Polnischer Stimmenfang
Die Tradition nationaler Lobgesänge zieht sich durch die ESC-Geschichte wie ein roter Faden. Schon der allererste Beitrag 1956 pries das Gezwitscher der "Vogels van Holland" als besonders melodiös. Auch in jüngerer Zeit bewies beispielsweise Milan Stanković mit "Ovo je Balkan", dass man beim Song Contest mit einem Hohelied auf das eigene Volk durchaus nicht chancenlos ist. Dass nun aber Polen seinen Wiedereinstieg nach zweijähriger Song-Contest-Abstinenz mit einer Hymne auf die Slawen feiert, hat ein ganzes Stück mit Berechnung zu tun: Denn um den ESC bei unseren Nachbarn jenseits der Oder wieder zum quotenträchtigen Event zu machen, muss das polnische Fernsehen schon schwere Geschütze auffahren. Und was könnte da erfolgversprechender sein als ein YouTube-Hit, der seit seiner Veröffentlichung im November schon fast 40 Millionen Klicks auf sich vereinen konnte? Schon alleine diese Fangemeinde dürfte sich für das Abschneiden von "My Słowianie - We Are Slavic" (Wir Slawen) von Donatan & Cleo in Kopenhagen interessieren.
Auf Stimmenfang im Osten
Allerdings lebt der moderne Rap-Song sehr stark von dem ironischen Videoclip, der die sexistische Ästhetik US-amerikanischer Gangsta-Videos auf polnische Volkskultur prallen lässt. Will heißen: Viel Busen, viele Zweideutigkeiten, viel Augenzwinkern. Vertreter des britischen Senders BBC geißeln das Video bereits als pornografisch. Erfolgsproduzent Witold Czamara alias Donatan und Sängerin Cleo werden beim ESC wohl nur wenig Erotik in ihre Bühnenperformance hinüberretten können. Doch die Chancen für ihre Qualifikation stehen nicht schlecht, denn ein Song, der die Vorzüge slawischer Frauen zum Thema hat, dürfte bei mindestens einem Drittel der Teilnehmerländer des zweiten Semifinals konsensfähig sein. Die übrigen dürften sich zumindest an den folkloristischen Tanzeinlagen erfreuen.