Stand: 20.05.2016 17:35 Uhr

Kommentar: Freies Geleit für Russland 2017?

Gewinnerin Jamala aus der Ukraine hält den ESC-Pokal in die Höhe. © dpa - Bildfunk Foto: Britta Pedersen
Holte die ESC-Krone überraschend in die Ukraine: Jamala.

Soweit ich von Gefühlen in der Ukraine nach dem ESC-Sieg von Jamala mitbekomme, ist das zwischen dem Donezk-Becken und dem Grenzgebiet zu Polen bis hin zum Schwarzen Meer bei Odessa eine eurovisonäre Mega-Glücks-Aufwallung. Nicht der Titel "1944" allein, sondern dass er sich vor Sergey Lazarev aus Russland platzieren konnte, war für viele Ukrainer eine besondere Genugtuung. Nun ist es ein Politiker des ukrainischen Parlaments, wie in dem Internetdienst Sputnik Deutschland zu lesen steht, der die Friedenszeichen der Zeit nicht verstanden zu haben scheint.

Einheizende Forderungen

Anton Geraschenko von der Partei "Volksfront" teilte dem Radiosender "Govorit Moskwa" - zu Deutsch: "Hier spricht Moskau" - mit, so wird es notiert: Der russische Teilnehmer solle anerkennen, dass "die Besetzung der Krim und die Okkupation eines Teils des Donbass Verbrechen sind." [...] "Wenn das russische Volk einen Sänger oder eine Sängerin für den Eurovision Contest wählt, die sich nicht zur Unterstützung der aggressiven Politik Russlands äußern und die nationale Würde der Ukraine nicht beleidigen, dann sehe ich keine Hürden." Die Voraussetzung für diesen Parlamentarier für eine russische ESC-Teilnahme im kommenden Jahr ist also, dass dieser Künstler oder diese Künstlerin sich für die Rückgabe der von Russland besetzten Schwarzmeerhalbinsel Krim an die Ukraine ausspricht. Und nur dann!

Nun sitzen - wie in allen Parlamenten - auch seltsame, nicht besonders besonnene Leute. Ja, ihre Aussagen haben oft den Charakter von definitiv politisch anheizenden Aussagen, nicht die von beruhigender Art. Auch die ukrainische Versammlung der demokratisch Gewählten ist eine Mixtur aus Klugen und weniger Versierten. Was Herr Geraschenko aber fordert, wäre nicht nur gegen die Tugend der europäischen Integration, vielmehr ist es auch ein starker Verstoß gegen die Regeln des ESC, die im Prinzip ewig gelten.

Der Anspruch des ESC: unpolitisch

Zur Erläuterung: Der ESC - so definiert es die European Broadcasting Union - ist definiert als unpolitische Veranstaltung. Dass sie das nicht ist, dass in ihr alle politischen Gefühle zum Ausdruck kommen, weiß man in der EBU-Zentrale in Genf selbstverständlich auch. Aber der Anspruch muss ein unpolitischer sein, sonst könnten nicht an einem Abend Künstler aus Europa zusammenkommen, deren Länder miteinander in teilweise übler Spannung liegen. Das war in den Siebzigern der Fall, als Italien und Jugoslawien (Triest!) in Hader miteinander lagen. Und dies lag nicht anders, als Griechen und Türken sich beim ESC mieden (Ägäis!), ehe sie von der EBU darauf hingewiesen wurden, dass sie nicht den Ausschluss des jeweils anderen fordern können, unter gar keinen Bedingungen. Und dies ist auch so in Sachen Israel: Dieses Land ist Mitglied der EBU, wie einige Sender aus dem arabischen Raum auch. Diese haben schon mehrfach erklärt, sie täten gern mitsingen, aber Israel müsse dann rausgeworfen werden. Die EBU, auch zu dieser Forderung: No way!

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Jamala aus der Ukraine hält den ESC-Pokal und eine Flagge in die Höhe. © NDR/eurovision.tv Foto: Andres Putting (EBU)

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Die Ukraine mag sich von Russland politisch mächtig bedrängt fühlen - und meiner persönlichen Einschätzung nach war und ist die Annexion der Krim ein völkerrechtswidriger Akt gewesen -, gleichwohl muss die Ukraine im kommenden Jahr Russland ohne Bedingungen beim ESC mitmachen lassen. Und sei es für viele Ukrainer mit zusammengebissenen Zähnen. So ist das beim ESC, zusammengefasst: Man übergeht an einem Abend die Differenzen, die sonst das Verhältnis zweier Länder ausmachen.

Aber das weiß das ukrainische Fernsehen ebenso wie die Staatsspitze mit Präsident Petro Poroschenko: Russland wird als Gast empfangen - deren Delegierte, deren Journalisten, deren Künstler und Künstlerinnen. Wenn die politische Elite klug ist, täte sie obendrein alles daran, die russischen Gäste besonders zuvorkommend zu behandeln. Es wäre ein Zeichen des Friedenswillens. Um Dinge wie die Krim oder den (von Russen maßgeblich mit beförderten) Krieg in der Ostukraine mögen sich politische Ebenen kümmern: Der ESC dient dazu, alle Länder des eurovisionären Raums im Gespräch zu halten, ja, sie zum Gespräch zu zwingen. Und sei es eines in Liedern und Tänzen.

Anmerkung der Redaktion: In der ersten Fassung fehlte ein Teil des Zitats von Anton Geraschenko. Dies haben wir nachträglich ergänzt.

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Jamala aus der Ukraine hält den ESC-Pokal und eine Flagge in die Höhe. © dpa - Bildfunk Foto: Maja Suslin

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Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 13.05.2017 | 21:00 Uhr

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