Stand: 19.03.2014 10:25 Uhr

Österreichisches Bondgirl

Österreichs ESC-Teilnehmerin Conchita Wurst © Saskia Etschmaier / Agentur Genie und Wahnsinn
Hat sich schon mehrfach beim ESC beworben und wurde 2014 intern bestimmt: die Künstlerin Conchita Wurst.

Skeptisch war ich anfänglich sehr. Weil Österreich aus finanziellen Erwägungen keine Vorentscheidung wollte und einfach Conchita Wurst parat stand, haben sie eben diese Künstlerin, die mal ein Tom Neuwirth war, engagiert. Ja, fast misstrauisch stimmte mich diese Wahl: 2012 belegte Frau Wurst den zweiten Platz hinter den in Baku Gott sei Dank nicht so erfolgreichen Jungs von Trackshittaz, die irgendwas von wackelnden Hinterteilen sangen. Das war schlüpfrig, ja, unappetitlich und unkomisch - und nicht im Mindesten so mutig, wie eben Conchita Wurst, die sich nicht mit "That's What I Am" durchsetzen konnte.

Absolut jamesbondhaft gut

Damals dachte ich: Dass ein Mann einen akkurat gestutzten Vollbart trägt, ist noch kein Grund, ihn gut zu finden. Das Lied selbst war eine ästhetische Kreuzung aus Hera Björk (2010 für Island), Drama Queen alias DQ (2007 für Dänemark) und Kate Ryan (2006 für Belgien) - Eurodiscopop der allerkonventionellsten Sorte. Jetzt ist Conchita Wursts Clip mit ihrem Lied veröffentlicht worden: "Rise Like A Phoenix". Dieses Lied so elegant, so ladylike, so absolut jamesbondhaft gut, dass ich mich selbst wundere. Die Wurst badet nicht nur in einer Wanne blutroter Rosenblüten, sie hat nicht nur Körperbewegungen wie Shirley Bassey und Sheena Easton drauf: Sie hat den Sound der besten James-Bond-Lieder ("Goldfinger", "For Your Eyes Only" oder vor allem Adeles "Skyfall") in ihrem Phoenixin-aus-der-Asche-Lied versammelt und zu eigener Hymne gemacht.

Entertainment gegen den Mainstream

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Conchita Wurst © Paz Stammler

Viel Rummel um die Wurst

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Keine Ahnung, ob diese Österreicherin mit diesem Lied sehr weit nach vorne kommen kann, aber ich möchte mir höchstpersönlich wünschen, dass sie wenigstens ins Finale gewertet wird: Soviel queere Kunst, die auf jede anzügliche, aufs Gefallen hin gestimmte Dragqueen-Pose verzichtet und während der ganzen drei Minuten so ernst guckt, wie im letzten Bond-Film Judi Dench in den letzten Szenen, ehe sie sich von ihrem Lieblingsagenten verabschiedet, die hat Applaus verdient. Conchita Wurst ist insofern eine perfekte Botschafterin eines der Kernanliegen des Eurovision Song Contest: sich in puncto Entertainment gegen allen Mainstream, gegen die Konfektion der ewigen Mann-trifft-Frau-Muster zu behaupten.

Aufstieg in himmlische Sphären

Ihr Lied, um es zu betonen, handelt vom gleichen Traumstoff, der auch in den Liedern von Gloria Gaynor, Shirley Bassey oder Thelma Houston eingewoben ist. Auch in den Liedern von Whitney Houston findet er sich: Es ist vom Aufstieg aus tiefsten Tiefen, von Selbstbehauptung, vom Aufstieg in himmlische Sphären die Rede - also von der Reise, die ein Phönix, eine Phönixin aus der Asche antreten möchte. Das ist, mit anderen Worten, auch das Material, von dem der ESC ganz klassisch und insgesamt handelt. Lieder, die zu Höherem geboren scheinen und erst erhört werden müssen.

Österreich hat seit ewigen Zeiten keine solch würdige Vertreterin mehr gehabt - dieser Clip, der durchaus ein paar schnellere Schnitte hätte haben können, sich aber dem Auftritt der Künstlerin in langsamen Bilder fast schleppend nur widmet, ist viel Beifall wert. Möge diese Performerin in Kopenhagen nicht missverstanden werden: Das ist nicht CSD-Pride-Gesinge, sondern eine ESC-Facette, die so queer ist wie Vieles nicht in den vergangenen Jahren.

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 10.05.2014 | 21:00 Uhr