Stand: 03.09.2019 14:11 Uhr

Streng, locker oder keine - die Sprachregelung beim ESC

Unsere Userin Doreen fragte kürzlich nach einer Liste oder einem Verzeichnis mit ESC-Songs, die in einer anderen Sprache als der Amtssprache des Landes gesungen wurden. Was so einfach klingt, hat es ziemlich in sich, denn nach der Einführung der freien Sprachenwahl wird die Mehrheit der Beiträge in einer anderen Sprache als der Amtssprache des jeweiligen Landes gesungen, nämlich auf Englisch. Doch auch wenn man das Englische nicht berücksichtigt, gab es im Laufe der ESC-Geschichte es eine ganze Menge Beiträge, in denen man sich anderer als der offiziellen Landessprache bediente. Und Deutschland machte den Anfang.

Spanische Worte bei Margot Hielscher

Margot Hielscher, deutsche Kandidatin beim Grand Prix 1957 in Frankfurt © Hessischer Rundfunk
Margot Hielscher war beim ESC 1957 die erste, die in ihr "Telefon, Telefon" auch nicht landessprachliche Wörter gesungen hat.

Schon 1957 in Frankfurt hatte Margot Hielscher den deutschen Beitrag "Telefon, Telefon" mit einigen spanischen Wörtern vorgetragen. Beim Eurovision Song Contest 1961 wurde Deutschland von Lale Andersen vertreten. Die Sängerin hatte 1941 mit "Lilli Marleen" einen Welthit, der die Soldaten über die Schützengräben hinweg begeisterte. Auch in ihrem ESC-Titel "Einmal sehen wir uns wieder" schwangen die Trennungs- und Verlusterfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg mit. Auf der Bühne im französischen Cannes stimmte die Sängerin dann den zweiten Refrain ihres Liedes plötzlich auf Französisch an. Einen entscheidenden Unterschied gab es allerdings zwischen den beiden Damen: Während sich Andersen mit ihrem französischen Songteil während der Show vor den Gastgebern verneigen wollte, waren bei Hielscher die spanischen Worte bereits auf der Schallplattenversion zu hören.

In einer fremden Sprache singen? Unvorstellbar!

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Zoë aus Österreich schaut begeistert beim Singen im schulterfreien apricotfarbenen Kleid © NDR Foto: Rolf Klatt

ESC-Songs nicht in Landessprache

Rund 100 Songs stechen beim ESC hervor, die zum Teil nicht in Landessprache oder unerlaubterweise auf Englisch gesungen wurden. Alle Titel auf einen Blick. mehr

Die Israelin Carmela Corren legte 1963 nach und versah den österreichischen Beitrag "Vielleicht geschieht ein Wunder" beim Eurovision Song Contest in London mit einem englischen Refrain. Den Vogel schoss dann 1965 der schwedische Opernsänger Ingvar Wixell ab, der seinen Titel "Annorstädes vals" beim ESC in Neapel komplett in der englischen Version "Absent Friend" vortrug. Interessanterweise gab es bis zu diesem Zeitpunkt im Reglement überhaupt keine Vorschrift zur Sprache der Beiträge - der ESC war laut Statuten zur Förderung der Musikproduktion in den einzelnen Ländern ins Leben gerufen worden, und man kam offenbar gar nicht auf die Idee, dass dies in einer anderen als der Landessprache geschehen sollte.

Sprachregelungen: Ausnahmen mit und ohne Erlaubnis

Silver Convention beim Grand Prix d'Eurovision 1977
1977 galt eine strenge Sprachregelung beim ESC. Silver Convention durften mit Ausnahmegenehmigung "Telegram" für Deutschland auf Englisch singen.

Das Reglement des ESC 1966 in Luxemburg legte erstmals fest, dass die Beiträge in (einer) der jeweiligen Landessprache(n) gesungen werden mussten. Warum der jugoslawische Beitrag "Pozdrav svijetu" für Madrid 1969, der neben Serbokroatisch auch Grußformeln in Deutsch, Englisch, Finnisch, Französisch, Italienisch, Niederländisch, Russisch und Spanisch enthielt, nicht disqualifiziert wurde, ist bis heute ein Rätsel. Erst in Luxemburg 1973 fiel die Sprachenpflicht, wobei die Verwendung (einer) der Landessprache(n) weiterhin empfohlen wurde. Das Singen in Landessprache wurde auf Drängen Deutschlands in London 1977 wieder eingeführt. Pikanterweise musste der federführende Hessische Rundfunk ausgerechnet in jenem Jahr eine Ausnahmegenehmigung einholen, damit die damals weltberühmte Gruppe Silver Convention die Bundesrepublik in Wembley mit dem englischsprachigen Titel "Telegram" vertreten durfte.

Findige Texter tricksten Sprachregelung aus

UMFRAGE

Sollten Länder beim ESC in Landessprache singen müssen?

55%

Ja, das bringt mehr Vielfalt in den ESC. 

191 Stimmen
19,3%

Nein, das soll jedes Land selbst entscheiden. 

67 Stimmen
25,6%

Solange der Song gut ist, ist die Sprache egal. 

89 Stimmen

Zwischen 1978 und 1998 hatte die Sprachenregelung Bestand - wobei die Regel 1983 dahingehend aufgeweicht wurde, dass die Titel "im Wesentlichen" in (einer) der Landessprache(n) gesungen werden mussten. Prompt stieg die Zahl der fremdsprachigen Einsprengsel, wobei Titel wie "Mrs. Thompson" (Norwegen 1991) oder "Mister Music Man" (Schweiz 1992) als Eigennamen durchgingen. Um international zu klingen, bedienten sich findige Texter bevorzugt englischer Wörter und Textzeilen - auch in Deutschland. Die Österreicher wichen dagegen oft und gerne auf regionale Dialekte mit Exotenbonus aus. Auch Frankreich bediente sich mit vollen Händen aus dem Sprachenschatz seiner Regionen und ehemaligen Kolonien.

Amtssprache vs. Minderheitensprache

Jamala aus der Ukraine auf der ESC Bühne. © NDR Foto: Rolf Klatt
Jamalas ESC-Siegertitel "1944" singt sie zum Teil auf Krimtatarisch - einer Minderheitensprache in der Ukraine, aber einer Amtssprache auf der Krim.

Seit dem ESC 1999 in Jerusalem herrscht wieder freie Sprachenwahl beim ESC, wobei die Verwendung völlig landesfremder Idiome eher selten ist. Gerne genutzt werden dagegen Minderheitensprachen, bei denen es sich häufig um Dialekte der offiziellen Amtssprache handelt, manchmal aber auch - wie im Fall des Romani - um die Sprachen von Bevölkerungsminderheiten anderer Herkunft und Kultur. Tückisch wird es, wenn manche Sprachen nur regional als Amtssprache gelten, wie bei Jamalas Siegertitel "1944": Er wird zwar zum Teil auf Krimtatarisch gesungen, das in der Ukraine als Minderheitensprache anerkannt ist - auf der von Russland annektierten Krim ist es allerdings auch offizielle Amtssprache.

Dieses Thema im Programm:

NDR Blue | ESC Update | 28.09.2019 | 19:05 Uhr

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