Stand: 31.01.2022 16:39 Uhr

ESC-Jubiläen 2022: Punkterekord, erster Skandal und Nicole

Im Jahr 2022 jähren sich viele bedeutende ESC-Momente, über die man heute noch spricht. Aus deutscher Sicht am wichtigsten: Vor 40 Jahren holte sich Nicole mit "Ein bisschen Frieden" den Sieg.

Vor fünf Jahren: Salvador Sobral mit Allzeit-Rekord

Wie wahrscheinlich war es, dass ein portugiesisches Lied mal den ESC gewinnt? Nur die wenigsten hätten wohl damit gerechnet, denn in Portugals ESC-Geschichte reihte sich Misserfolg an Misserfolg. Seit 1964 nimmt das Land teil, einen Sieg gab es nie, zweimal holte man null Punkte. 2017 gewann Jazz-Sänger Salvador Sobral den Vorentscheid Festival da Canção. Mit "Amar pelos dois" vertrat er Portugal in Kiew, doch auch er selbst musste zunächst vertreten werden. Wegen seiner Herzprobleme ersetzte seine Schwester Luísa ihn während der Proben. Sie hatte den Song auch geschrieben. Pünktlich zu den Live-Shows kam auch Salvador Sobral in der Ukraine an und schaffte etwas, wovon auch die portugiesische Delegation nicht zu träumen wagte. Nicht nur, dass er den ESC haushoch gewinnen konnte - auch vor dem großen Favoriten Francesco Gabbani aus Italien - er holte zudem stolze 758 Punkte. Bislang hat kein anderer Künstler vor oder nach ihm eine derart hohe Punktezahl erreicht.

VIDEO: Portugal: Salvador Sobral - "Amar pelos dois" (3 Min)

Vor zehn Jahren: Geburt des modernen ESC-Evergreens "Euphoria"

Loreen für Schweden auf der Bühne © NDR Foto: Rolf Klatt
Dunkel und geheimnisvoll: Loreens Performance bekommt Punkte aus ganz Europa.

Anders als bei Salvador Sobral war bei der Schwedin Loreen Wochen im Voraus klar, dass sie wohl den ESC gewinnen wird. Die Performance der damals 28-Jährigen war auffällig und noch nie dagewesen. Zusammen mit einem Tänzer tanzte sie einen mystischen Capoeira, die Bühne war in schwarz-weiß gehalten, Kunstschnee rieselte von der Decke. Der Dance-Pop-Song "Euphoria" erhielt 2012 in Baku 18 Mal die Höchstwertung von zwölf Punkten. Was für eine Bedeutung der Song allerdings für die ESC-Community bekommen sollte, kristallisierte sich erst in den kommenden Jahren heraus. Bei einem vom Webradio "ESC Radio" veranstalteten Voting, das jedes Jahr an Silvester die 250 besten ESC-Songs aller Zeiten kürt, landete "Euphoria" seit 2012 immer auf Platz eins. Noch dazu benutzen internationale ESC-Acts, die sich nicht so sehr mit der Geschichte des Wettbewerbs befasst haben, "Euphoria" gern als Standardantwort bei der Frage nach ihrem Lieblingssong.

Vor 15 Jahren: Verka Serduchka - politisch oder gaga?

Verka Serduchka vertritt die Ukraine 2007 beim Grand Prix und belegt den 2. Platz  Foto: Sari Gustafsson
In Helsinki reicht es nicht ganz für Verka Serduchka. Doch obwohl sie nicht gewinnt, kennt sie heute jeder ESC-Fan.

Eine Dragqueen im silbernen Glitzermantel mit Stern auf dem Kopf? Nahezu selbstverständlich vereinte der ukrainische Sänger Andrej Danilko alias Verka Serduchka 2007 in Helsinki alle Blicke auf sich. Doch so harmlos wie die Zeile "Sieben, sieben, ai lyu-lyu, eins, zwei, tanzen!" erscheint, ist der Song möglicherweise gar nicht. Der Nonsens-Titel "Dancing lasha tumbai" liegt phonetisch sehr nah an "Russia Goodbye". Dass Verka Serduchka während der Performance das "L" wie ein "R" gerollt hat, spricht zumindest nicht gegen diese Interpretation. Danilko setzte sich mit dieser Performance jedenfalls ein Denkmal. Er wurde Zweiter und tauchte noch Jahre später immer wieder in ukrainischen Vorentscheiden oder ESC-Shows auf. Verka Serduchka war auch ein Teil des "Switch Songs" 2019 in Tel Aviv, in dem verschiedene ESC-Stars Lieder von anderen gecovert haben. Verka Serduchka sang Nettas "Toy".

