geburtstag stellt sich Aram dem internationalen Publikum vor. Dazu gibt es ein Ständchen vom Publikum. Zunächst bringt er jedoch seinen in den Wetten hochgehandelten Beitrag "Not Alone" stimmsicher vor, obwohl ein paar Zuschauer im Publikum gebuht haben.
-
Das Buhen beruht auf angeblichen Äußerungen, die Aram über Conchita Wurst gesagt haben soll. Der Comedian beteuert aber, er respektiere alle Menschen und sei falsch übersetzt worden. Am Nachmittag konnte er im persönlichen Gespräch alle Missverständnisse mit Conchita persönlich ausräumen.
-
Überraschend eingängig präsentiert der Weißrusse Teo seinen Song "Cheesecake", das Publikum wippt mit.
-
Noch mehr Schwung bringt die Portugiesin Suzy. Entweder sind es die neuen Arragementens des Lambada-Liedes "Quero Ser Tua" oder ihre schwungvollen Tanzbewegungen, die viel Blickfläche auf nackte Haut erlauben. Jedenfalls überzeugt Suzy mit ihrem Auftritt des nicht besonders modernen Songs.
-
Tijana Dapčević dürfte, wie die Stewardess Suzy, etwas größer als 1,80 Meter sein. Mit ihrer Intellektuellen-Brille und der blonden Tolle wirkt sie ein wenig wie Brigitte Nielsen und ist bei ihrem mazedonischen Up-Tempo-Song "Tamu kaj shto pripagjam" ähnlich extrovertiert, wie die dänische Schauspielerin in ihren Actionfilmen.
-
Der Auftritt der ESC-erfahrenen Rumänen (sie waren bereits 2010 in Oslo dabei) ist zwar gut abgestimmt, aber der Song "Miracle" ist schwer zu greifen. Die Dub-Elemente im Song verführen die Fans dennoch zum Tanzen.
-
Das absolute Kontrastprogramm kommt aus Belgien. Stimmgewaltig und unter viel Beifall bringt Axel Hirsoux seine Ode an die Mutter ("Mother") zum Besten.
-
Ohne Zweifel der größte Sänger des Abends - er überragt selbst Suzy und Tijana - ist der Montegriner Sergej Ćetković. Ruhig und gesammelt singt er in der Landessprache seine Abschiedsballade "Moj svijet".
-
Auf den Auftritt Valentina Monettas, der dritten Zusammenarbeit mit Ralph Siegel für San Marino, sind viele gespannt. Und auch mit "Maybe" beweist die Sängerin erneut, dass sie eine große Jazzstimme hat. Der Song entfaltet aber nicht soviel Drama wie der Vorjahresbeitrag "Crisalide".
-
Unter Jazz kann man diesen Beitrag von The Shin & Mariko - dem größten Musikexport Georgiens - verorten. Wenn auch nicht alle 180 Sekunden dieses komplizierten und interessanten Songs "Three Minutes To Earth". Es gibt auch Flamenco- und Dub-Elemente. Ein schwer greifbarer Song, nicht jedermanns Sache.
-
Aserbaidschan schneidet bekanntlich seit seiner ersten Teilnahme recht erfolgreich beim ESC ab. Dilara Kazimova lässt diese Statistik aber wackeln, wenn sie in Kopenhagen dieselbe Performance bietet, wie im Melkweg. Die Ballade "Start A Fire" zündet beim Publikm jedenfalls keinen Funken.
-
Sie organisieren seit sechs Jahren ehrenamtlich das Event "Eurovision in Concert", arbeiten hinter den Kulissen, sind daher nur selten zu sehen. Kurz stehen René Romkes (links) und sein Team dann doch ganz hinten auf der Bühne und kriegen den wohlverdienten Publikumspreis "Eurovision Artists Award" für ihr ESC-Engagement.
