Überraschungen: Albanien und Irland im Finale
Live-Qualitäten zählen doch: Das gilt besonders für Künstler wie Eugent Bushpepa aus Albanien und Ryan O'Shaugnessy aus Irland. Beide waren nicht gerade unter den Favoriten des ersten Semifinales, nur wenige glaubten daran, dass sie die Vorrunde überstehen würden, die Buchmacher wiesen sie als wahrscheinliche Verliererkandidaten aus. Aber der Albaner Bushpepa war wirklich mit seiner Kunst nah am Publikum, sein angerocktes, irgendwie auch folkiges Lied namens "Mall" zog in den Bann. Herr Bushpepa schien sich ernsthaft die Seele aus dem Leib zu singen, so intensiv war sein Einsatz auf der Bühne.
Glaubwürdigkeit zählte mächtig
Und der Ire, der ein Lied von einer schwulen Liebe zweier Jungs interpretierte, mag zwar mit einer etwas überdekorierten Bühne, Parklampe im Schummermodus, zu tun gehabt haben, aber er sang, seine Gitarre vor sich tragend, schön und glaubwürdig. Er trug gerechten Lohn davon: Der junge Mann wusste die traurige Botschaft seines Liedes glaubwürdig zu vermitteln.
Das gilt nicht minder für Litauens Ieva Zasimauskaitė, die ihr "When We're Old" ergreifend schön präsentierte. Auch bei ihr wird der Eindruck des Live-Gesangs erheblich zum Erfolg beigetragen haben. Ebenso trifft dies auf den Österreicher - den in Wien lebenden Cesár Sampson - zu, der in keiner Probe in Lissabon zuvor so gut und wach sein Lied interpretierte: Österreich wird überglücklich mit ihm sein.
Schön, dass starke Frauen den Ton angaben
Es ist prinzipiell ja gut, dass es bei einem ESC - und sei es in einem Semi - nicht nur die buchmacherisch am höchsten gerankten Kandidaten schaffen: Sonst würde es ja langweilig. Aber einige der als potenzielle Siegeskandidaten ausgelobten Künstler und Künstlerinnen sind zu Recht ins Finale eingezogen: Allen voran ist Israels Netta Barzilai zu nennen, die eine viel bessere Vorstellung ablieferte als zuvor im Juryfinale. Das gilt auch für Eleni Foureira aus Zypern, die als Letzte gewiss davon profitierte, dass vor ihr einige eher schwermütige Nummern die Mikrofone fluteten: Ihr "Fuego" war der optimistische, lebenslustige Höhepunkt des Abends.
Bulgariens Equinox und Estlands Opern-Arie von Elina Nechayeva sowie Tschechiens Mikolas Josef mussten mit dem Finale rechnen, ihre Lieder sind hochprofessionell produziert - und gelungen performt worden. Bei Finnlands Saara Aalto hat auch dies den Ausschlag gegeben: Ihr "Monsters" hat sie frei von Angst und mit viel Lust ins Finale gehievt.
Teure Produktionen zahlten sich nicht aus
Aserbaidschans Aisel wird enttäuscht: großer Aufwand, kein Lohn. Belgiens Sennek darf auch trauern - der Stil ihres Liedes kam im vorigen Jahr durch Blanche noch weit nach vorn, diesmal reichte es nicht. Die Schweiz mit Zibbz muss einmal mehr vor dem Finale nach Hause fahren: schade. Aber musikalisch war ihr "Stones" nicht gut genug.
Die Tendenz dieses Jahres: viel Traurigkeit, viele und schwere Probleme in allen Liedern, überall ein bisschen Melancholie. Mit zwei Ausnahmen, bislang: Israels und Zyperns Acts sind irgendwie der kämpferischen Lebensfreude verpflichtet, ziemlich cool, beide Frauen. Freuen wir uns über sie!