Vor 20 Jahren: Estland führt ESC-Motto ein

Männer in Frauenkleidern beim ESC ist keine Erfindung der Ukraine. Bereits fünf Jahre zuvor in Tallinn traten drei Transvestiten für Slowenien unter dem Namen Sestre an. Das wirklich besondere am ESC 2002 war allerdings der Austragungsort. Nachdem Estland im Vorjahr erstmals den ESC für sich entscheiden konnte, wurde Tallinn Austragungsort des europäischen Musikwettbewerbs - und damit zum ersten Mal ein Teil der ehemaligen Sowjetunion. Die Länder in Osteuropa veranstalteten in den 1970er-Jahren mit dem Liederwettbewerb der Intervision sogar eine Konkurrenzveranstaltung zum ESC, Mitte der 90er-Jahre debütierten viele von ihnen nach und nach beim westeuropäischen Vorbild. Die musikalischen und begeisterungsfähigen Esten erwiesen sich als perfekte Gastgeber für ein nun vereintes Europa - und führten gleichzeitig einen neuen Brauch ein. Seit 2002 steht jeder ESC unter einem Motto, damals "A Modern Fairytale". Nur Moskau 2009 brach mit dieser Tradition.

Vor 25 Jahren: Das Orchester verschwindet, Barbara Dex kommt

Debbie Scerri beim Eurovision Song Contest 1997
Debbie Scerri aus Malta "gewinnt" als erste ESC-Kandidatin den Barbara-Dex-Award 1997.

Für die Traditionalisten unter den ESC-Fans ist 1997 ein hartes Jahr. Denn beim Wettbewerb in Dublin konnten erstmals Länder entscheiden, ohne das Orchester und dafür mit Halbplayback aufzutreten. Auch schon vorher durften vereinzelt Sounds eingespielt werden, die ein Orchester nicht spielen konnte - doch ein kompletter Verzicht war neu. Zwar nutzten nur Deutschland, Irland, Kroatien und Österreich diese Möglichkeit, doch zwei Jahre später war das Orchester endgültig Geschichte. Dafür wurde von ESC-Fans ein neuer Wettbewerb ins Leben gerufen: Seit 1997 vergeben sie in jedem Jahr den Barbara-Dex-Award für das schlechteste Outfit - wenn auch seit 2021 offiziell für das "auffälligste Outfit". Erste Preisträgerin wurde Debbie Scerri aus Malta - sie trug ein lila-türkisfarbenes langes Kleid mit ausufernden Rüschen an den Ärmeln.

Vor 30 Jahren: Dieter Bohlen und eine ESC-Melodie mit spätem Ruhm

Selbst Dieter Bohlen komponierte schon für den ESC. Er zeichnete sich für die Melodie des österreichischen Schlagers "Zusammen geh'n" verantwortlich. Sänger Tony Vegas erreichte damit in Malmö 1992 einen zehnten Platz. Das Lied dürfte heute in Deutschland weitestgehend unbekannt sein - die Melodie allerdings nicht. Denn zehn Jahre später coverte sich Dieter Bohlen als Juror der Casting-Show "Deutschland sucht den Superstar" einfach selbst. Sein Lied "We Have A Dream" - zum großen Teil mit der Melodie des ESC-Songs - haben die Finalisten der ersten Staffel 2002/2003 gemeinsam gesungen. Es stand sechs Wochen auf Platz eins der deutschen Charts.

Vor 35 Jahren: Johnny Logan gewinnt ein zweites Mal

Johnny Logan beim Grand Prix d'Eurovision 1987
Kurz vor dem ESC 1987 trennt sich Johnny Logan von seiner Ehefrau. Über sie singt er in "Hold Me Now".

Den ESC einmal zu gewinnen, ist wahnsinnig schwierig. Das zweimal zu schaffen - unmöglich. Dieser Grundsatz galt bis zum 9. Mai 1987, als der Ire Johnny Logan in Brüssel mal wieder ganz oben stand. Schon 1980 in Den Haag bekam er mit "What's Another Year" die meisten Punkte, nun gelang ihm das Kunststück mit "Hold Me Now" erneut. Beide Male schaffte es Deutschland übrigens hinter Logan auf Rang zwei. Und das ist nicht seine einzige Verbindung zu Deutschland: Seit Jahren lebt der Ire mittlerweile in Brunnthal, einer Gemeinde bei München. Johnny Logan ist nach wie vor der einzige Sänger, der zwei Wettbewerbe für sich entscheiden konnte und 1992 in Malmö gewann er als Komponist von Linda Martins "Why Me?" sogar noch ein drittes Mal. Bis heute tritt er jährlich bei ESC-Veranstaltungen auf.

Vor 40 Jahren: Nicole holt Deutschlands ersten ESC-Sieg

Die Sängerin Nicole sing beim ESC 1982 ihr Lied "Ein bisschen Frieden" © picture alliance / Lehtikuva Oy/dpa Foto: Lehtikuva Oy
Eine Sternstunde für deutsche ESC-Fans: Nicole holt 1982 den Sieg in Harrogate.

