Stand: 02.05.2014 11:13 Uhr

Aram Mp3 nicht mehr erziehungsbedürftig?

Die Österreicherin Conchita Wurst mit dem Armenier Aram Mp3 sprechen mit der Presse bei Eurovision in Concert 2014 in Amsterdam © NDR Foto: Patricia Batlle
Anfang April 2014 beteuert Aram Mp3, seine vermeintlich homophopen Äusserungen seien falsch interpretiert worden.

Der Vorfall machte schon in den vergangenen Wochen in der ESC-Szene die Runde. Am schönsten haben ihn die irischen Fans und Journalisten dokumentiert: Der armenische Sänger Aram Mp3, der mit seinem Lied "Not Alone" definitiv zu den stärksten Favoriten zählt, äußerte sich im März sehr zwiespältig zu Schwulen beim ESC - und im Besonderen zu Conchita Wurst. Erstens soll der Armenier kundgetan haben, dass er, kommt er an einem bestimmten Viertel von Eriwan vorbei, sehr schnell an diesem vorbeifahre. Er könne das nicht billigen, hieß das wohl. Er meinte das hauptstädtische Viertel Kom aygi, das tatsächlich mit seinen Kneipen und Bars von Schwulen, Lesben und Trans-Menschen eine Art queeres Quartier ist. So wie Soho in London, das Marais in Paris, St. Georg in Hamburg oder das Areal um den Berliner Nollendorfplatz ist. Kein schwules Ghetto, aber ein Stück Stadt, in dem man sich als nicht-heterosexueller Mensch ziemlich frei und offen bewegen kann. Aram Mp3, der bei jener Gelegenheit nicht bekannt gab, ob er auch an Vergnügungsvierteln flüchtend vorbeifährt, die vielen Heterosexuellen sehr gefallen, etwa St. Pauli an Hamburgs Elbe, beleidigte schließlich auch noch die Österreicherin Conchita Wurst.

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Aram MP3 beim Konzert Eurovision in Concert in Amsterdam © NDR Foto: Patricia Batlle

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Man stehe zwar in Kopenhagen auf einer Bühne, aber er habe mit dem Mann, der als Frau performt, große Probleme. Wörtlich sagte er, sie sei "nicht normal", dem ESC "nicht angemessen" und scherzte, "hoffentlich werden wir ihr helfen, sich zu entscheiden, ob sie eine Frau ist oder ein Mann”. Ein wenig Information hätte ihm geholfen, dann wüsste er: Conchita Wurst ist ein queeres Konzept. Der Österreicher Tom Neuwirth ist ein Mann, der als Drag Queen entertaint und keinen Zweifel daran lässt, jenseits der Rolle ein Mann zu sein. Aram Mp3 sagte auch: “Ich lebe nicht so (er meint wohl: schwul). Und einerlei, wie die Welt sich fort- und rückentwickelt, das (also das Schwule) ist für mich eine unakzeptable Sache.” Bei Eurovision in Concert im April in Amsterdam sprach Aram Mp3 sich dann mit Conchita aus und sagte, seine Äusserungen seien falsch interpretiert worden. Aber muss man seine Worte auf die Goldwaage legen, wenn man weiß, dass Aram Mp3 in seinem Land ungefähr das Image hat, das in Deutschland Stefan Raab zukommt? Mit anderen Worten: Ist der Armenier wirklich verstört, weil sich eine Figur - ausgerechnet beim ESC - nicht an die "natürliche" Ordnung der Geschlechter hält? Fakt scheint mir, dass der armenische Teilnehmer hier in Kopenhagen erheblich an Zuspruch eingebüßt hat. Der Beifall nach seiner Probe in der B&W-Halle fiel spärlicher aus als es der Begeisterung im Netz, die bis März ziemlich intensiv war, angemessen gewesen wäre.

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Ob die Geschichte aus dem März generell seine Chancen auf eine gute Platzierung mindert, scheint mir indes fraglich. Die Auf- und Erregung von Fans haben in der Regel keinen besonderen Einfluss auf das ESC-Resultat selbst. Sonst wäre im VorjahrValentina Monetta ins Finale gekommen, was bekanntlich nicht der Fall war. Und: "Not Alone" ist eine exzellente Schnulze, die viele Punkte ernten wird, was auch immer dessen Interpret jenseits der Bühne denkt. Daran werden Missmutigkeiten wegen seiner Äußerungen aus dem Frühjahr nichts ändern.

Spielt Ironie eine Rolle?

Ivor Lyttle, Herausgeber des europäischen Fanmagazins “ESCzine”, kommentierte das Statement von Aram Mp3 fast spöttisch: Er habe offenbar eine flinke Lippe - denn er hätte es besser genau überlegt. Was er gesagt habe, sei ungefähr so, als ob jemand direkt in Israel Antisemitisches äußere. Ein großer Fehler, der ihm immer noch übel genommen werde. Aber vielleicht war das, was Aram Mp3 so sagte, auch ganz anders gemeint: Nämlich im Hinblick auf die Mitglieder der armenischen Delegation, die nicht so ironisierend belustigt über Conchita Wurst und die Anliegen der LGBTI-Community denken (LBGTI steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans, Inter). Letztlich wird der Armenier nur selbst wissen können, was er gemeint hat - und ob er überhaupt meint, was er so daher plapperte. Ich würde andererseits sowieso finden: Auch ein Aram Mp3 hat ein Recht auf jede, also auf seine Meinung.

Porträtaufnahme der österreichischen ESC-Teilnehmerin Conchita Wurst in Kopenhagen. © eurovision.de Foto: Martin Unger
Conchita Wurst geht stets souverän mit Anfeindungen um. Sie sucht den Dialog.

Wenn er ironisch mit Klischees gegen Schwule umgeht, wenn er sie veräppelt, wenn er mit den Bildern vom Homophoben spielt, wenn er aufgreift, was ohnehin sehr viele Menschen denken - was soll dabei sein? Immer angenommen, dass er es doppelbödig, also ironisch meint. Und wenn er doch, immer noch, Angst vor Schwulen und Lesben und Trans-Menschen hat, wenn er sie unsympathisch findet - auch dann ließe sich sagen: So what?

Conchita Wurst hat Aram Mp3 längst verziehen, bestätigte sie gestern beim Gespräch abermals. Sie hat eine wirklich coole Antwort vor wenigen Wochen auf den Vorfall gegeben. Sie sei glücklich, dem Armenier in Sachen LGBTI ein wenig Nachhilfe zu geben. Ist das nicht souverän?

Dieses Thema im Programm:

Das Erste | Eurovision Song Contest | 10.05.2014 | 21:00 Uhr