Stand: 11.04.2019 10:02 Uhr

Israel für Entdecker: Ein Reisetagebuch

von Hannah Lesch, Björn Rohwer, Tobias Zuttmann

8. Tag: YMCA - ausnahmsweise nicht das Lied

Micah Hendler lacht in die Kamera.
Micah Hendler ist der Dirigent des Jerusalem Youth Chorus.

Wir sind im Garten der Young Men's Christian Association (YMCA) mit Micah Hendler verabredet, der noch ein wenig unter dem Jetlag seiner USA-Reise leidet. Hendler ist Dirigent des Jerusalem Youth Chorus, einem Chor, in dem Israelis und Palästinenser zusammen singen und diskutieren. Der Musiker gibt uns einen Einblick in seine nicht immer leichte Arbeit. Das Gebäude ist ein Haus der Begegnung, in dem nicht nur Christen, sondern Menschen aller Religionen willkommen sind. Bei den Peace Players spielen Juden und Araber zusammen Basketball und in der Peace Preschool krabbeln und toben Kinder unabhängig von ihrer Herkunft.

9. Tag: Der frühe Vogel riecht nach Weihrauch

Es ist 2.40 Uhr und der erste Wecker klingelt. Um vier Uhr morgens wird die Tür zur Grabeskirche immer von einer muslimischen Familie aufgeschlossen und wir wollen dabei sein. Die verschiedenen christlichen Konfessionen, die in der Grabeskirche zu Hause sind, konnten sich nicht einigen, wer den Schlüssel zur Kirche haben darf. Verschlafen machen wir uns auf den Weg. Doch der Gang zur Grabeskirche ist verschlossen und wir müssen davor warten. Als dieser schließlich geöffnet wird, steht die Tür zur Grabeskirche schon offen.

Die Stimmung in der Kirche ist nachts ganz anders als tagsüber. Wir hören nichts außer den Gesängen der Mönche. In der Luft hängt der Duft von Weihrauch und vor den Reliquien beten auf Knien robbende Gläubige. Ab fünf Uhr kommen die ersten Touristengruppen. Damit weicht die besondere Atmosphäre nach und nach den Monologen von Reiseführern und dem Klicken der Kameras. Wir entscheiden uns weiterzuziehen. Über die verwinkelten Treppen der Altstadt kommen wir auf die Dächer des Marktes und frühstücken bei Sonnenaufgang mit Blick auf unser nächstes Ziel: den Felsendom auf dem Tempelberg. Es ist einer der heiligsten Orte im muslimischen Glauben. Hier soll der Prophet Mohammed in den Himmel aufgestiegen sein. Früher standen hier auch der erste und zweite Tempel Jerusalems, die heiligsten Orte des Judentums. Davon ist heute nur noch die westliche Mauer des zweiten Tempels übrig geblieben - besser bekannt als die Klagemauer. Der Tempelberg ist seit Jahrtausenden ein umkämpfter Ort, um dessen Vorherrschaft die verschiedenen Religionsgruppen streiten. Touristen dürfen nur zu bestimmten Zeiten hinauf und werden vorher strenger kontrolliert als an manch einem Flughafen. Sämtliche religiöse, nicht-muslimische Gegenstände, wie zum Beispiel christliche Kreuze, sind verboten. Die goldene Kuppel des Felsendoms erstrahlt heute in voller Pracht - das erste Mal haben wir in Jerusalem richtig gutes Wetter.

10. Tag: Touri-Hölle in der Geburtskirche

Geschmolzener Käse, überzogen von einer hellbraunen Teigschicht, garniert mit Pistazien.
Kunafah ist eine arabische Spezialität aus lokalem Käse, überzogen von einem dünnen knusprigen Teig, getränkt in Rosen-Zucker-Wasser.

Wir fahren zum zweiten Mal nach Bethlehem. Das Ziel: endlich die Geburtskirche besuchen. Tatsächlich ist heute die Schlange deutlich kürzer und wir stehen nur eine Stunde an. Alle Besucher betreten die Kirche gebückt durch eine etwa 1,20 Meter hohe Pforte, damit jeder dem Ort die nötige Demut entgegenbringt. Diese geht aber in der Warteschlange in der Kirche gleich wieder verloren. Die jahrhundertealten Säulen des Kirchenschiffes haben Generationen von Touristen mit ihren Namen und Sprüchen verziert. Ein Stockwerk tiefer befindet sich die Krippe: die christliche Touri-Hölle. Drängelnde, quengelnde Touristen, prollige Hipster, Selfies en masse. Jeder ist gestresst und kommt leicht grummelnd aus der Gruft hervor. Wir brauchen frische Luft und etwas Süßes. Mit einem kleinen Geldbeutel ist es in Israel schwierig, all die leckeren Süßspeisen zu probieren. Die Lebenshaltungskosten in Israel sind höher als in Deutschland. Anders im Westjordanland, hier nutzen wir bei einem Spaziergang über den Markt die niedrigen Preise und gönnen uns ein großes Stück Kunafah - eine Süßspeise aus Käse und Teigfäden.