Ihre weiße Gitarre hat jeder ESC-Fan sofort vor Augen, ihren Refrain kann jeder mitsingen. 1982 schaffte es Nicole, als erste Deutsche den ESC zu gewinnen. Der Song "Ein bisschen Frieden" räumte im englischen Kurort Harrogate ab. 61 Punkte Abstand auf den Zweitplatzierten aus Israel - eine Demonstration. Die europäischen Jurys vereinten sich hinter einem Lied, das in die Zeit passte. Mitten im Kalten Krieg und wenige Wochen nach dem Beginn des Falklandkriegs sag die damals 17-jährige Saarländerin "ein kleines Lied, dass die Welt in Frieden lebt". Damit gewann Deutschland mit dem 27. Versuch den Wettbewerb. Bei ihrem Siegerauftritt sang Nicole das Lied in vier Sprachen. Die englische Version "A Little Peace" erreichte Platz eins der englischen Charts. Bis heute ist Nicole als Musikerin unterwegs. Auf einem 2017 erschienenen Album coverte sie zwölf ESC-Siegertitel auf Deutsch.

Vor 50 Jahren: Vicky Leandros startet mit ihrem Sieg international durch

Schon im Jahr 1965 landete Vicky Leandros als Teenagerin in den deutschen Charts, zwei Jahre später trat sie mit dem noch heute bekannten Evergreen "L'amour est bleu" beim ESC für Luxemburg an. Doch 1972 - als Vicky Leandros hierzulande längst große Bekanntheit genießt - schaffte es die in Griechenland geborene Sängerin, auch international Erfolg zu haben. Türöffner dazu war ihr Sieg beim ESC in Edinburgh mit "Après toi" für Luxemburg. Mit diesem Titel landete sie auch zum ersten Mal in den britischen Charts, was ihr danach noch zwei Mal gelingen sollte. Es folgten Klassiker wie "Theo, wir fahr'n nach Lodz" oder "Ich liebe das Leben". Vicky Leandros bekam diverse Auszeichnungen verliehen, darunter auch das Bundesverdienstkreuz. Sie war stellvertretende Bürgermeisterin in Piräus und unternahm 2006 einen bislang letzten Versuch, beim ESC anzutreten. Beim deutschen Vorentscheid in Hamburg hatten aber letztlich Texas Lightning die Nase vorn.

Vor 60 Jahren: Die ersten null Punkte

Das Wertungsverfahren des ESC hat sich über die Jahre mehrfach grundlegend verändert. 1956 noch wurde am Ende der Show lediglich der Siegertitel verraten, über den Rest des Feldes legte sich der Mantel des Schweigens. Von 1957 bis 1961 vergab jedes Jurymitglied aus jedem Land jeweils einen Punkt an einen Song. 1962 schließlich bewerte die komplette Jury ihre drei Lieblingssongs mit einem, zwei oder drei Punkten. Da so allerdings weniger Länder pro Jury Punkte erhalten konnten, ereilte gleich vier Länder das Schicksal, vor dem sich heute alle ESC-Teilnehmer fürchten: Sie erhielten null Punkte. Belgien, die Niederlande, Spanien und Österreich mussten ohne eine einzige Wertung zu ihren Gunsten vom ESC 1962 in Luxemburg abreisen. Das hat es vorher noch nie gegeben.

Vor 65 Jahren: Erster ESC-Skandal

Birthe Wilke und Gustav Winckler beim Grand Prix d'Eurovision 1957 © Hessischer Rundfunk
Der erste Skandal der ESC-Geschichte: Die Dänen Birthe Wilke und Gustav Winckler küssten sich nach ihrem Auftritt. Das war einigen Beobachtern einen Tick zu innig.

1957 war es noch nicht die Regel, dass der Vorjahressieger automatisch den nächsten ESC austrägt. Und obwohl Lys Assia für die Schweiz bei der ESC-Premiere 1956 gewinnen konnte, holte der Hessische Rundfunk, damals ESC-Federführer der ARD, den Song Contest nach Frankfurt am Main. Die Schauspielerin Anaid Iplicjian moderierte die Sendung aus dem Großen Sendesaal des Senders. Zehn Länder nahmen teil. Anders als 1956 durfte jedes Land nur noch einen Kandidaten mit einem Lied entsenden - was bis heute gilt. Besonders kurios wirkt aus heutiger Sicht die Punktevergabe. Iplicjian und eine Assistentin setzten sich vor eine gemalte Europakarte, um mit zwei Schnurtelefonen jede einzelne Jury anzurufen. Die Niederländerin Corry Brokken gewann die knapp 70-minütige Show mit großem Abstand. Vorjahressiegerin Lys Assia, die erneut antrat, erreichte Rang acht. Und sogar einen echten Skandal gab es 1957. Das dänische Duo Birthe Wilke & Gustav Winckler beendete die Performance mit einem langen Kuss. Das sorgte vielerorts für Entrüstung - aber auch für Platz drei.

In einer früheren Version des Artikels stand, dass auch Sergey Lazarev beim ESC 2017 angetreten ist. Wir haben das korrigiert und bitten, den Fehler zu entschuldigen.

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Dieses Thema im Programm:

NDR Blue | ESC Update | 12.02.2022 | 19:05 Uhr

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