Boygroups bringen Bewegung in den Saal
Viele der anderen 24 Teilnehmer dieses Abends zeigen jedoch, dass sie ebenbürtige Kandidaten sind. Dass es beim Song Contest ums Singen, nicht vorrangig ums Siegen geht. Mit Inbrunst hüpfen Fans aus ganz Europa im ausverkauften Saal zu den eingängigen Rhythmen der Boygroups Twin Twins aus Frankreich und Freaky Fortune feat. Risky Kidd aus Griechenland. "Rise Up" dürfte diesen Sommer auf vielen Partys ein Hit werden. Die Spanierin Ruth Lorenzo schmeißt ihre wallenden Locken nach hinten und schmettert - ohne den Bogen zu überspannen - ihre selbst geschriebene Ballade "Dancing In The Rain" in den Raum. Die Fans formen dazu Herzen mit ihren Händen.
Geburtstagslied für Aram aus Armenien
Einer der Favoriten schlechthin erlebt hingegen in Amsterdam Höhen und Tiefen. Der Sänger und Schauspieler Aram Mp3 führt bekanntlich in den Wetten an. Doch die Kontroverse, derzufolge der Armenier bei einer Pressekonferenz abfällig über Conchita geredet haben soll, geht nicht spurlos am Publikum vorbei. Das sei alles ein Missverständnis, sagt der Sänger nach seinem Auftritt, der unter Buh-Rufen beginnt. "Ich bin nicht homophob, Conchita und ich haben alles geklärt", erläutert der Sänger. Ein Ständchen zu seinem Geburtstag kriegt er dann doch, denn er wird an diesem Tag 30 Jahre alt. Seine Performance des Favoritensongs "Not Alone" bringt er zwar stimmsicher, da der Song aber keinen Refrain hat, wird sich erst in Kopenhagen zeigen, wie Aram den Auftritt spannend gestalten will. Im persönlichen Gespräch mit eurovision.de wollte er hierzu noch nichts verraten.
Der Spaß soll nicht zu kurz kommen
"Vergesst nicht den Spaß an der Sache", hatte Sietse Bakker, Event Supervisor der European Broadcasting Union, den Kandidaten des Jahrgangs am Nachmittag mit auf den Weg gegeben. Stunden vor dem Konzert waren die Künstler das erste Mal zu einer Art Mini-Pressekonferenz in Anwesenheit von Emmelie de Forest und DR-Unterhaltungschef Jan Lagermand Lundme zusammengekommen. Bakker sagte, es sei eine Gefahr, vor lauter Aufregung, Proben und Terminen diese große Gelegenheit des ESC ohne genügend Spaß und Freude zu feiern.
Jöran aus Lettland - geborener Entertainer

Spricht mindestens fünf Sprachen und steckt alle mit seiner positiven Energie an: der deutsche Sänger Jöran Steinhauer (li.) der Band Aarzemnieki.
Drei Künstler aus Krisenregionen zeigen eindrucksvoll genau dies. Maria Yaremchuk aus der Ukraine bringt eine spritzige Bühnenperformance zu ihrem launigen Up-Tempo-Song "Tick-Tock", die Portugiesin Suzy singt hüftbetont ihre Lambada-Variante und lässt dabei Ausschnitt-technisch tief blicken. Einer aber läuft am Nachmittag wie ein Wiesel zwischen Soundcheck und Interviews hin und her, singt und spricht mal eben auf Spanisch mit Ruth Lorenzo am Klavier, unterhält den Melkweg mit holländischen Liedern und versprüht auch auf Lettisch, Deutsch und Englisch eine so ansteckende Energie, wie man sie vom Norweger Alexander Ryback kennt: Jöran Steinhauer von Aarzemnieki aus Lettland. Der gebürtige Deutsche verkörpert den Geist, den auch die ehrenamtlichen Macher vom Team von Eurovision in Concert leben: Mit Begeisterung bei der Sache sein, aus knappen Ressourcen das Beste machen, damit alle bei diesem Familientreffen auch ohne aufwendige Bühnenshow gute Musik liefern und genießen können. Bislang war noch nie ein späterer Sieger in Amsterdam. Das könnte sich dieses Jahr geändert haben.