11. Tag: Erster Kontakt mit der anderen Religion

Heute besuchen wir das Programm MEET. Hier lernen Israelis und Palästinenser nach der Schule zusammen Programmieren, Teamwork und Führungskompetenzen. Viele Schüler sprechen in diesem Programm das erste Mal mit Angehörigen des anderen Glaubens. So wie Adi, die gerne in solchen interkulturellen Gruppen arbeitet. Durch ihre Teilnahme an dem Programm hat sie zum ersten Mal eine andere Sichtweise auf den Nahost-Konflikt kennengelernt.

Ein Jude mit einem großen, mit Fell bezogenem Hut, lehnt an der Klagemauer und betet.
An Sabbat tragen einige orthodoxe Juden über ihrer Kippa den Schtreimel, einen Fellhut.

Mit dem Sonnenuntergang beginnt heute am Freitag der Sabbat. Bis Samstagabend sind die Geschäfte geschlossen und Juden dürfen weder körperliche Arbeit verrichten noch elektrische Geräte bedienen. Wir gehen zur Klagemauer in der Altstadt von Jerusalem, wo Männer und Frauen getrennt beten. Auf der Seite der Männer herrscht Kopfbedeckungs-Pflicht. Besucher können sich Kippas - kleine runde Kappen - ausleihen. Die Männer tanzen, singen und beten ekstatisch. Bei den Frauen geht es deutlich ruhiger zu. Die Plätze direkt an der Mauer sind begehrt: Dicht an dicht stehen junge und alte Jüdinnen in Gebetsbücher versunken davor. Die Betenden wenden der Mauer niemals den Rücken zu und entfernen sich nur rückwärtsgehend.

12. Tag: Auf der Mauer, auf der Lauer

Bei schönstem Sonnenschein erkunden wir heute Jerusalem aus einer neuen Perspektive. Wir laufen über die Stadtmauer, einmal rund um die Altstadt, und genießen dabei auch den Blick auf die Viertel außerhalb der Mauern. Mitte des 19. Jahrhunderts wurden dort erste Siedlungen gebaut. Allerdings führt uns der Weg nicht ganz herum - der Tempelberg teilt ihn in zwei Hälften. Unterwegs fällt uns auf: In allen vier Teilen der Altstadt, dem jüdischen, christlichen, arabischen und armenischen, gibt es versteckt zwischen den Häusern und der Mauer einen Fußballplatz.

13. Tag: Versteckte heiße Quellen

Wir teilen uns auf. Für die nächsten Tage haben wir einen Mietwagen gebucht. Hannah schlägt sich heute ein paar Stunden lang mit der Autovermietung herum und erlebt danach zum ersten Mal den Jerusalemer Stadtverkehr. Hier dominieren stockender Verkehr, Hupen und rücksichtslos fahrende Taxis. Währenddessen machen sich Björn und Tobias auf den Weg zu einem Interview-Termin mit dem Fan-geführten Fußballverein Hapoel Katamon und wandern dabei durch den Jerusalem Forest. Unverhofft stoßen sie hier auf eine besondere Stelle: Mitten im Wald baden orthodoxe Juden in heißen Quellen.

14. Tag: Die Natur kennt keine Grenzen

Ein riesiger Krater und eine Felswand, an der sich gesicherte Kletterer abseilen.
Der Weg in den Süden führt uns an Makhtesh Ramon vorbei - einem riesigen Krater, der auch der Grand Canyon Israels genannt wird.

Am ersten Tag unseres Roadtrips in den Süden Israels brechen wir früh auf, um rechtzeitig in Ketura, einem kleinen Ort mitten in der Wüste, anzukommen. Am Arava Institute for Environmental Studies forschen junge Israelis zusammen mit Studierenden aus Jordanien, dem Westjordanland und dem Rest der Welt. Gemeinsam erarbeiten sie Lösungen zu Umweltproblemen und gesellschaftlichen Konflikten. Wir werden eingeladen, das am Abend stattfindende Fußballturnier anzuschauen. Ketura ist ein Kibbuz - also ein kleines Dorf, das sich ähnlich wie eine Kommune strukturiert. Die rund 250 Bewohner teilen sich gut 15 Autos und treffen basisdemokratisch Entscheidungen. Heute Abend treten Mannschaften der umliegenden Kibbuzim gegeneinander an. Auch das Institut stellt ein Team. Die Studierenden, die sich erst seit drei Wochen kennen, verlieren haushoch - wie jedes Jahr. Und wie jedes Jahr feiern sie trotzdem. Weiter geht es ganz bis ans südliche Ende Israels. Nachdem wir im Reiseführer nur Negatives über den überfüllten Touri-Ort Eilat gelesen hatten, sind wir positiv überrascht. Die Leuchtreklame und die überdimensionierten Hotels erinnern uns an Las Vegas und sind ein krasses Kontrastprogramm zu Jerusalem und Ketura. Wir gönnen uns direkt die volle Ladung westlicher Küche - Pizza statt Falafel und Coca Cola statt Tee. Weil wir es uns hier ausnahmsweise mal leisten können. 1985 wurde Eilat zur Freihandelszone erklärt, um für Touristen attraktiver zu sein. Seitdem entfällt die Mehrwertsteuer.

Dieses Thema im Programm:

NDR Blue | ESC Update | 27.04.2019 | 19:05 Uhr

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